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# taz.de -- Profi-Wrestling in Corona-Zeiten: Ein Griff, ein Wurf und – nichts
> Profi-Wrestling darf wegen Corona nicht mehr von Publikum begleitet
> werden. Was macht das mit TV-Unterhaltung, die von Emotionen lebt?
Bild: John Cena bei einer Wrestling-Show vor Corona
Profi-Wrestler John Cena schält sich aus dem Kunstnebel. Die Laserstrahlen
tanzen, die Muskeln glänzen, seine Arme sind zur Heldenpose ausgebreitet,
der Blick wandert erwartungsvoll in die Runde. Und dann? Statt dem
frenetischen Jubel Tausender Fans gespenstische Stille. Kein Kreischen,
keine anfeuernden Rufe – an der Decke sirrt ein Ventilator.
Die Coronakrise hat alles verändert. Wie wir uns bewegen, wie wir denken,
wie wir arbeiten, wie wir konsumieren, wie wir uns unterhalten. Dies zeigt
sich eindrücklich an leeren Arenen und Stadien. Ohne Publikum gerät der
US-Show-Sport „Professional Wrestling“ zum seltsamsten Ritual der
Unterhaltungskultur.
Ein paar Worte zum Phänomen Professional Wrestling selbst: Offiziell als
„Sports Entertainment“ etikettiert, lässt sich Profi-Catchen zwischen
Theater, athletischer Performance und Show ansiedeln. Bei den Kämpfen
treffen die Performer*innen in einem vermeintlich ergebnisoffenen Kampf
aufeinander, um sich offenbar mit brachialer Gewalt gegenseitig auf die
Matte zu werfen.
## Klar strukturierter Plot
Dabei geriert sich der Showdown im Ring, dem sogenannten squared circle, im
Rahmen eines offenen Geheimnisses: Statt einem sportiven Wettkampf folgen
die Akteur*innen einem klar strukturierten Plot, bei dem Rollen genau
verteilt sind und die Sieger*in von Anfang an feststeht.
Der handfeste Schlagabtausch ist choreografiert und Teil einer
inszenierten, hochathletischen Performance. Dazu gehört auch die
Rollenverteilung: Performer*innen treten in ihren jeweiligen
Ring-Charakteren auf, entweder als heel, Bösewicht, oder als face, die
zumeist siegreiche Held*in. Worum geht es in einem Kampf, dessen Sieger*in
von Anfang an festgelegt ist? Worin besteht der Reiz, der allwöchentlich
Tausende in die Stadien, vor die Bildschirme holt und der immerhin eine
Millionen Dollar schwere Industrie etabliert hat?
Die Antwort liegt in der spezifischen Einbindung des Publikums. Denn im
Profi-Wrestling gibt es nur eine Währung; die Reaktionen der
Zuschauer*innen. Ziel der Performer*innen ist es, das Publikum zu
provozieren, mitzureißen, im Fachjargon, „to create heat“. Das Gebrüll, d…
Jubel der Massen in den Arenen ist fester Bestandteil der Show und wird in
den medialen Übertragungen wieder und wieder hervorgehoben.
## Kein röhrender Applaus
Was passiert, wenn nun, aufgrund einer weltweiten Pandemie, das Publikum
wegfällt? Wenn röhrender Applaus und anspornendes Geschrei ausbleiben?
Seit dem 13. März lässt sich dies vor dem Bildschirm genau beobachten, denn
auch die größte Liga, WWE (World Wrestling Entertainment), hat ihre
[1][Shows vor Publikum] eingestellt. Stattdessen werden die Kämpfe im
sogenannten Performance Center, einer Trainings- und Ausbildungsstätte,
aufgezeichnet: In einem kleinen Raum, vor einer Vielzahl leerer, roter
Plastikstühle.
Damit gerinnen die Shows, ansonsten Massenveranstaltungen mit Musik,
Jumbotron und Feuerwerk, zu einer seltsam ernsthaften Performance. Das
Onlinemagazin Vulture erinnern die Wrestling-Events eher an ein absurdes
Beckett-Stück als an ein TV-Spektakel. Trotzdem wurde entschieden, die
Shows sowie den Höhepunkt der Pro-Wrestling-Saison WrestleMania 36
weiterhin zu übertragen, allerdings auf einem geschlossenen Set und als
Aufzeichnungen.
Die bizarren Umstände bestimmten die Mega-Show, die in diesem Jahr sogar
als „just too big for one night“ angekündigt wurde: Zunächst schien alles
wie immer: Der einstündige Countdown, die Trailer, die WWE-Performer*innen
in heroischen Heldenposen zeigten, der überdrehte Hype der Anmoderation,
das war wie immer.
## Plötzliche Leere – schlagartig ernüchternd
Schlagartig ernüchternd wurde es erst, als die Halle mit dem Ring ins Bild
kam. Eben noch Videoclips mit Massen jubelnder Fans, nun plötzlich Leere,
ein regelrechter Schock. Zugegen waren nur die Ring-Kommentator*innen, das
Kamera-Team und die jeweilige Schiedsrichter*in. Die Kämpfe begannen und es
war – ja, auf eine gewisse Weise – einzigartig.
WrestleMania 36 ohne die Live-Kulisse zeigte Profi-Wrestling auf seine
bizarr-absurde Grundform reduziert: Zwei Menschen, die gekonnt so tun, als
würden sie einander wehtun. Und dann das: Ein Griff, ein Schlagabtausch,
ein Wurf und … nichts. Null, niente. Wo sonst die spontane Rückkoppelung
der Zuschauer aufbrandet, herrscht Stille: Ohne das überraschte „Ohhh“, das
empörte „Buuhhh“ der Menge verliert die Siegerpose ihren triumphalen
Gestus.
Mehr noch, denn vor leerem Raum wirkt die akustische Leere seltsam
enthüllend, denn sie zeigt, wie Profi-Wrestling tatsächlich funktioniert:
als Abfolge von Posen, zugeschnitten auf ein Publikum und seine Reaktionen.
Gleichzeitig wird die Rolle des Publikums klar, das nicht nur als
emotionaler Resonanzboden fungiert. Es ist das Publikum, das mit seinem
Applaus seine Teilhabe an dem Spektakel ausdrückt.
Jeder Ausruf zeigt, wie es sich auf die Inszenierung einlässt. Jeder Ausruf
zeigt die Bereitschaft, das Geschehen im Ring für den Moment als real zu
akzeptieren. Was sich gerade durch das Fehlen des Live-Publikums beobachten
lässt, sind die Strategien, mit denen das Publikum animiert wird – die
direkte Adressierung, eingängige Parolen sowie die wiederholte
Aufforderung, etwas zu glauben, ja zu bestätigen, dass offensichtlich nicht
wahr ist.
Es ist diese kollektive Übereinkunft, die Profi-Wrestling zu eben jenem
besonderen Erlebnis macht, irgendwo zwischen Sport, Akrobatik und
Performance.
## Trump ist erklärter Wrestling-Fan
Dies erscheint allerdings in einem anderen Licht, wenn die Strategien und
Rhetoriken den Wrestling-Ring und seine Arenen verlassen, wenn das
Unterhaltungs-Spektakel für politischen Populismus benutzt wird.
US-Präsident Donald Trump hat dies in den letzten Jahren erschreckend
vorgeführt und es ist keine Überraschung, dass er selbst erklärter
Wrestling-Fan ist. 1988 und 1989 fanden WrestleMania IV und V jeweils im
„Trump Plaza“-Hotel in Atlantik City statt.
Berühmt-berüchtigt sein Auftritt bei dem sogenannten „Battle of the
Billionaires“ 2007. Damals durfte er seinem Gegner, dem Besitzer der WWE,
Vincent McMahon, nach kurzem Kampf den Kopf rasieren. Seither scheint die
Art, wie Trump sich selbst in Szene setzt, noch immer der Wrestling-Welt
entnommen: Die Stilisierung des eigenen Selbst als „Larger than
life“-Figuration, Slogans statt Aussagen und provozierendes Auftreten, das
nur darauf abzielt, heat zu produzieren.
## Showbiz und Politik
Die kumpelhafte Verbindung von Showbiz und Politik ist ein Geschäft auf
Gegenseitigkeit: Linda McMahon, Ehefrau von Vincent McMahon, wurde von der
Trump-Regierung 2016 zur Leiterin der „Small Business Administration“
ernannt und trat letztes Jahr zurück, um den Vorsitz der Pro-Trump-Lobby
„America First Action SuperPAC“ zu übernehmen, eine Organisation, die
Trumps Wahlkampf finanziert.
Kürzlich wurde Vincent McMahon, von Trump als The Great Vince
apostrophiert, in ein Expertenteam berufen, das angesichts der Coronakrise
den Sport wieder mobilisieren soll.
Prompt wurde Profi-Wrestling in Florida als „essential service“ deklariert,
was bedeutet, dass die Shows, trotz geltender Ausgangssperre, weiterhin
produziert werden dürfen. Dass der Spendensammelverein „America First
Action“ kurz vorher verkündet hatte, 18,5 Millionen US-Dollar für Trumps
Wahlkampf in Tampa und Orlando auszugeben, scheint mehr als ein glücklicher
Zufall.
The show will go on – wenn auch weiterhin vor leeren Stuhlreihen.
28 May 2020
## LINKS
[1] /Sport-im-Shutdown/!5674694
## AUTOREN
Marie Simons
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Wrestling
USA
American Pie
Film
Donald Trump junior
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