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# taz.de -- Wrestling als Widerstand: Die Umdeutung seines Körpers
> Marie Losiers kluges Film-Porträt eines berühmten, mexikanischen und
> schwulen Wrestlers „Cassandro the Exotico!“ wird bei MUBI gezeigt.
Bild: Armendáriz alias Cassandro und seine Regisseurin.
Maske gegen Haare! Auf MUBI rückt „Cassandro the Exotico!“ ganz nah an den
berühmtesten schwulen Wrestler der mexikanischen Sportgeschichte und zeigt,
was für Menschen auf dem Spiel steht, wenn sie sich beim Lucha Libre im
Ring treffen. In einigen Kämpfen treten dort Maskierte gegen Unmaskierte
an: Wer verliert, muss sich den Kopf rasieren oder seine Identität
enthüllen.
Cassandro heißt eigentlich Saúl Armendáriz und zog im Ring nur selten den
Kürzeren. Seine großen Kämpfe trug er indes mit sich selbst aus. Ein
filmisches Experiment über das Verhältnis von Popkultur und Tragik.
Regisseurin Marie Losier filmt seit Jahren Menschen, die sich in ihrer
Körperlichkeit und in ihren Überzeugungen gegen das Normative auflehnen. So
drehte sie mit Peaches und Alan Vega, konzentrierte sich für ihren ersten
langen Dokumentarfilm auf die queeren Ikonen Genesis Breyer P-Orridge und
Lady Jaye. Was gleich auffällt: Ihre Dokumentarfilme sind keine faktischen
Abhandlungen, sondern flüssige Annäherungen, die als Porträts ebenso
funktionieren wie als künstlerische Stellungnahmen.
## Das Spielerische herauskitzeln
In „Cassandro the Exotico!“ vermischt sie entsprechend die Ebenen: Da sind
sensationelle Aufnahmen von Armendáriz alias Cassandro, entfesselt im Ring.
Da sind Gespräche hinter den Kulissen, Formen der Selbstinszenierung. Doch
da ist auch ein gemeinsames Inszenieren: Armendáriz wandelt im Bühnenoutfit
durch Landschaften. Wenn Losier ihm bei einem Zusammenbruch Trost spendet,
verhandelt sie ihre Autorinnenschaft.
Andere Szenen schaffen regelrechte Bewusstseinsströme, wenn sich Bilder
beschleunigen und die übrigens analoge Kamera zum Freistil übergeht.
Dauernd ist das Bild unscharf. Eine Zeitlupe zeigt Kinder im Ring, die in
der Zukunft einmal kämpfen wollen. Ein Herumtollen, das auch die
erwachsenen Körper wieder spielerisch werden lässt.
Der Film hat eine Art Refrain: Immer wieder schlagen Körper auf dem
Ringboden auf. Mehrfach setzt der Ton aus, wird asynchron. Erstmals, als es
um den zunehmenden Kollaps von Armendáriz’ Körper geht: „Ich will nicht im
Rollstuhl landen wie mein Trainer.“
Kaum könnte sich eine Sportart besser für einen so freien Film eignen
[1][als Wrestling, wo Kunst und Performance] verschwimmen und Identitäten
sich im ständigen Wandel befinden. Während unter dem Label der Exoticós
seit den 40er Jahren zahlreiche heterosexuelle Performer in Drag auftraten,
auch um sich über Homosexualität lustig zu machen, politisiert Armendáriz
seine Rolle und seine Persona. Wenn er seine sonst wallenden Haare
abschneiden muss, verliert er ein Werkzeug der Umdeutung seines Körpers,
den er normativ-männlichen Lesarten entziehen will. Sich gegen das
Machogetue in der Szene durchzusetzen, ist für ihn eine Prinzipienfrage.
Weil für ihn mehr auf dem Spiel steht als für viele Widersacher, sind seine
Wunden andere. Einen Selbstmordversuch spart Losier aus, dafür geht
Armendáriz selbst auf Drogenexzesse und Alkoholismus ein. Einmal kochen
seine alten Dämonen hoch, die Regisseurin soll die Kamera aus seinem
Gesicht nehmen. „Ich habe nichts gesehen“, meint sie kurz darauf. Weil sie
sich eingesteht, dass sie diesen Mann und seine Geschichte nicht kennt und
sich durch ihren Film nicht einfach alles verändert. Was zentral wird, ist
eine kreative Haltung zur Gegenwart: Eine Branche wandelt sich, eine
Karriere endet, das Leben geht weiter.
18 May 2020
## LINKS
[1] /Maennlichkeit-im-Wrestling/!5483020
## AUTOREN
Dennis Vetter
## TAGS
Film
Mexiko
Homosexualität im Profisport
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Wrestling
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