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# taz.de -- Ausstellung im Schwulen Museum Berlin: Geheime Topografie der Lust
> Eine Ausstellung im Schwulen Museum Berlin blickt auf die Klappe als den
> Ort einer großen, demokratischen Vögelei zurück.
Bild: Paris 1959, ein Pissoir auf dem Boulevard des Capucines, Teil der Ausstel…
Irgendwann Anfang der 90er Jahre wollte ich vom Omnibusbahnhof am Funkturm
in Berlin mit einer Mitfahrgelegenheit nach Düsseldorf fahren. An der
U-Bahnstation Kaiserdamm stieg ich aus und beschloss, vor der Abfahrt noch
eine der Toiletten zu benutzen. Bepackt mit einem Rucksack und einer
Reisetasche schob ich mich in eine der Toilettenzellen und muss vor lauter
Gepäck das Loch übersehen haben, das jemand in die hölzerne Toilettenwand
geklopft hatte.
Wer beschreibt meine Überraschung, als sich – kaum hatte ich die Tür
geschlossen – durch das Loch ein langer, erigierter Penis schob. Ich
erinnere mich noch genau an das Gefühl des Mitgefühls, das mich angesichts
des nackten Geschlechtsteils überfiel, welches mir da so ungeschützt und
verletzlich entgegengestreckt wurde. Offenbar war man sich seiner Sache
hier ziemlich sicher.
Einigermaßen verdattert trat ich den Rückzug an. Als ich die Tür der
Toilettenzelle öffnete, bot sich mir ein Anblick, den ich auch ein
Vierteljahrhundert später nicht vergessen habe. Eine Truppe, die aussah wie
eine Mischung aus den Village People und den Komparsen eines späten
Fassbinder-Films, lehnte in einer Reihe an der Wand gegenüber den
Waschbecken und sah mich schweigend an.
## Anbahnungsort für Kontakte
Ich erinnere mich an Schnauzbärte, rasierte Schädel, abgeschnittene Jeans-
über Lederjacken, verspiegelte Pilotenbrillen, Hosen und Uniformmützen aus
schwarzem Kunstleder, Ketten. Innerlich bereitete ich mich auf die erste
Vergewaltigung meines Lebens vor. Aber die Männer ließen mich ohne
sichtbare Regung passieren und folgten meinem überstürzten Abgang nur mit
den Augen.
Ich bin nie wieder in eine solche Situation geraten – die BVG und der Senat
begannen Anfang der Neunziger, öffentliche Toiletten zu schließen und durch
selbstreinigende „City Toiletten“ zu ersetzen, deren Betrieb sie nichts
kostete. Aber solange es sie gab, bedeuteten die „Klappen“ für viele
Schwule „Freiheit zum Abenteuer“, wie eine Ausstellung im Schwulen Museum
zeigt.
Der französische Fotograf Marc Martin hat erst in seiner Heimatstadt Paris,
dann in Berlin nach den Relikten einer Zeit gesucht, als öffentliche
Toiletten als Anbahnungsorte für zufällige und flüchtige sexuelle Kontakte
unter Männern dienten. Er selbst hat seine ersten sexuellen Erfahrungen auf
Pariser Aborten gemacht, bevor diese in der französischen Hauptstadt in den
80ern dichtgemacht wurden.
Die BVG hat ihm einige der lange geschlossenen Klos aufgemacht, und der
Künstler konnte auf der Suche nach dieser verlorenen Zeit mit Modellen die
elysischen Szenen nachstellen, die er dort einst erlebt hat.
## Orgien unter Zufallsbekanntschaften
In ausführlichen Interviews im Katalog erinnern sich Nutzer der Berliner
Klappen daran, wie in einer Zeit, in der Homosexualität strafbar war, in
der Halböffentlichkeit der Pissoirs Orgien unter Zufallsbekanntschaften
stattfanden, aber auch langjährige Beziehungen ihren Anfang nahmen. Manche
Menschen haben ihre beglückendsten sexuellen Erfahrungen mit Fremden in
zugigen, öffentlichen Toiletten gemacht – umweht vom Geruch von Ammoniak,
Klosteinen und kaltem Rauch und ohne die Privatheit, die den Sex im
Schlafzimmer auszeichnet.
„Ich rede davon, als ob es gestern war, dabei ist es fast 40 Jahre her“,
erinnert sich ein Interviewpartner an die Türken, die sich von ihm in den
80er Jahren in den unterirdischen Toiletten am Hermannplatz und
Mehringdamm, Ecke Yorkstraße „bedienen“ ließen, „was mir durchaus gefie…
Die Klappen seien für Schwule das gewesen, was Bordelle für Heterosexuelle
seien, findet ein anderer Gesprächspartner – allerdings mit dem
erfreulichen Unterschied, dass man in der Klappe meist nichts bezahlen
musste.
Wieder ein anderer findet, dass in den Klappen ältere Schwule jüngere in
die Sexualität einführten. Die Klappe als Ort einer großen, demokratischen
Vögelei – das kommt immer wieder in den Schilderungen vor, wenn beschrieben
wird, wie sich dort Jung und Alt, Arbeiter im Blaumann und Bürohengst mit
Anzug und Ehering kurz sehr nahekamen. Auch Künstler von Verlaine über
Genet zu Frank Ripploh – dessen Film „Taxi zum Klo“ auch eine Ode an eine
Toilettenanlage am Großen Stern ist – und Bruce La Bruce haben die Klappe
in ihren Werken thematisiert.
## Observation in Hamburg
Auch wenn man sich von dem geschilderten Treiben auf den Klappen nicht
angemacht fühlt, fasziniert doch die Vorstellung, wie sich hier eine
geheime Topografie des Verlangens über die Stadt legt, die den meisten
ihrer Bewohner unbekannt war – oder nonchalant übersehen wurde.
Anders als in Hamburg, wo die Polizei durch Spiegelscheiben in öffentlichen
Toiletten Schwule observierte, wurde in Berlin die Klappenszene über
Jahrzehnte ignoriert. „Wenn die Polizei die Klappen hätte schließen wollen,
hätte sie das immer tun können“, meint ein regelmäßiger Gast im Interview.
Doch lange leisteten sich Großstädte auf der ganzen Welt den Luxus,
ambivalente Räume zuzulassen, die von einigen ihrer Bewohner zu ganz
anderen Zwecken genutzt wurden als die, für die sie eigentlich gedacht
waren. In der zunehmend durchorganisierten, durchleuchteten und
videoüberwachten Stadt von heute würde solche Heterotopie eher stören.
## Ausbrechen aus der Bubble
In Zeitalter von Schwulenehe und Unisex-Toiletten scheinen die Klappen
daher auch als ein Relikt aus einer Zeit, als Homosexuelle durch
gesellschaftliche Ausgrenzung und Strafverfolgung zu einer Subkultur im
Untergrund gemacht wurden. Die Suche nach Partnern für schnellen Sex hat
sich erst in die Dark Rooms, dann zu Apps wie Grindr und Scruff verlagert.
Doch ein Artikel über die Ausstellung in der Siegessäule mahnt: „Klappen
boten die Chance, aus unserer eigenen Sex-Bubble auszubrechen, Dating-Apps
hingegen sind Echokammern unserer sexuellen Fantasien. Das Dunkle, das
Unbekannte, das einen so großen Teil dessen ausmacht, was wir als Erotik
bezeichnen, hat in dieser schönen neuen Welt sexueller Abziehbilder keinen
Platz mehr.“
Trotzdem bleiben den Nachgeborenen von diesen untergegangenen Jagdgründen
nur Fotos und Dokumente wie die [1][in der Ausstellung im Schwulen Museum].
Sogar einige historische Klotüren aus dem U-Bahnhof Breslauer Platz in
Friedenau kann man hier bewundern. Die sind mit Schmierereien übersät, auf
denen sich „große, gut gebaute“ Männer „mit starker Körperbehaarung“
anbieten oder mit denen nach Kerlen mit Schweißfüßen gesucht wird. Und für
einen kurzen Augenblick scheint es im Museum schwach nach Urin und
Flüssigseife zu riechen.
13 Jan 2018
## LINKS
[1] /Ausstellung-im-Schwulen-Museum-Berlin/!5473914
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
## TAGS
Homosexualität
Schwules Museum
80er Jahre
Schwerpunkt Debatte über Kolumne in der taz
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Aktivismus
Rosa von Praunheim
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