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# taz.de -- Regisseur über Aids-Film „120 PBM“: „Nicht über die Geister…
> In den 90er-Jahren trat der französische Regisseur Robin Campillo „ACT
> UP“ bei. Sein Film erzählt von den politischen Aktionen der
> Aktivistengruppe.
Bild: Beim Tanz auf einer Parade: Nahuel Pérez Biscayart spielt einen ACT-UP-A…
taz: Robin Campillo, HIV wird mittlerweile von vielen Ärzten mit Diabetes
verglichen, da es eine chronische, aber behandelbare Krankheit sein kann.
Zudem gibt es mit PreP und PeP mittlerweile Medikamente, die vor einer
Infektion schützen oder einen Ausbruch verhindern können. In Ihrem Film
„120 BPM“ kehren Sie zurück in das Frankreich der 1990er Jahre. Worin
bestand die Dringlichkeit, jetzt einen Film über die Zeit zu machen, als
HIV noch Tod bedeutete?
Robin Campillo: Der Film hat, ehrlich gesagt, keine direkte Verbindung zur
Epidemie heute. Diesen Film zu machen war gewissermaßen eine egoistische
Entscheidung, denn seit dem Ausbruch der Aids-Epidemie wollte ich etwas
tun, wusste aber nicht, was. Ich befand mich in einer Schockstarre. 1982
war ich 20 und hatte schreckliche Angst, mich anzustecken oder andere zu
infizieren. Zur gleichen Zeit begann ich an der Filmhochschule zu
studieren, um Regisseur zu werden, und hatte gleichzeitig Angst, dass das
Kino für mich an Wichtigkeit verlieren würde. Zwischen der Epidemie und
meinem Willen, Filme zu machen, herrschte ein ständiger Kampf.
Wie sind Sie da rausgekommen?
Als ich 1992 der Aktivist*innengruppe ACT UP beitrat, war das wie eine
Neugeburt für mich. Ich war nicht mehr allein, hatte keine Angst mehr und
konnte endlich dieser großen Sache ins Gesicht schauen. Die Idee, über die
Epidemie einen Film zu machen, hatte ich schon lange. Vor 14 Jahren hatte
ich bereits anderthalb Jahre an einem Drehbuch gearbeitet, das aber nicht
gut genug war. Ich brauchte sehr lange, um zu verstehen, dass ich über
diesen Moment von ACT UP reden möchte, in dem wir uns aus unterschiedlichen
Gründen entschlossen, der Krankheit und dem Rest der Gesellschaft ins
Gesicht zu blicken. Wir haben uns damals mit großem Enthusiasmus neu
erfunden, und das war für uns alle großartig. Diese Momente der Bewegung
hatte ich jahrelang vor Augen, aber erst vor acht Jahren habe ich
verstanden, dass ich darüber meinen Film machen musste. Die Jahre der
Aids-Epidemie zählen zu den prägendsten meines Lebens. Ein bisschen habe
ich diese Zeitreise auch für mich gemacht.
Wie kam es dann letztendlich zum Film?
Bei meinem vorherigen Film „Eastern Boys“, bei dem ich eine große Crew
hatte, redete ich mit meinem Produzenten, weil ich mehr Drehtage brauchte.
Er sagte Nein, aber ich erwiderte, dass er mir noch viel schulde, weil ich
damals seinen toten Freund, der an Aids gestorben war, für die Aufbahrung
hergerichtet hatte. Das ist bei uns zum Running Gag geworden, und es
schockiert natürlich immer Außenstehende, das zu hören, es ist aber wie bei
Ärzten, die über eine schlimme Krankheit sprechen müssen. Einer anderen
Produzentin, die die Zusammenhänge nicht kannte, erzählten wir dann unsere
Geschichte und sie meinte, wir müssten jetzt einen Film darüber machen.
Was waren die Argumente?
Zum einen, meinte sie, macht man es sonst später nicht mehr, zum anderen
reden wir nicht mehr über Aids. Da erkannte ich, dass es wichtig war,
nochmal über diese Zeit nachzudenken. Zum einen, weil unter jungen schwulen
Männern wenig über Aids geredet wird und sie damit viel Verantwortung auf
ihren Schultern tragen, zum anderen weil chemische Drogen beim Sex eine
immer größere Rolle spielen. Das heißt nicht, dass die Leute automatisch
unverantwortlich gegenüber HIV-Infektionen sind, aber ich glaube, dass es
immer noch eine große Angst gibt.
Ich will niemanden mit meinen Erfahrungen belehren. Da ich aber mit
größtenteils schwulen und queeren Schauspieler*innen gearbeitet habe,
wusste ich, dass ich ihnen eine emotionale Genealogie der Epidemie
zurückgeben wollte. Ich wollte erklären, wie wir vor 25 Jahren mit der
Epidemie umgegangen sind, und wollte dies nicht unbedingt politisch,
sondern viel eher emotional oder sinnlich und mit viel Ehrlichkeit
rüberbringen.
Sie waren selbst Teil der ACT-UP-Bewegung und der Film beinhaltet viele
Szenen, die detailliert etwa die Strategien der Gruppe gegen die
Pharmakonzerne beschreiben. Dies ist in einem ähnlich semi-dokumentarischen
Stil gefilmt wie „Die Klasse“ von Laurent Cantet, bei dem Sie für das
Drehbuch mitverantwortlich waren. Warum haben Sie eigentlich keinen
Dokumentarfilm über die Bewegung drehen wollen?
Das ist eine gute Frage, aber es war für mich immer sehr klar, dass es kein
Dokumentarfilm werden würde …
Warum?
Hätte ich einen Dokumentarfilm gemacht, hätte ich das schon vor Jahren
gemacht. Ich wäre in die Archive gegangen, und es wäre ein Film über die
Vergangenheit geworden. Das wäre ein historischer Film geworden, aber ich
wollte nicht über die Geister sprechen. Ich wollte der Geschichte eine neue
Gegenwart geben. Außerdem suchte ich die Konfrontation mit jungen schwulen
Männern und lesbischen Frauen. Das war für mich wichtiger. Ich wollte diese
Zeit wieder zum Leben erwecken, ohne einen …
Geschichtsfilm zu machen …
Das hätte mich gelangweilt! Ich wollte eine bestimmte Gegenwart wieder zum
Leben erwecken! Dieser Bezug zu einer bestimmten Gegenwart macht den Film
realer, fast wie einen Dokumentarfilm, aber zeitgleich ist es alles
Fiktion, da ich alles erneut erfinde. Dafür gab es viele Gründe, aber ich
glaube, mein Hauptgrund war, mich mit einer jungen Generation schwuler
Männer/queerer Menschen auseinanderzusetzen. Denn es geht darum, sich über
diese Epidemie auszutauschen.
Das klingt nach einer engen Zusammenarbeit zwischen Ihren
Schauspieler*innen und Ihnen. Würden Sie dem zustimmen?
Nicht unbedingt. Als wir die Szenen im Plenum geprobt haben, musste ich
einiges umschreiben, da ich merkte, dass vieles nicht zwischen uns
verstanden wurde. Ich mag es, mein Publikum zu verlieren, aber nicht so
sehr …
Sie wollen Ihr Publikum verlieren?
Ja. Ich mag es zum Beispiel nicht, dem Publikum eine Szene zu erklären und
ihm genau zu sagen, wo ich mich gerade in der Geschichte befinde, so als
wäre das Publikum ein Kind, das ich bei der Hand nehmen muss.
Dieser Film wird nun von der Edition Salzgeber verliehen. Manfred Salzgeber
war der Erste, der in Deutschland Filme über das Thema Aids in die Kinos
brachte, bevor er selbst an Aids starb. Sein Mitstreiter Wieland Speck
zeigte die ersten Safer-Sex-Videos in den Darkrooms Berlins. Gab es eine
Verbindung zwischen den Kämpfen in Frankreich und Deutschland?
Es gab eine Verbindung. Wir gingen alle zur Berliner Aids-Konferenz 1993,
wovon auch der Film erzählt. Da habe ich das erste Mal Aktivist*innen von
ACT UCP Berlin, New York und San Francisco getroffen. Da haben wir erkannt,
dass wir nicht viel über die Lage in den anderen Ländern wissen. Es ist in
der Tat schwierig, vieles zu verstehen. Zum einen ging es darum, die Idee
von Darkrooms für uns zu verteidigen. In Frankreich wollten wir dort mehr
Gleitgel und Kondome verteilen und mehr mit den Menschen sprechen, was oft
ein Kampf war. Aber wir wollten, dass es Darkrooms weiterhin gibt. Es ging
aber mehr um das Gespräch mit den anderen, was oft schwer zu verstehen war.
Wir wollten eine Akzeptanz für Homosexualität erreichen.
1 Dec 2017
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Aktivismus
Schwerpunkt HIV und Aids
TV-Serien
Spielfilm
Homosexualität
Dokumentarfilm
Schwerpunkt HIV und Aids
Lesestück Recherche und Reportage
Lesestück Interview
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