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# taz.de -- Berliner Theatertreffen 2018: Bunt getünchte Schwärze
> Das Theatertreffen wird politischer. Falk Richter inszeniert Elfriede
> Jelineks „Am Königsweg“. Es geht um Trump und Rechtspopulismus.
Bild: Falk Richter hat „Am Königsweg“ ursprünglich für das Deutsche Scha…
Elfriede Jelinek sei Dank, es gibt es noch, das explizit politische
Theater. „Am Königsweg“ heißt ihr Text, geschrieben in wenigen Wochen
zwischen Trumps Wahl und seiner Inauguration. Falk Richter hat die
Uraufführung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg im Oktober 2017
inszeniert und ist damit nun zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen.
Ein König sticht sich die Augen aus, man sieht es in vielen Bildern der
fast ständig mitlaufenden Videos, ein Zitat aus dem Ödipus. Metaphern von
Blindheit ziehen sich durch Text und Inszenierung, teils haben alle blutige
Binden über den Augen. Waren die blind, die den König gewählt haben? Oder
die, des es so weit kommen ließen, dass er gewählt werden konnte?
Wählt er selbst die Blindheit, nicht wie Ödipus als Strafe für Verbrechen,
sondern als Teil seiner ganz speziellen Welt-Nicht-Anschauung, seines
geübten Wegsehens? Ein König, der nicht sehen will und andere in diese
Blindheit und Verblendung hineinquatscht? Der Text rast durch diese Fragen
und mit ihm rasen die Bilder auf der Bühne und in der Projektion dahinter.
Benny Claessens spielt den großen Manipulator, den König, oft als
infantiles, wutschreiendes Kind, das eine luftgefüllte Weltkugel schon mal
da zum Platzen bringt, wo Deutschland sitzt. Er ist unberechenbar,
unausgewogen natürlich, wechselt oft mitten im Satz die Richtung. Er bringt
das Publikum zum Lachen, um ihm gleich darauf zu drohen, er spielt
Kasperle-Theater, wird moralisch, beansprucht die Wahrheit, sieht sie
davonlaufen, dreht Pirouetten, schwitzt, quatscht weiter. Er ist eine
schwindelerregende Verwirbelungsmaschine, die bald alle Möglichkeiten, wahr
und falsch zu entscheiden, zu Brei verrührt.
## Satire auf einen komplett künstlichen Lifestyle?
Fünf SchauspielerInnen (Anne Müller, Julia Wieninger, Matti Krause, Tilman
Strauß, Frank Willens) bilden den Chor, kostümiert mal in Königsmänteln,
mal als Kreuzritter, Figuren aus der Muppetshow, Showgirls, junge weiße
Männer, et cetera. Manchmal kommt der Verdacht auf, die opulente
Ausstattung und ständige Bewegung ist nicht nur Satire auf einen komplett
künstlichen Lifestyle und eine Ablenkungsindustrie, sondern selbst auch
dynamische Ablenkungshilfe von den Schwächen des Textes.
Denn wenn er auch viele pointierte Wendungen hat, so tritt er doch oft auch
im Leeren auf der Stelle. Welcher Abgrund ist das noch mal, auf den jetzt
die Sätze zurasen? Ist von USA oder Europa die Rede? Rechter Populismus in
Deutschland, Frankreich? Österreich?
Alles zugleich ansprechen zu wollen, ist eine große Herausforderung, macht
die Dinge aber auch unscharf. Wie man bei bürgerlichen oder linksliberalen
Positionen abgeholt wird, die sich dann schleichend in reaktionäre Floskeln
verwandeln, ist ja oft das Verblüffende an Jelineks Texten, Ideologiekritik
über Spracharbeit. Das Gefühl plötzlich aufblitzender Erkenntnis, es stellt
sich diesmal nur gelegentlich ein. Trotzdem freut man sich über ihre Arbeit
an der Rhetorik, wie der Aufruf „Zeit für das Neue“ zurückgeschraubt wird
in die Suche nach dem „guten Alten“, was ziemlich viel mit unhinterfragter
weißer Vorherrschaft zu tun hat.
Die Inszenierung nimmt immer wieder Anlauf, nach musikgefüllten Pausen,
probiert Instrumente der Kritik gegen den König aus, aber! er ist ja
gewählt, und dagegen rennen Text und Inszenierung sich wund, wiederholen
sich, laugen aus, werden müde. Eine schwarze Verzweiflung liegt deshalb
unter aller Buntheit, die Schauspielerin Ilse Ritter verkörpert sie auf der
Bühne. Sie rahmt mit einem mitleiderregenden Selbstbild der Autorin die
wilden Szenen ein.
## Migrationshintergrund als Hilfe für mehr Perspektive
Schweigen würde sie gerne, die Worte, die ihre Instrumente, ihre Waffen,
ihre Lust waren, sie scheinen ihr geraubt, von anderen besetzt, umgewertet.
Im Schrumpfen der Welt auf Twitterformat kann eine Wortarbeiterin wie sie
keinen Platz mehr finden. Sie wirft sich in diese Wortschlacht mit dem
bitteren Gefühl der Vergeblichkeit. Ein bisschen pathetisch, das auch.
Um diesem dunklen Ton etwas entgegenzustellen, hat Falk Richter İdil Baydar
engagiert, die mit ihrer deutschtürkischen Kunstfigur Jilet Ayşe zu einem
Star von Comedy-Shows geworden ist. Im goldenen Trainingsanzug durchbricht
sie einige Male den Wettlauf zum Abgrund, um die „Deutschen“ ein bisschen
aufzumuntern, ein wenig zu trösten, da lässt sich was machen gegen den
eigenen Rassismus, mit etwas Entwicklungshilfe von ihrer Seite. Sehr
dankbar reagierte auch das Publikum beim Theatertreffen auf diese Einlagen,
Migrationshintergrund als Hilfe für mehr Perspektive. Der Inszenierung tut
diese Einbeziehung gut.
13 May 2018
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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