# taz.de -- Brasilien und Kenia beim Theatertreffen: Die Geschichte neu erzähl… | |
> Die Reihe „Shifting Perspectives“ thematisiert Rassismus und | |
> Kolonialismus. In manchen Performances gerät die Kritik an Vorurteilen zu | |
> plakativ. | |
Bild: Mitunter wirken die Performances wie Fashion Shows | |
Was ist eine „Schwarzwerdung“, eine kräftige „Schwarzwerdung“? Grace P… | |
beschwört sie am Anfang und gegen Ende der Performance „Preto“, die die | |
Companhia Brasileira de Teatro bei den Berliner Festspielen zeigte. Sie | |
redet dabei in die Kamera, fragt immer wieder: „Weißt du es wirklich | |
nicht?“ Es scheint auf der Hand zu liegen und doch nicht begriffen worden | |
zu sein, was hier zwischen schwarzen und weißen Darstellern verhandelt | |
wird. | |
Der Performance „Preto“ (Portugiesisch für schwarz) zu folgen, ist nicht | |
einfach, was nicht nur an der holprigen Übersetzung aus dem Portugiesischen | |
liegt. Sondern mehr, weil Störung und Themenwechsel Teil ihrer Dramaturgie | |
ist. Zwei spielen eine Szene, andere umkreisen sie rennend und verschieben | |
Mikrofone und Kamera, schon das erzeugt die Stimmung, ständig unter Druck | |
zu stehen. Sie stellen sich bedrängende Fragen, erklären, wer du bist. Aus | |
Identität wird ein Zwang der Selbstlegitimation. Die Antworten verlieren | |
sich in Ausweichmanöver, weißt du noch, die Probe damals, als du mich | |
bespuckt hast? | |
Es geht um Erfahrungen von Demütigung und Erniedrigung, teils erinnern zwei | |
Frauen, wie sie „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ probten. Die | |
Konstellationen von Macht und Ohnmacht verdoppeln sich gleich, über die | |
Szenen legt sich, wer bestimmt, was gespielt wird. Dann wieder beschreiben | |
sie Bilder, etwas das von den fünf jungen Schwarzen, die eben noch für ein | |
Selfie lächelten und jetzt schon erschossen worden sind. „Das ist mehr als | |
ein Bild, das ist die Wahrheit“, sagen sie, und so fühlt es sich in diesem | |
Bühnenmoment auch an, obwohl man nicht weiß, wann und wo das passiert sein | |
soll. | |
Das verwirrende und letztendlich doch eindringliche Gastspiel von „Preto“ | |
gehört zur Reihe „Shifting Perspectives“, mit der die Berliner Festspiele | |
seit 2017 das Theatertreffen begleiten. Sein Programm, es zeigt jeweils | |
zehn von einer Kritikerjury eingeladene deutschsprachige Inszenierungen, | |
stammt als Institution noch aus der Westberliner Zeit und war ein wichtiger | |
Blick über die Mauer. Heute zu fragen, was sind jetzt unsere Mauern und was | |
liegt dahinter, beschreibt Daniel Richter, der Leitende Dramaturg des | |
Theatertreffens, als ein Motiv für die neue Reihe. | |
## Überschreibung von Geschichte | |
Dieses Jahr zeigte „Shifting Perspectives“ sechs Stücke an einem Tag, drei | |
davon konnte man hintereinander anschauen, dicht getaktet, knapp Zeit für | |
die Toilette dazwischen, aber ohne Muße, auch den Gesprächen mit den | |
Künstlern zuzuhören. Das wäre aber, schon um mehr über den Kontext zu | |
erfahren, sinnvoll gewesen. Dass man sich nicht mehr im deutschsprachigen | |
Theater befand, signalisierten auch die englischen Ansagen an das Publikum, | |
wo es jetzt weitergeht. Gewonnen haben die Festspiele damit ein jüngeres, | |
mehrsprachiges, vermutlich studentisches Publikum, das sich aber mit dem | |
der Zehner-Auswahl des Theatertreffens nur wenig zu überschneiden schien. | |
Tatsächlich wünscht sich das Kuratorenteam einen Dialog zwischen den | |
Stücken aus deutschen Stadttheatern und den aus Brasilien, Singapur und | |
Israel eingeladenen, und sie haben thematisch auch nach vergleichbaren | |
Ansätzen ausgewählt. | |
Überschreibung von Geschichte, sie noch einmal neu erzählen zu müssen, ist | |
so ein Stichwort, über das sich Verknüpfungen herstellen könnten. Aber | |
dafür scheinen die Zielgruppen zu getrennt, und es fragt sich, ob Berlin | |
nicht in Theatern wie dem HAU und dem Ballhaus Naunynstraße, die in der | |
globalisierten Welt mit vielen Künstlern zusammenarbeiten, solche Stücke | |
besser vorstellen kann. | |
Für die Leitung des Theatertreffens hingegen bietet die Reihe, die mit | |
Unterstützung des Goethe-Instituts gestemmt wird, die Möglichkeit, wichtige | |
Debatten um Kolonialismus und Rassismus eine Plattform zu bieten. Die waren | |
denn auch Thema, wenn auch plakativ, in den andern gesehenen Performances. | |
In „Chombotrope“ von The Jitta Collective, von Künstlern aus Nairobi und | |
Deutschland, wird die Feier der Diversity in eine Fashionshow gepackt, von | |
den gesungenen Texten sind allerdings nur Stichworte zu verstehen. | |
Auch überwiegt dramaturgisch die Lust am Skurrilen, an Körpern in Stacheln, | |
Schläuchen und Kartons. In den Szenen wechseln Posing, afrikanische Tänze | |
und pantomimische Kämpfe, die jeweils anderen Codierungen folgen, | |
miteinander ab. Es geht um Exotisierung und Empowerment, so viel bekommt | |
man mit, aber mehr noch um die Lust an der Show. | |
18 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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