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# taz.de -- Regisseur über queeres Kino: „Das Autorenkino nervt alle“
> Der Regisseur Christophe Honoré spricht über die Verklärung von schwulem
> Aktivismus und die Figuren seines Films „Sorry Angel“.
Bild: Protagonisten mit Vorbildfunktion? Vincent Lacoste und Pierre Deladoncham…
Alles ist blau in „Sorry Angel“: das Licht, die Kostüme, die Dinge. Im
Paris der 1990er trifft der Autor Jacques auf den Cineasten Arthur. Jacques
(Pierre Deladonchamps, „Der Fremde am See“) ist Vater, schwul, HIV-positiv
und lebt ein bürgerliches Leben. Arthur verliebt sich in Jacques. Man
trifft sich im Kino. Wir treffen Christophe Honoré zu einem Gespräch in
Berlin.
taz: Herr Honoré, „Sorry Angel“ spielt in Paris im Jahr 1993. Warum war
Ihnen das wichtig?
Christophe Honoré: Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist das die Zeit
meiner Jugend, mit der ich viele Erinnerungen verbinde. Zum anderen war
1993 das Jahr, in dem die Aids-Krise auf dem Höhepunkt war. Das war noch
vor der Zeit, in der Medikamente die Krankheit beeinflussen konnten.
Im Film lebt die Hauptfigur Jacques mit Aids. Anfangs ist er nicht
sonderlich sympathisch – er ist vielmehr ein arroganter Snob, der zudem
seine Krankheit vielfach verheimlicht. Nicht gerade eine positive
Identifikationsfigur …
Das Problem ist heute: Sobald du Protagonisten einer bestimmten Minderheit
zeigst, sei es eine sexuelle oder eine ethnische Minderheit, müssen sie
eine Vorbildfunktion erfüllen. In diesen politisch korrekten Zeiten müssen
solche Figuren sympathisch sein. Ich halte das für sehr gefährlich. Ich
finde auch nicht, dass Jacques besonders unsympathisch ist. Er ist kein
vorbildlicher Vater und kein vorbildlicher Freund, als Liebhaber ist er es
schon. Bei der Besetzung habe ich auf den Charme des Darstellers Pierre
Deladonchamps vertraut.
Bereits 1996 haben Sie sich in Ihrem Jugendroman „Mein Bruder Leo“, den Sie
2002 fürs französische Fernsehen verfilmt haben, mit HIV und Aids
beschäftigt. Braucht ein junges Publikum in Zeiten von PEP und PrEP
überhaupt noch Geschichten über die Krankheit?
Es mag verwunderlich klingen, aber weder damals noch heute hatte ich die
Mission, mit meinen Arbeiten Präventionsarbeit zu leisten. „Mein Bruder
Leo“ erzählt aus der Perspektive eines zehnjährigen Jungen, dessen Bruder
Aids hat. Ich war damals der Meinung, dass das auch Teil des Lebens sein
kann, denn jeder kann ein Familienmitglied mit Aids haben. Es war das erste
Mal, dass das Thema in der Kinder-und Jugendliteratur behandelt wurde, aber
es ging mir nicht darum, das Publikum zu warnen. Das ist bei „Sorry Angel“
nicht anders. Auch hier geht es nicht darum, der Jugend zu sagen: Wir
hatten eine tragische Vergangenheit und ihr müsst euch besser schützen. Ich
glaube auch nicht wirklich daran, dass Bücher oder Filme diese Form von
Botschaft transportieren sollen.
In gewisser Weise tun sie das aber …
Mir ist bewusst, dass ich widersprüchlich bin. Mit meinen Filmen will ich
auch eine Antwort auf die sich in Frankreich ausbreitende Homophobie geben
und fühle mich als Künstler in einer Verantwortung. Gleichzeitig will ich
nicht militant sein.
Die Figuren im Film leben in einer privaten Welt. Der Aids-Aktivismus der
Gruppe Act Up ist in „Sorry Angel“ nur eine Fußnote. Ihr Film wirkt wie ein
Gegenentwurf zu „120 BPM“ von Robin Campillo, der letztes Jahr ins Kino
kam. Ist das Private für Sie auch politisch?
Ein Schwulenaktivist der Front homosexuel d’action révolutionnaire
(Homosexuelle Front für revolutionäre Aktionen) sagte einmal: Mein
Arschloch ist revolutionär! Bei Act Up besteht hingegen die Gefahr, ihre
Geschichte zu mystifizieren. Anfang der 1990er bin ich am Welt-Aids-Tag in
Paris auf die Straße gegangen, um mit Act Up zu demonstrieren. Da waren wir
nur etwa 200 Menschen. Wenn man behaupten würde, die meisten Schwulen
hätten sich bei Act Up organisiert und engagiert, wäre das so, als würde
man behaupten, die meisten Franzosen waren in den 1940ern Teil der
Résistance. Beides ist falsch. Deswegen wäre es gefährlich, so zu tun, als
hätte sich die Mehrheit der Homosexuellen damals wahnsinnig militant gegen
Aids engagiert. Ich habe mich zudem nie als einen Vertreter irgendwelcher
Ideen verstanden. Ich kann zwar sagen, ich bin ein homosexueller Künstler,
aber ich weiß nicht, ob sich alle homosexuellen Künstler in mir
wiedererkennen. Meine drei Figuren Jacques, Arthur und Matthieu aus „Sorry
Angel“ repräsentieren im Prinzip nur sich selbst. Man könnte nun auch
sagen: Es sind drei Projektionen meiner selbst in verschiedenen Epochen.
Arthur bin ich mit 20, Jacques bin ich mit etwas über 30, und Matthieu ist
der, der ich demnächst sein werde.
Fast alle Ihre Filme haben queere Elemente. Oft sind es schwule Figuren, in
Filmen wie „Meine Mutter“ oder „Métamorphoses“ gehen Sie in puncto
Sexualität und Körperbilder noch weiter. Können Sie mit dem Begriff „Queer
Cinema“ etwas anfangen?
Erst vor Kurzem ist mir klar geworden, was ein queerer Filmemacher
überhaupt sein soll. Das Harvard Film Archive organisierte eine
Retrospektive meiner Filme und bezeichnete sie als queer. Ich war erst mal
beleidigt und wollte mich durch diese Kategorie nicht einsperren oder
einschränken lassen. Später habe ich dann verstanden, was mit queer gemeint
ist – eben nicht nur homosexuelles, sondern auch bizarres, seltsames,
metamorphosierendes Kino. Das ist eher etwas, womit ich mich anfreunden
kann. In Frankreich sind wir immer noch sehr verklemmt, wenn es darum geht,
sich als Teil einer Gemeinschaft oder Bewegung zu verstehen. Ich würde es
zum Beispiel überhaupt nicht mögen, wenn meine Bücher in Frankreich unter
dem Label „Schwule Literatur“ erscheinen würden. In den USA ist es anders,
aber in Frankreich empfindet man das nach wie vor als Diskriminierung und
lässt sich nicht gerne vereinnahmen. Deswegen haben es die französischen
Feministinnen auch schwer, die darauf bestehen, einer Minderheit
anzugehören.
Gleichzeitig reden Sie über die momentane Homophobie, die in diesen
neokonservativen Zeiten ja nicht nur Frankreich betrifft. Braucht man diese
Nischen in Buchläden, Videotheken oder Filmfestivals nicht auch, um eine
positive Form von queerer Selbstbehauptung überhaupt erst zu erlangen?
Meine Position ist da nicht ganz klar, und ich bin etwas unschlüssig. Als
Franzose habe ich ein großes Problem mit diesen Etiketten. Politisch
gesehen fühle ich mich als Künstler aber verantwortlich, mich gegen
Homophobie zu positionieren, die sich ja immer offener manifestiert. In
Bezug auf schwul-lesbische Filmfestivals oder gesonderte Abteilungen in
Buchhandlungen und Videotheken habe ich immer die Angst, dass wir da ein
bisschen unter uns bleiben. Man ist dann schnell in einem Ghetto. Ich
möchte ja als Filmemacher auch ein heterosexuelles Publikum ansprechen und
nicht nur ein homosexuelles. Die drei Filmemacher, die ich am meisten
verehre, George Cukor, Pedro Almodóvar oder Jacques Demy waren alles
homosexuelle Filmemacher, die mit ihren Filmen ein breites, auch
heterosexuelles Publikum erreicht haben.
In Deutschland wird es immer schwieriger, queere Filme ins Kino zu bringen
oder gefördert zu bekommen. Haben Sie trotz Ihrer Arbeit mit Stars wie
Isabelle Huppert oder Catherine Deneuve Probleme mit Filmförderung?
Das Budget von „Sorry Angel“ ist sehr niedrig gewesen. Es war in etwa das
Gleiche wie bei „Chansons der Liebe“ vor mehr als zehn Jahren am Anfang
meiner Karriere. Ich bin als französischer Filmemacher aber trotzdem
privilegiert. Wäre ich ein deutscher, italienischer oder britischer
Filmemacher, hätte ich statt zwölf Filmen vielleicht nur zwei oder drei
gedreht. Die Form von Autorenkino, das ich mache, wird aber verurteilt, und
wir befinden uns in den letzten Jahren eines goldenen Zeitalters, in dem so
ein Kino überhaupt noch möglich ist. Bestimmte Genres wie Komödien oder
Krimis funktionieren in Frankreich noch, aber das Autorenkino nervt alle.
Es nervt die Geldgeber, es nervt die Fernsehanstalten, und es nervt die
Kritiker. Es war vielleicht mal eine Weile weltweit führend, aber das ist
einfach nicht mehr der Fall. Ein Film wie „Sorry Angel“ stellt also auf
eine gewisse Art eine Form von Widerstand dar.
25 Oct 2018
## AUTOREN
Toby Ashraf
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