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# taz.de -- LGBTI*-Widerstand gegen die Polizei: Militanz mit Resonanz
> Niemand war LGBTI*-Menschen so verhasst wie die Polizei. Das hat sich
> durch eine öffentlichkeitswirksame Aktion im Jahr 1980 zum Besseren
> gewendet.
Bild: Corny Littmann 1980, damals eine Berühmtheit in der alternativen Theater…
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der
taz,ausgelöst durch die Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“.] Als
pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeitder
Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden
weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer
Webseite: [2][taz.de/kolumnendebatte].
Sieben Männer und eine Frau waren an diesem sommerlichen Montagabend im
Jahr 1980 mutig, aus einer Idee Praxis werden zu lassen: Sie, die Schwulen
und die Lesbe, zogen zum Hamburger Spielbudenplatz, einer Freifläche der
Reeperbahn. Zwei Tage zuvor hatte es in Hamburg erstmals einen CSD gegeben
– klein, aber lautstark. Am Rande des Umzugs hatten Zivilpolizisten aus
einem Auto heraus Fotos von CSD-Teilnehmer:innen gemacht. Das war
mindestens – verdächtig.
Jetzt war der 30. Juni und längst dunkel, aber vor Mitternacht. Dort, in
Wurfweite der legendären Davidwache, zog das Grüppchen in einen sinistren
Keller – die Klappe, wie es einschlägig hieß, die öffentliche Toilette,
auf der sich homosexuelle Männer trafen, gern auch zum sexuellen Kontakt.
An der Spitze des Trupps – Corny [3][Littmann], eine Berühmtheit in der
alternativen Theaterszene („Brühwarm“) und seit kurzem Mitspitzenkandidat
der Grün-Alternativen zur Bundestagswahl. Im Toilettenraum im Souterrain:
gähnende Leere. Niemand sonst da?
## Der Stuhl hinterm Spiegel
Das wollte Littmann, viele Jahre später einer der mächtigsten
Theaterprinzipalen der Hansestadt und erster schwuler Klubpräsident des FC
St. Pauli, das wollten sie alle genauer wissen: War hinter dem [4][Spiegel]
am Rande der Pinkelbecken ein Polizist, der womöglich die (schwul
agierenden) Männer beobachten und gegebenenfalls zur Polizeiwache bringen
ließ, um dort ihre Personalien aufzunehmen? Gerüchteweise wusste man das
ja, es fehlte nur der Beweis. In der Tat konnte nun mit Hilfe eines Hammers
bewiesen werden, dass hinter Einwegspiegeln Polizisten sitzen: Littmann &
Co. fanden dort einen Tisch und einen Stuhl.
Medien waren zuvor über die Aktion informiert worden. Was folgte, war eine
Berichterstattung, die Hamburgs SPD-Senat erheblich unter Druck setzte, ihn
gar zugeben ließ, dass die Bespitzelungen auch dazu dienten, „Rosa Listen“
zu führen, Personenregister von homosexuellen Männern, rosa genannt, weil
dies die entmännlichende Farbe des Winkels für schwule Häftlinge in den
NS-Konzentrationslagern war. Geoutet zu werden als schwul, womöglich
erpressbar durch Einträge in Polizeidateien? Gleichbedeutend mit der
Zerstörung einer bürgerlichen Existenz.
Ein paar Tage später, inzwischen waren weitere Klappenspiegel zertrümmert
worden und alle Blätter schrieben empört von diesen Zuständen, auch die
damals noch junge taz, sogar der NDR berichtete, kam es erneut zu einer
Demonstration gegen die staatliche Spitzelei: Sehr viel größer war dieser
Umzug nun, viele Heteros solidarisierten sich. War der CSD zuvor noch ein
Manifest der Selbstvergewisserung, erreichte diese Demo, explizit
politisch, auch jene, die sich selbst nicht, wie man heute sagen würde, als
queer identifizierten.
## Diskriminatorischer Verfolgung der Boden entzogen
Ein Erfolg für die wachsende politische Bewegung der „Queers“ – elf Jahre
nach Aufhebung der Nazifassung des Paragrafen 175, der männliche
Homosexualität generell kriminalisierte. In einer Zeit, noch vor Aids, in
der Schwules (und Lesbisches) sagbar wurde und das Gebot der Diskretion
(„Sprich nicht über Igittigitt-Dinge“), wurden nun polizeistaatsähnliche
Methoden gegen die „Schwuchteln“, „warmen Brüder“ und „Hinterladen“
illegitim, illegal waren sie ja schon.
Mit der Nacht der Hammerschläge wider die Schwulenbespitzelung war
staatlicher, explizit diskriminatorischer Verfolgung Homosexueller
moralisch der Boden entzogen worden. Aus Verfolgten wurden Menschen, die
auch polizeilich als das genommen wurden, was sie in dieser Hinsicht vor
allem waren: Opfer von Nachstellung und Verfolgung. Seither musste sich die
Polizei einem grundlegenden Wandel unterziehen. Heute arbeiten
LGBTI*-Beamte dort (immer häufiger) ganz offen. Die meisten Bundesländer
haben in ihren Polizeien [5][LGBTI*-Ansprechpersonen], an die sich
Bürger:innen – auch polizeiintern – bei Diskriminierung wenden können.
Militanz lohnt also – wenn sie das Momentum erwischt, Allianzen über die
eigene Szene hinaus zu stiften.
28 Jun 2020
## LINKS
[1] /!5689584/
[2] /!t5696698/
[3] /Alternatives-Urgestein-Corny-Littmann/!5030861/
[4] https://www.spiegel.de/geschichte/corny-littmann-spricht-ueber-die-diskrimi…
[5] https://www.mann-o-meter.de/db/die-ansprechpartnerin-der-berliner-polizei-f…
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Debatte über Kolumne in der taz
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Pride Parade
Schwerpunkt LGBTQIA
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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FC St. Pauli
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