# taz.de -- Ausstellung im Schwulen Museum Berlin: Sexuelle Melancholie | |
> „Klappen“ sind verschwunden, Männertoiletten, die auch schwule | |
> Kontaktorte waren. Trauer lohnt jedoch nicht: Heute gibt es andere Orte. | |
Bild: Pissoirwand mit Graffiti, Foto von Marc Martin in der Ausstellung „Fens… | |
Diese Ausstellung im Schwulen Museum* ist ja leider von einigen aus dieser | |
Institution selbst moralisch in Misskredit gebracht worden: Über Klappen, | |
also öffentliche Toiletten der Männer, die früher sexuelle, aber auch | |
soziale Anbahnungsorte waren, geht diese Exposition, so richtig mit | |
nachgebautem Gruppenpissoir. Sehr eindrücklich, sehr erhellend, sehr | |
nachfühlbar. | |
In einem Infobrief der von schwulen Männern tapfer und hartnäckig | |
aufgebauten Institution hieß es nur wegwerfend, entwertend, das sei ein | |
Ding von cis-weißen Männern. Schwule Männer also, musste man diese | |
Invektive verstehen, zählen nicht mehr als Überlebende von Homophobie, | |
nicht mehr als in den meisten Jahren ihrer Leben Benachteiligte, | |
Kleingehaltene, Diskriminierte. | |
Tatsächlich umweht diese museale Intervention über eine „Geheime Topografie | |
der Lust“, wie hier in der taz gestern Tilman Baumgärtel sehr schön | |
beschrieb, eine gewisse Sehnsucht, eine inzwischen ja ortlose Melancholie: | |
Klappen zum Wichsen, gemeinsamem Schwänzeangucken, zum Begehren und zur | |
visuellen wie haptischen Befriedigung von vielerlei Appetitformen gibt es | |
nicht mehr. | |
Wer unbedingt pullern muss, geht einfach ins nächste Café oder hat sowieso | |
keine Notdurft zu verrichten (was zwar merkwürdig anmutet, da doch in den | |
vergangenen Jahren kein Mann mehr ohne Stilles-Wasser-Flasche aus dem Haus | |
ging, als sei die Metropole eine Wüste, in der das Verdursten droht, sei’s | |
drum …). | |
## Neue Orte der Spontananbahnung | |
Nun gab es immer Theorien im schwulen Wissenschaftsbereich, in denen | |
behauptet wurde, existiere dereinst die Verfolgung homosexueller Männer nur | |
noch in geringer Weise, verschwänden auch die Orte des Sexuellen, die für | |
Unterdrückung stünden. Klappen beispielsweise. So wie so viele Theorien | |
waren auch diese irrig: Die Welt ist insgesamt sauberer, hygienischer und | |
vielleicht auch steriler geworden – da war für Klappen als | |
gleichgeschlechtliche Erotikhäuser kein Platz mehr. | |
Dass es aber eine Topografie der sexuellen Spontananbahnung nicht mehr | |
gäbe, ist falsch. Nur sind es der digitalen Zeit angemessen andere Plätze: | |
Sie wechseln – denn sie stiften sich über Grindr oder andere Dating-Apps. | |
Die akute sexuelle Hingabe nach dem Aktualortsprinzip: Man guckt, wer | |
gerade in der Nähe ist. Der Rest ist oft eine Frage von örtlichen | |
Gegebenheiten, ein Zimmer zu Hause oder gar manchmal ein Stundenhotel. | |
Das hat natürlich nicht mehr den Charme, das Verlockend-Gefahrvolle, wie | |
Klappen eben einst waren – es war ja auch eine Topografie der Gefahren, | |
homophober Schläger oder Erpressungsopfersucher: Aber die Klage über den | |
Verlust der sexuellen Stand-Up-Plätze lohnt keine Kulturkritik. Denn, nicht | |
wahr, durch die Liberalisierungen seit Anfang der Siebziger ist der | |
testosterone Druck interessanterweise auch gesunken. | |
14 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Schwules Museum | |
Geschichte | |
Architektur | |
Homosexualität | |
Französischer Film | |
Homosexualität | |
Homosexualität | |
Homosexualität im Profisport | |
Sex | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Film „Vier Tage in Frankreich“: Die Dating-App bestimmt die Reise | |
In „Vier Tage in Frankreich“ verlässt Pierre seinen Partner und reist ohne | |
Ziel durchs Land. Sein treuester Begleiter ist die Dating-App Grindr. | |
Homosexualität und Psychoanalyse: Zu Ehren Martin Danneckers | |
Der Sexualwissenschaftler hat viel dazu beigetragen, die Psychoanalyse von | |
ihren heteronormativen Schlacken zu befreien. Eine Tagung widmete sich ihm. | |
Ausstellung im Schwulen Museum Berlin: Geheime Topografie der Lust | |
Eine Ausstellung im Schwulen Museum Berlin blickt auf die Klappe als den | |
Ort einer großen, demokratischen Vögelei zurück. | |
Fußball und Homosexualität: Und das Matterhorn steht immer noch | |
Ein Schweizer Schiri outet sich als schwul. Er erntet gewogene Reaktionen. | |
Will denn selbst im Fußball keiner mehr offen homophob sein? | |
Sexualwissenschaftler Martin Dannecker: Idol, Ikone und dafür viel Applaus | |
Dannecker studieren heißt das gute, schwierige Leben zu studieren: | |
„Faszination Sex“, die Schau zu seinen Ehren läuft im Schwulen Museum* | |
Berlin. |