# taz.de -- „God’s Own Country“ im Kino: Eine leise Rebellion gegen die Z… | |
> Francis Lees Spielfilmdebüt „God’s Own Country“ erzählt so differenzi… | |
> wie intensiv von ländlicher Unzufriedenheit und vom Aufbegehren. | |
Bild: Szene aus „God’s Own Country“ | |
Der junge John Saxby kotzt sich regelmäßig die Seele aus dem Leib. Wenn der | |
Tag langsam über den Bergen West Yorkshires anbricht und nichts als | |
verhangene Landschaften freilegt, macht sich schnell ein Gefühl breit, das | |
man pauschal als Trostlosigkeit bezeichnen möchte: Landleben, wortkarge | |
Menschen, Knochenarbeit auf einem Bauernhof, dazu ein kranker Vater und | |
kranke Schafe. Die Farbpalette des Lebens hier reicht von Braun-Grau zu | |
Blau-Grau, bis die Sonne, die sich ohnehin nie zeigt, wieder untergeht und | |
sich Saxby bis zum Erbrechen besäuft. | |
Regisseur Francis Lee kennt das Leben West Yorkshires, ist dort | |
aufgewachsen und groß geworden, bevor er in London begann, Schauspiel zu | |
studieren. Später kehrte er in die entlegene Region Nordenglands zurück und | |
drehte verschiedene Kurzfilme auf einem Fleck Erde, den er selbst als | |
Heimat bezeichnet. | |
Seine letzte dokumentarische Arbeit, bevor er mit „God’s Own Country“ | |
seinen ersten Langspielfilm drehte, handelt vom letzten Bauern West | |
Yorkshires, Carson Lee, Francis Lees Vater. Keines seiner Kinder will den | |
Bauernhof übernehmen und in West Yorkshire bleiben. Es ist gewissermaßen | |
die Geschichte vom „letzten Mann“. | |
Dieser letzte Mann ist hier John Saxby, gespielt von Josh O’Connor, dem man | |
seinen alltäglichen Widerwillen, seine unfreiwillige Rolle als | |
Traditionserbe und seine Sehnsucht nach einem anderen Leben in jeder | |
Einstellung ansieht. Francis Lee versteht ziemlich famos, durch Saxby ein | |
Lebensgefühl zu transportieren, das man gerne von außen als „authentisch“ | |
quittieren möchte, ohne auch nur einen einzigen Tag in West Yorkshire Zäune | |
geflickt oder Kälber gehäutet zu haben. Dass sich in „God’s Own Country“ | |
von der ersten Minute an eine beinahe physisch Erfahrbarkeit breitmacht, | |
liegt vor allem an Lees sensibler und vorsichtiger Inszenierung. | |
## Geschichte des Begehrens | |
Die Kamera von Joshua James Richards baut keine Panoramen des Elends, | |
sondern ist täglicher Begleiter eines Lebens, das nicht erst erfunden | |
werden musste. Die Musik traut sich nur selten, die leisen Alltagsgeräusche | |
zu ersetzen, und die Sprache der Menschen zeugt eher von Milieu als von | |
Schauspiel. | |
Ach ja, und John Saxby ist schwul. Das bekommt man kurz zu Beginn des Films | |
in einer lieblosen Begegnung mit einem Zufallsbekannten mit. Als allerdings | |
der rumänische Saisonarbeiter Gheorghe auf die Farm kommt, wird es zum | |
zentralen Punkt der Geschichte. | |
Das zu beschreiben klingt in etwa so klischiert wie die Schilderungen eines | |
trostlosen Landlebens, das man selbst nie erlebt hat, und so verwundert es | |
kaum, dass vielen nichts Besseres einfiel, als „God’s Own Country“ als das | |
„Brokeback Mountain“ Englands zu bezeichnen, ein Label, das auch Francis | |
Lee mittlerweile nicht mehr hören kann. | |
Denn anders als in Ang Lees preisgekröntem, aber wenig emanzipativen | |
Melodrama um zwei schöne, doch zum Unglück verdammte Schwule, deren | |
Schicksal allein in den Händen einer homophoben Gesellschaft zu liegen | |
schien, geht es Francis Lee bei seiner Geschichte des Begehrens vor allem | |
um ein Aufbegehren. Es geht um Klasse, Tradition und den Versuch einer sehr | |
leisen Rebellion gegen eine Zukunft, die beruflich und persönlich seit | |
Geburt in Stein gemeißelt zu sein scheint. Dadurch entsteht, anders als bei | |
Ang Lee, ein differenziertes, filmisch wesentlich intensiveres Bild einer | |
Unzufriedenheit, deren Ursprung eben nicht nur in sexueller Identität zu | |
finden ist. | |
26 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
## TAGS | |
Kino | |
Spielfilmdebüt | |
Kinostart | |
Spielfilm | |
Hollywood | |
Irakkrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Film von Ang Lee: Schwierige Abschüsse | |
Ang Lees „Gemini Man“ über einen Auftragskiller und dessen Klon wird wegen | |
der „3D+“-Bildtechnik als Sensation angepriesen. Ist er das auch? | |
Regisseur über queeres Kino: „Das Autorenkino nervt alle“ | |
Der Regisseur Christophe Honoré spricht über die Verklärung von schwulem | |
Aktivismus und die Figuren seines Films „Sorry Angel“. | |
Nachruf auf Schauspieler Martin Landau: Bela Lugosi is dead | |
Seine Rolle als Bela Lugosi in „Ed Wood“ machte ihn berühmt. Der | |
Dracula-Darsteller und Oskarpreisträger verstarb in Los Angeles im Alter | |
von 89 Jahren. | |
Filme über den Irakkrieg: Das Trauma in der Halbzeit | |
„Die irre Heldentour des Billy Lynn“ von Ang Lee zeigt die irritierende | |
Begegnung von US-Kriegsveteranen mit der Wirklichkeit. |