| # taz.de -- Neuer Film von Ang Lee: Schwierige Abschüsse | |
| > Ang Lees „Gemini Man“ über einen Auftragskiller und dessen Klon wird | |
| > wegen der „3D+“-Bildtechnik als Sensation angepriesen. Ist er das auch? | |
| Bild: Woher kommt der Typ, der mir so ähnlich sieht? Henry Brogan (Will Smith)… | |
| In der Mail, die die Agentur kurz vor Filmstart von „Gemini Man“ an die | |
| berichterstattende Presse schickte, werden die „wichtigsten Fakten zu 3D+ | |
| auf einen Blick“ aufgeführt. Man erfährt da, dass es sich um ein | |
| „evolutionäres digitales Format“ handelt, mit „einer Bildrate von 60 | |
| Bildern pro Sekunde“, die aus noch höheren „120 Bildern pro Sekunde“ | |
| generiert wurde – damit würde sich die Bildrate (also die | |
| Bildwechselfrequenz) „stärker als je zuvor an das annähern, was das | |
| menschliche Auge sieht“. | |
| Durch „mehr Tiefe“ könne der Betrachter mehr im Bild erleben, und auch die | |
| „emotionale Tiefe“ würde von den Filmemachern so besser umgesetzt. Fazit: | |
| 3D+ ergebe schlichtweg „das beeindruckendste Kinoerlebnis, das derzeit in | |
| einem Filmtheater möglich ist“. | |
| Das menschliche Auge kann, je nach Wissenschaftsmeinung, bei diesen hohen | |
| „frames per second“ (fps) nur zum Teil mithalten: Es erkennt bei den | |
| höheren Frequenzen zwar Unterschiede, die sich in visuellen Artefakten, | |
| einer größeren Klarheit äußern – das Gefühl, alles tiefenschärfer, | |
| deutlicher zu sehen, bleibt allerdings diffus. | |
| Doch beeindruckend ist es tatsächlich: Bei „Gemini Man“ schaut man durch | |
| die 3D-Brille aus dem dunklen Kino in ein (je nach Leinwandgröße) riesiges, | |
| blankgeputztes Fenster. Und heraus schaut, noch näher als zum Greifen nah, | |
| das Gesicht von Will Smith. Freundlich, glatt und immer auf der Hut. | |
| Denn Smith spielt den für die Regierung [1][arbeitenden Auftragskiller] | |
| Henry Brogan, einen Mann, für den Sehschärfe ebenfalls lebenswichtig ist: | |
| Auf Brogans Treffsicherheit auch bei schwierigen „Abschüssen“ können sich | |
| die Auftraggeber*innen verlassen. Brogan kann einem Terroristen in einem | |
| fahrenden Schnellzug aus zwei Kilometer Entfernung das Gehirn wegpusten – | |
| und tut dies in der Exposition von Ang Lees nach einem Drehbuch von David | |
| Benioff und Billy Ray inszenierten Actionabenteuer auch. | |
| ## Der Mystery Man | |
| Eigentlich sollte der 72. „Kill“ jedoch Brogans letzter sein – der | |
| 51-jährige Feldveteran will sich zur Ruhe setzen. Stattdessen kommt er | |
| einer Verschwörung auf die Schliche, in die der vermeintliche Terrorist, | |
| der sich als unschuldig herausstellt, ebenso verwickelt war wie Brogans | |
| Auftraggeber Clay Verris (Clive Owen). | |
| Nur wenige Tote später wird Henry Brogan, dessen junge Kollegin Danny | |
| Zakarweski (Mary Elisabeth Winstead) ihm mittlerweile mit Witz und | |
| Schlagkraft zur Seite steht, von einem mysteriösen Agenten gejagt, der | |
| Henrys Schritte vorauszuahnen scheint – und Danny alsbald zu der Frage | |
| verleitet: „Hast du einen Sohn, Henry?“ | |
| Denn der Mystery Man weiß nicht nur, was Brogan denkt, er sieht ihm auch | |
| noch ähnlich wie ein (junges) Ei dem (alten) anderen. Was daran liegt, dass | |
| Clay ihn vor 25 Jahren heimlich aus Brogans DNA klonte (beziehungsweise | |
| dass er von Programmierer*innen komplett per CGI – Computer Generated | |
| Imagery – erschaffen wurde). | |
| Die Prämisse von „Gemini Man“ ist nicht neu: Klongeschichten sind ein | |
| Kino-Standard, genau wie mittlerweile der Einsatz von CGI. Die genetische | |
| Blaupause für die „Klonarmee“ im Star-Wars-Universum war ein Krieger namens | |
| „Jango Fett“, in der animierten, seriellen Fernsehadaption „Clone Wars“ | |
| wurden – einigermaßen kindgerecht – zudem Fragen zum Thema Identität und | |
| Verhaltenskongruenz verhandelt. | |
| „Die Insel“ von 2005 lässt zwei naive Klone die schlechte Welt und später | |
| auch ihre echten Vorbilder entdecken. Wild (noch analog) geklont wurde | |
| bereits in Harold Ramis’ Komödie „Vier lieben dich“ von 1996. Und im Jahr | |
| 2015 fungierte in „Terminator – Genisys“ Arnold Schwarzeneggers Antagonist | |
| als CGI-geborener, jugendlich-properer Klon seiner selbst. | |
| Dass nun Will Smiths merkwürdig leblos wirkender Computer-Klon in „Gemini | |
| Man“ bei 120 fps äußerlich auch aus der Nähe überzeugt, könnte an Smiths | |
| Botox-Vorliebe liegen – das echte Gesicht des Superstars nähert sich, so | |
| scheint es, der artifiziellen Überzogenheit auf der Leinwand an. | |
| ## Altmodischer Actionkracher | |
| Doch die vorwiegend in großen, hellen Bildern erzählte Handlung schert sich | |
| nicht um die im Klon- und Identitätsthema schlummernden erzählerischen | |
| Abgründe und bleibt von Anfang an hinter ihrem Format zurück: „Gemini Man“ | |
| ist trotz seiner Ultrabrillanz nicht mehr als ein altmodischer | |
| Actionkracher mit wenig überraschenden Held*innen und Antagonist*innen, | |
| belanglosen Dialogen, einem an die schwächeren James-Bond-Musiken | |
| erinnerndem Soundtrack des Hans-Zimmer-Kollegen Lorne Balfe und einer Lücke | |
| dort, wo die Figurenzeichnung interessant werden könnte. | |
| Smiths zaghafte Versuche, seinen Charakter als zutiefst zweifelnden, an der | |
| Grenze zur Depression balancierenden Auftragskiller zu beschreiben, | |
| scheitern – einerseits an Smiths unablässig aus ihm herausströmender guter | |
| Laune, die trotz anhaltender Kritik an seiner Scientology-Zugehörigkeit nie | |
| versiegt: Bitterkeit liegt ihm einfach nicht. | |
| Andererseits scheinen den „Tiger & Dragon“-, „Life of Pi“- und „The I… | |
| Storm“-Regisseur Ang Lee, der dem seit Jahren schwelenden Prestige-Projekt | |
| erst spät und mit ausgesprochenem Interesse an der neuen „High | |
| Frame“-Technik beitrat, die Figuren wahrhaftig kaltzulassen. So zeigt er | |
| Brogan als kumpeligen Typen, dessen persönliche Tragik – er ist ein | |
| vielfacher Mörder ohne Beziehungserfahrung – seine Moral nur sachte | |
| durchschüttelt. | |
| Die für den klischierten weiblichen Action-Sidekick typische normative | |
| Schönheit und Jugend von Danny wird zwar in einer Szene humorvoll | |
| herausgearbeitet – immerhin ist die Agentin nicht süß-tölpelig, sinkt nicht | |
| ständig in jedermanns Arme und arbeitet nicht im Bikini. Doch der am | |
| Computer entstandene Brogan-Klon kann die dürftige emotionale Dramatik mit | |
| seiner technisch eingeschränkten Ausdruckskraft auch nicht steigern. | |
| Die Möglichkeiten, die tatsächlich hinter der abstrusen Geschichte stecken | |
| könnten – wie oder wie wenig ähnlich sind sich zwei genetisch gleiche | |
| Menschen, die in verschiedenen Umgebungen aufwachsen? Wie kann man 72 | |
| (Auftrags-)Morde verwinden? –, ignoriert der Film. | |
| ## Wie damals, als das Fernsehen auf HD umschaltete | |
| Somit gerät er selten derartig intensiv, dass eine Dringlichkeit entsteht – | |
| und wenn, dann geschieht dies vor allem durch die ungewöhnliche Ästhetik: | |
| Bei der langen, von Egoshooter-Perspektiven wimmelnden Showdown-Sequenz | |
| zwischen den Beteiligten in einer Garage wird die Düsterheit der Umgebung | |
| und der Story (immerhin wurde ein kleiner, niedlicher Klonjunge zur | |
| Kampfmaschine ausgebildet) spürbar. | |
| Überhaupt ist die hohe Bildrate in nächtlicher Atmosphäre viel | |
| beeindruckender – die hellen, von Dion Beebe gefilmten Bilder der Dialoge | |
| wirken ein bisschen wie damals, als das Fernsehen auf HD umschaltete und | |
| man ob des plötzlich sichtbaren Alters der Nachrichtenmoderator*innen | |
| erschrocken vom Bildschirm zurückwich. | |
| Wenn die „High Frame Rate“ à la 3D+ also tatsächlich die Zukunft des Kinos | |
| sein sollte, und irgendetwas muss es ja retten, dann müssten Geschichten | |
| vielleicht ein wenig anders erzählt werden. Dann müssen Schauspieler*innen | |
| damit arbeiten, wie surreal deutlich und wenig verschattet man ihre Mimik | |
| wahrnimmt, und Regisseur*innen und Directors of Photography müssen jede | |
| Ecke ihres opulenten, hochauflösenden Rahmens mit Bildideen füllen. Damit | |
| könnte der Eskapismus, der dem Kino (erst recht in 3D) immanent ist, noch | |
| steigen, gemeinsam mit der „emotionalen Tiefe“. Das wäre Kintopp vom | |
| Feinsten. | |
| 3 Oct 2019 | |
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| [1] /Westernparodie-The-Sisters-Brothers/!5575512 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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