# taz.de -- Theaterstück über antike Demokratie: Die Mütter der Diktatoren | |
> Karin Henkels Stück „Rom“ steckt voller impliziter Anspielungen auf die | |
> Gegenwart. Die Regisseurin erhält bald den Theaterpreis Berlin. | |
Bild: Bernd Moss und Anita Vulescia in den Mutterrollen zerren an Coriolan | |
Wer solche Mütter hat, braucht keine Feinde mehr. Machtbewusst, streng, | |
erpresserisch. „Ich habe mich für dich geopfert“, mahnt Kleopatra ihren | |
kleinen Sohn, der die Macht über das Römische Reich erhalten soll. Schwarze | |
Pädagogik, eiskalt und doch so nah an alltäglichen Sätzen von um Disziplin | |
ringenden Müttern gebaut, dass man stets auch grinsen muss über dieses | |
Muttermonster Kleopatra, von Anita Vulescia lustvoll grausam gespielt. Als | |
wäre die Rolle im antiken Drama zugleich eine Form der Rache für den nicht | |
gelingenden Alltag, der ganz anderen Ansprüchen folgen will. | |
Man lacht aber auch noch aus einem anderen Grund, wenn „Antonius und | |
Kleopatra“, der dritte Teil des Stücks „Rom“ von Karin Henkel, mit einer | |
ihren Sohn terrorisierenden Mutter beginnt. Weil man das schon kennt aus | |
dem ersten Teil, „Coriolan“. Da sind es gleich zwei Schauspielerinnen | |
(Vulescia und Kate Strong) und ein Schauspieler (Bernd Moss) im Damenkleid, | |
die zu dritt als eine Mutter nicht nur den jungen Coriolan an die Kandare | |
nehmen, sondern das Publikum gleich mit. | |
Wenn Blicke töten könnten, wir Zuschauer kippten reihenweise um, als Kate | |
Strong auf uns zumarschiert. Coriolan wird zum Kriegshelden erzogen, zu | |
dem, der sich opfert für das Volk. Bewundern soll es seine Narben, mit | |
Pinseln voll roter Farbe stechen die Mütter auf ihn ein, man gruselt sich. | |
## Das Volk lieben? Schafft er nicht | |
Aber etwas läuft schief in dieser Strategie, sich die Liebe des römischen | |
Volkes durch Opfer zu erkaufen und damit den Weg zur Macht zu bahnen. | |
Coriolan, von Michael Goldberg nach der Traktierung durch die Mütter | |
verständlicherweise wutschnaubend und aggressiv angelegt, verachtet das | |
Volk. | |
Den Zuschauer wundert das nicht, denn auf der Bühne erscheint das Volk in | |
Gestalt zweier sich spiegelnder Volksvertreter (Benjamin Lillie, Camill | |
Jammal), die in ihrer schmierigen Selbstgerechtigkeit auch leicht zu | |
verachten sind. Sie protestieren gegen die Gier der Eliten, sie vertreten | |
das hungernde Volk, die Aufständischen, und doch ist ihr Gestus nah am | |
männerbündischen, faschistischen Auftritt gebaut. Da mag sich keine | |
Empathie auf ihre Seite schlagen. | |
Karin Henkels Inszenierung „Rom“, die am 16. März im Deutschen Theater in | |
Berlin Premiere hatte, ist durchweg spannend, unterhaltsam und irritierend. | |
Jede Rolle trifft auf ein Muster und weicht anders als erwartet von ihm ab. | |
Den Text hat Karin Henkel zusammen mit dem Dramaturgen John von Düffel | |
erstellt, Grundlage sind drei Dramen von Shakespeare, „Coriolanus“, „Juli… | |
Cäsar“ und „Antonius und Kleopatra“, die 400 Jahre römische Geschichte | |
umfassen. | |
## Aufstieg von Diktatoren und Tyrannenmord | |
Ein Teil der Handlung wird als knapper Bericht gehalten, in den | |
ausgespielten Szenen die Spiegelungen und Wiederholungen betont. Es geht | |
dabei immer wieder um die demokratische Verfassung der römischen Republik, | |
die durch die Sehnsucht nach einem starken Führer, Aufstieg von Diktatoren | |
und Tyrannenmord immer wieder ins Chaos gestürzt wird. Anspielungen auf die | |
Gegenwart? Sie sind nicht explizit, aber jeder hat sie im Kopf. | |
Im Mai, während des Theatertreffens in Berlin, wird der Regisseurin Karin | |
Henkel der Theaterpreis Berlin verliehen. In der Begründung werden ihre | |
stete Neubewertung der Dramenweltliteratur hervorgehoben und ihre | |
Fähigkeit, das zu hinterfragen, was als gesellschaftlicher Fortschritt oder | |
Erfolg gilt. | |
Zum Theatertreffen ist sie mit dem Stück „Beute Frauen Krieg“ eingeladen, | |
das im Dezember 2017 in Zürich Premiere hatte und aus der Perspektive von | |
drei Frauen, Helena, Kassandra und Andromache, über den Trojanischen Krieg | |
erzählt und die vielen Formen des Leidens der Frauen im Krieg. Es wird | |
sicher lohnenswert, wenn man beide Inszenierungen – „Rom“ und die aus | |
Zürich – in Beziehung setzen kann. | |
## Ausstieg aus dem Karrussell | |
Gedanklich haben ihre Stücke viel zu bieten, nicht nur durch die Stoffe, | |
sondern auch durch die Theatersprache. Einmal sitzen sich der ermordete | |
Cäsar und sein Mörder Brutus, der mit dem Mord die römische Republik vor | |
Cäsars Herrschsucht zu bewahren glaubte – oder sich das zumindest einredet | |
–, an einem langen Tisch gegenüber und tauschen Thesen über das Wesen von | |
Freiheit, Macht, Geld aus, wie in einem Pingpongspiel. Das ist nicht mehr | |
handlungsrelevant, der Mord ist ja schon geschehen, aber während die Bühne | |
sich dreht wie ein Karussell, auf dem alles immer wiederkehrt, sucht dieser | |
Dialog nach anderen Optionen. Es gibt nie nur eine Melodie, nach der hier | |
gespielt wird. | |
Auch die Sinnlichkeit und Körperlichkeit von Karin Henkels Bildern | |
arbeiten in einem fort, hintertreiben den Text, stiften Belustigung und | |
Beunruhigung. Die vielen Figuren, die sich plötzlich verdoppeln, etwas | |
Infantiles und etwas Albtraumhaftes bekommen, entwickeln eine eigene | |
Dynamik, legen hier eine Verbindung offen, lassen dort den Behauptungen | |
misstrauen. Sie sind unheimlich, weil sie trotz ihrer grotesken Verzerrung | |
nicht besonders fremd, sondern eher vertraut scheinen. | |
Das macht die Energie dieses Theaters aus, die dann auch darüber | |
hinweghilft, dass man dem Gang der Geschichte gelegentlich nicht mehr | |
folgen kann. | |
22 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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