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# taz.de -- Rückblick Eröffnung Theatertreffen Berlin: Mitfühlen und mitdenk…
> Inszenierungen von Frank Castorf und Karin Henkel machen den Anfang. Der
> este Eindruck? Viel politisches Theater, viel nackte Haut, viel Witz.
Bild: Voraussetzung für die ZuschauerInnen: Sitzfleisch. Die „Faust“-Insze…
„Frank komm nach Hause“, „Sophie komm nach Hause“, auf den Stufen zur
U-Bahn, auf einer Litfaßsäule vor dem Haus der Berliner Festspiele kleben
die kleinen Zettel. Bettelnd, dass alles wieder wird wie früher. Anlass ist
die Einladung von „Faust“ zum Theatertreffen, einer eigentlich nicht mehr
existenten Inszenierung, der (vor)letzten von Frank Castorf als Intendant
der Volksbühne. Sie an diesem Ort wiederaufleben zu lassen, kostete eine
halbe Million Euro, Geld, das die Berliner Festspiele von der Lottostiftung
bekamen.
Es ist ein koketter Abend, feiern lassen sich die Schauspieler für die
Improvisationen, mit denen sie Textlücken überspielen. Die Liebe des
Publikums ist ihnen sicher, wenn sie sich durch die Textmassen schlagen und
rennen, rennen, immer wieder, um die sich drehende Bühne (von Aleksandar
Denić), voll mit Spelunken und Hinterzimmern. Es ist ein langer Abend
(sieben Stunden), der gefühlt eine Stunde lang Goethes
naturwissenschaftliche Theorie und den Streit, ob das Leben aus dem Feuer
oder dem Wasser entstanden sei, diskutieren lässt.
Es ist ein Abend mit viel politischem Behauptungswillen, der Manifeste aus
dem Algerienkrieg und über den Terror als Mittel der Befreiung von
Kolonialherrschaft herausbrüllen lässt. Es ist ein Abend mit viel nackter
Haut von den Darstellerinnen. Und es ist ein Abend mit sehr viel Witz im
Spiel über das Spiel, über die Vereinbarungen, was man hier eigentlich tut,
was der „Faust“ für das Theater ist und was Schauspieler sind. Dieses
selbstreflexive und oft parodistische Element, das Martin Wuttke, Alexander
Scheer, Marc Hosemann und Sophie Rois so wunderbar beherrschen, ist die
Stärke der Inszenierung und der Kitt, der diese thematisch gigantische
Schichttorte zusammenhält.
Inhaltlich dagegen kommt vieles über die Themensetzung nicht hinaus. Bitte
schön, wir beschäftigen uns mit Rassismus, bitte schön, wir denken
postkolonial, das legen viele Texteinschübe nahe. Aber die Brücke, die von
den Landnahmeprojekten des alten Faust dorthin führt, muss jeder schon
selbst mitbringen, sie geht in der Bühnenerzählung unter und eine reflexive
Reibung entsteht kaum.
## Von alten Männern versteht man hier viel
Goethes „Faust I“ und „II“ bietet viel Stoff, um einen Weg von der
Geschichte der Aufklärung zum Kapitalismus und Kolonialismus zu
thematisieren, aber der bleibt merkwürdig blass in der Inszenierung. Immer
überblendet von den sehr präsenten Bildern von Faust (Wuttke) als schon
sehr senil gewordener Lüstling. Von alten Männern versteht man hier viel.
Am Freitag eröffnete der „Faust“ das Theatertreffen, am Samstag spielten
sie wieder, am Sonntag hatten sie Pause, und die nutzten viele der
Castorf-Schauspieler, sich „Beute Frauen Krieg“ von Karin Henkel
anzuschauen. (Das ist ein nicht unerheblicher Reiz des Theatertreffens,
zwischen so vielen Künstlern im Publikum zu sitzen.) Diese Inszenierung aus
dem Schiffbau in Zürich verlangt eine große Halle und wird in einem alten
Industrieareal in Berlin-Schöneweide gespielt.
Ein langer Laufsteg verbindet verschiedene Zuschauergruppen, herabfahrende
Wände teilen den Raum bald in intime Bühnen für Monologszenen. Die
Zuschauer wandern von Raum zu Raum, in jedem wiederholt eine Schauspielerin
dreimal ihre Erzählung über den Trojanischen Krieg.
Wie man aus dem Objektstatus der Opferrolle herauskommt und sich wieder als
Subjekt der Geschichte begreift, welche Rolle der Sprache, der Erinnerung
und der Wiederholung bei diesem Prozess der Selbstermächtigung zukommt,
darum dreht sich die Inszenierung. Die Sprache, die ihr Werkzeug ist, ist
zugleich in ihrem gestalterischen Potenzial auch ihr Thema.
## Zweimal Euripides
„Beute Frauen Krieg“ geht auf zwei Dramen von Euripides zurück, „Die
Troerinnen“ und „Iphigenie in Aulis“ in Fassungen von John von Düffel und
Soeren Voima. Die Texte sind sehr raffiniert gebaut in dem, wie sie von
den Klagen der Frauen, die zur Kriegsbeute und zur Sklavin gemacht wurden,
dazu kommen, den Siegern ihren Sieg klein zu reden, deren
Selbstbetrügereien und Verluste aufzudecken, die Selbstvernichtung der
Sieger vorherzusehen. Dass man sie über Kopfhörer hört, verstärkt die
Intimität der Monologe.
Und nah an die Schauspielerinnen herangerückt, an Carolin Conrad als
Andromache und Dagna Litzenberger Vinet als Kassandra, erhalten sie einen
Rahmen, in dem das gefesselte Spiel wirken kann. Sie sind ja Beute,
Gefangene, haben keinen großen Spielraum mehr. Entgegen dieser Beschränkung
entwickeln sie ihre sprachliche Macht. Diese stillgestellten Körper, dieses
verhaltene Spiel ist gerade selten geworden auf der Bühne, mehr neigt alles
zur Raserei.
Karin Henkel wurde am Samstag mit dem jeweils zum Theatertreffen
verliehenen Theaterpreis Berlin ausgezeichnet. Sie hat ihr Preisgeld von
20.000 Euro gleich gespendet, einem Verein, der sich mit dem Projekt „Back
to Life“ um jesidische Frauen kümmert, die Opfer des Terrors des
„Islamischen Staates“ wurden. Auch das kann man als eine Geste der
Zuwendung deuten, eine Stärke von Karin Henkel, wie es Rita Thiele,
Chefdramaturgin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, mit der die
Regisseurin viel gearbeitet hat, in ihrer Laudatio betonte: Zuwendung und
Zuneigung zu den Schauspielern, zum Publikum, zum Stoff.
Es ist denn auch die Zugänglichkeit ihrer Erzählweise, die für „Beute
Frauen Krieg“ einnimmt. Nach einem Abend mit der für Castorf typischen
Überforderung ist man auch dankbar für die Konzentration, die hier den
Figuren folgen lässt, zumal das Einfühlen das Mitdenken überhaupt nicht
ausschließt.
7 May 2018
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theatertreffen Berlin
Frank Castorf
Faust
Karin Henkel
Alexander Scheer
Zwei im falschen Film
Frank Castorf
Sexismus
Schwerpunkt Rassismus
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Deutsches Theater
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