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# taz.de -- Der US-Präsident als „Julius Caesar“?: Trump, Theater, Tyranne…
> Über die Verengung der Möglichkeitsräume in der Inszenierung von Donald
> Trump. Ein Essay aus theaterhistorischer Perspektive.
Bild: Ein Aufruf zum Tyrannenmord?
Betrachten wir zwei Szenen aus diesem Sommer: Die eine spielt im New Yorker
Central Park, im Rahmen des „Shakespeare in the Park“-Festivals im Juni,
die andere auf Twitter. Man gibt im Park „Julius Caesar“ von Shakespeare,
einen Klassiker. Als Caesar als Double des (zumindest an der Ostküste)
weitgehend ungeliebten US-Präsidenten auf die Bühne tritt, gluckst das
Publikum vor Vergnügen: eine perfekte Satire.
Unverkennbar Donald Trump, mit seinen leuchtend gelben Haaren, den
siegesgewissen Gesten – ein Politclown, dem vor einem Jahr niemand wirklich
einen Wahlsieg zugetraut hatte – und dessen skandalumwittert-unverfrorene
Präsidentschaft, die allen Werten und Gewissheiten Hohn lacht, inzwischen
nur noch mit Galgenhumor auszuhalten zu sein scheint. Als das Stück seinem
unvermeidlichen Höhepunkt zustrebt, verliert die Ähnlichkeit ihre
entspannende Wirkung: Präsidentenmord?
Reflexartig reagiert FOX News und deutet die Inszenierung als Darstellung
einer Trump-Ermordung. Der namensgleiche Präsidentensohn Donald Trump jr.
empört sich auf Twitter am 11. Juni: „Ich frage mich, wie viel dieser
,Kunst' vom Steuerzahler bezahlt ist? Ernste Frage, wann wird ,Kunst‘ zur
politischen Rede & macht das einen Unterschied?“
Die Entrüstung wird unmittelbar in den Katalog politischer Forderungen
eingeordnet, denn die Kürzung staatlicher Zuschüsse für Kunst und
Geisteswissenschaften war eine der populärsten Forderungen Trumps und in
eilfertiger Beflissenheit ziehen mit Delta Airlines und der Bank of America
zwei wichtige Sponsoren sich sofort von der Förderung des Theaterfestivals
zurück.
Als am 14. Juni der republikanische Senator Steve Scalise von einem
fanatischen Trump-Gegner niedergeschossen wurde, mischten sich in die
Stimmen der Betroffenheit auch Anspielungen, die fragten, inwiefern ein
politisches Klima entstanden sei, das Gewalt begünstige. Knapp eine Woche
später kam es zu einem erneuten Eklat, als sich Jonny Depp auf einem
britischen Filmfestival zu der witzig gemeinten Bemerkung hinreißen lässt:
„Wann hat zum letzten Mal ein Schauspieler einen Präsidenten ermordet? …
Ist eine Weile her, vielleicht wird es Zeit.“ Wieder ist es Donald jr., der
auf Twitter das Wort ergreift und mit dem Hashtag [1][#FireDepp] eine
Kampagne gegen den Schauspieler anzustoßen versucht.
## Rom als Folie
Um die Wucht und Intensität dieser Auseinandersetzung zu verstehen, ist es
hilfreich, den verschiedenen Verästelungen zu folgen, die Shakespeares
„Julius Caesar“ beziehungsweise sein historisches Vorbild in der
US-amerikanischen Politik aufweisen: „sic semper tyrannis!“ (So immer gegen
Tyrannen!), rief am 14. April 1865 der Schauspieler John Wilkes Booth, als
er Abraham Lincoln im Ford’s Theatre erschoss.
Mit diesem dem Caesar-Mörder Brutus zugeschriebenen Zitat stellte Wilkes
sich in eine historische Linie, die die traumatische Nachwirkung seiner
Gewalttat vergrößerte, weil sie eine Gefährdung der Republik durch das
skrupellose Machtstreben eines Einzelnen behauptete.
Der Boden, auf den diese historische Anspielung fiel, war auch deshalb so
fruchtbar, weil das antike, republikanische Rom für die Vereinigten Staaten
seit ihrer Gründung ein richtungsweisendes Modell war: So vereinigt die
Verfassung, wie es Cicero in „De re publica“ als Ideal beschrieben hatte,
denn auch monarchische Elemente (Präsident), aristokratische (Supreme
Court) und demokratische (Kongress).
Aber auch in der Bild- und Architektursprache finden sich unzählige
Verweise auf Rom und schon die Benennung der politischen Gebäude als
Kapitol beziehungsweise Senat rufen diese historische Linie auf. Dem
Repertoire dieser Ideenwelt ist aber eben auch der Tyrannenmord als
Menetekel eingeschrieben.
## Die „zwei Körper des Königs“
„Julius Caesar“ von Shakespeare, 1599 geschrieben, ist aber gerade kein
einfaches Propagandastück, das parteiische Gewalt verherrlicht, sondern ein
Stück, in dessen Zentrum die Konsequenzen dieser Gewalt stehen: Das
Rededuell zwischen den Verschwörern um Brutus auf der einen und Mark Anton
auf der anderen Seite, der in der Maske des rhetorisch Unzulänglichen zur
Rache an den Mördern aufstachelt, kontrastiert die Wechselhaftigkeit
politischer Rhetorik mit dem zentral auf der Bühne liegenden blutigen
Leichnam.
In der New Yorker Aufführung geriet dieser Moment zum Stolperstein für das
Publikum, wie die Kritikerin des New Yorker, Rebecca Mead, bemerkt: „An dem
Abend, an dem ich die Vorstellung besuchte, war das Publikum, das in der
ersten Hälfte des Stücks über die Parodie auf Trump gelacht hatte,
geschockt und schwieg entsetzt, als der Mordanschlag schließlich
stattfand.“
Der Wendepunkt, den die Kritikerin hier beschreibt, gründet in einer
weiteren politischen Denkfigur, die sich schon im Mittelalter finden lässt
und die als die „zwei Körper des Königs“ vielfach beschrieben wurde: Nach
dieser Vorstellung vereinigen sich im Herrscher zwei Körper, nämlich sein
individueller Körper und der politische Körper, der die Kontinuität
historischer Verläufe ebenso repräsentiert wie die Gesamtheit des Staates.
In diesem Licht nun wird ein zweiter Spannungsbogen des New Yorker „Julius
Caesar“ sichtbar: Die Inszenierung erzählt nicht nur von Triumph und Fall
eines römischen Staatsmanns, sondern sie führt dem Publikum einen
Möglichkeitsraum vor Augen: Wird die theatrale Verdoppelung anfangs noch
lauthals verlacht, so fallen im Moment der Ermordung der individuelle und
der symbolische Körper auseinander: Was bleibt, ist ein blutiger
Körperklumpen, der das Publikum in schockierte Stille versetzt, denn hinter
der grotesken Witzfigur, die man – wie das Krokodil im Kasperle-Theater –
schnell und gründlich loswerden möchte, wird die physische Zerbrechlichkeit
erkennbar. Der zerschlagene Körper zeigt Spuren einer Menschlichkeit, die
unter dem Druck politischer Auseinandersetzungen allzu leicht unsichtbar
wird.
## Die politische Rede
Hier wird Kunst im besten Sinne zur politischen Rede, möchte man Donald jr.
entgegenhalten, und hier macht sie einen Unterschied: Die Bühne führt uns
vor Augen, was wir bisweilen leichtfertig für möglich halten, sie malt uns
die Konsequenz eines politischen Denkens aus, das die Grundsätze der
Menschlichkeit einer bedingungslos zielorientierten Logik von Sieg und
Niederlage preisgibt.
Die zweite Szene spielt sich – wiederum – auf Twitter ab: Ausgerechnet am
4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, twittert der Präsident einen
30-Sekunden-Videoclip, auf dem er selbst zu sehen ist, wie er am Rande
eines Boxrings einen Mann im Anzug zu Boden wirft und auf ihn einschlägt.
Das Video von 2007 war seinerzeit Teil einer Wrestling-Show. Diesmal aber
ist das Gesicht des Mannes durch das CNN-Logo ersetzt worden und Trump hat
es mit dem Hashtag #FNN (Fake News Network) kommentiert.
## Der Konflikt
Der allgemeinen Empörung hatte Trump einen Tag vorher entgegenzuwirken
gesucht: Sein Verhalten in den sozialen Medien sei nicht präsidial, sondern
eben „Modern Day Presidental“. Der angesichts von Shakespeare so
empfindsame Donald Trump jr. verspottet wieder auf Twitter die Linken und
Liberalen, sie hielten das „Trump assassination play“ (i. e. „Julius
Caesar“) für Kunst, verstünden aber den Spaß des „joke meme“ nicht.
Die Gegenüberstellung der beiden Szenen lässt den tieferliegenden Konflikt
erkennen: Während das Shakespeare-Stück die Verletzlichkeit des politischen
Körpers erkennen lässt, sucht Trump in der Überblendung der Wrestling-Szene
mit den politischen Auseinandersetzungen, in denen er steht, die beiden
Körper des Königs in eins zu setzen – unauflöslich.
Die imaginierte körperliche Attacke auf die Personifikation von CNN setzt
ins Bild, was verbal, administrativ und gestisch ohnehin schon die
öffentlichen Auftritte prägt: Ein Triumphalismus, der dem Sieger alle
Rechte zuspricht: „I’m president and they are not.“ Die Unbedingtheit
dieses Machtdiskurses, der gleichermaßen von der eigenen Glorifizierung wie
von der Herabsetzung des Gegners lebt, ist das Gegenteil von dem, was die
Kunst als politische Rede stiftet: Jene zeigt auch die abgeschatteten Teile
des Politischen, während der Faustkampf nur eine Logik der
Rücksichtslosigkeit zelebriert. Und das – so möchte man Donald jr.
antworten – verändert die Dinge tatsächlich – zum Schlechtesten.
20 Jul 2017
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23FireDepp&src=typd
## AUTOREN
Peter W. Marx
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