| # taz.de -- Albert Serra über seinen Film „Liberté“: „Ich will kraftvol… | |
| > Der spanische Regisseur Albert Serra glaubt an die Gewalt nackter Körper | |
| > und an intime Kameras. Und an das Chaos beim Dreh seines Spielfilms | |
| > „Liberté“. | |
| Bild: Im Spielfilm „Liberté“ zeigt Albert Serra die psychologischen Schatt… | |
| Letztes Jahr, die Volksbühne Berlin unter Chris Dercon: [1][Albert Serras | |
| „Liberté“ feiert Premiere] und sorgt für Frustmomente. Der Stoff verspric… | |
| Entgleisung, doch Serra stellt die Weichen anders als erwartet. Die | |
| Schauspieler wirken verloren auf der Bühne, die Aufführung dauert | |
| zweieinhalb Stunden. Komplette Verweigerung, auf der Bühne und im Publikum. | |
| Das verwunderte an sich wenig: Der katalanische Regisseur ist bekannt | |
| dafür, Sehroutinen zu sabotieren. Jetzt gibt es eine [2][Filmversion von | |
| „Liberté“, die wurde im Mai in Cannes] mit dem großen Preis der Jury | |
| ausgezeichnet. Was den Film vom Stück unterscheidet, erläutert er im | |
| Gespräch. | |
| taz: Herr Serra, was fragen Sie sich nach der Arbeit an „Liberté“? | |
| Albert Serra: Warum es heutzutage unmöglich ist, im Theater etwas | |
| Interessantes zu schaffen! Schon bevor ich mir etwas ansehe, weiß ich, was | |
| mich erwartet. Es ist so langweilig. Theaterschauspieler wollen den Applaus | |
| des Publikums, haben ständig das Bedürfnis, mit dem Publikum zu | |
| kommunizieren. Für mich fühlt sich eine solche Kommunikation wie Sklaverei | |
| an. Im Theater entkommt niemand dem Ganzen. Außer vielleicht Bob Wilson, | |
| der Menschen benutzt, als wären sie Objekte. Die Arbeit an „Liberté“ hat | |
| viele Gedanken aufgeworfen, die auch mit der vorherigen Arbeit an „Roi | |
| Soleil“ zusammenhängen – einer Performance, die zum Film wurde. Ich denke | |
| weiter über Dramaturgien nach, die sich einem Spannungsbogen verweigern. | |
| Daran möchte ich weiter arbeiten, auch beim Schreiben spielt das eine | |
| Rolle. Ich will Dramaturgien schaffen, die eine noch größere Freiheit | |
| ermöglichen, die Leerstellen noch stärker auskosten. | |
| Was offenbart die Kamera in der Filmversion, das die Bühne nicht zeigen | |
| konnte? | |
| Erstens die Nacktheit als Bestandteil des Körpers. Im Theater ist das | |
| Publikum zu weit weg, es fehlt der Sinn für die Gewalt und Aggression des | |
| nackten Körpers. Das Kino kann dem Körper näher kommen, die Nacktheit | |
| genauer betrachten. Allein diese Nähe entfaltet eine Kraft. Man muss | |
| wissen, wie man mit ihr umgeht. Es gibt ein stärkeres Gefühl für Intimität. | |
| Einige Menschen, einige Schauspieler fühlen sich sogar allein vor einer | |
| Kamera, sie wird zum Teil des Raums. Sie kann ihnen ganz nahe kommen und | |
| wahrt dennoch eine Unschuld. Die Kinoversion von „Liberté“ ist so intim, so | |
| nah, so verzweifelt. Der Film lässt sich viel genauer auf die Logik der | |
| Nacht und den sexuellen Körper ein. Außerdem ermöglicht die Filmversion ein | |
| Spiel mit Perspektiven, das im Theater kaum möglich ist. Das Publikum | |
| taucht auf eine andere Weise ein, kann Voyeur sein, mitten ins Geschehen | |
| treten, ertappt werden. Im Film wird unklar, was sich außerhalb und | |
| innerhalb des Bildkaders abspielt, letztlich, was real ist. Die Distanz und | |
| Position zum Gezeigten gerät durcheinander. Es entsteht eine Art | |
| Schwebezustand, geprägt von sexuellen Verlockungen. | |
| Sie sprechen von einer Gewalt des Körpers, von einer Konfrontation, die im | |
| Kino möglich wird. Was motiviert Sie, Menschen dieser Gewalt auszusetzen? | |
| Ich will kraftvolle Bilder erzeugen, es gibt für mich keinen anderen Weg. | |
| Ich habe versucht, in einigen Filmen mehr Leichtigkeit zu finden, es gibt | |
| ironische Momente in allen. Aber nur mit Ironie lässt sich kein Film | |
| machen. Ein Film ist ein Kunstwerk, das Kino gehört zur zeitgenössischen | |
| Kunst. Also ist ein organischer Zugang notwendig, ein Gefühl der | |
| Wahrhaftigkeit: Je gewaltvoller dieses Gefühl ist, desto mehr Energie | |
| entsteht. Nur wenn ich starke Bilder erzeuge, wecken sie Interesse und | |
| setzen Energie frei. Ohne eine solche Energie bleibt alles trockene | |
| Theorie. Wenn ich beim Dreh in der Gruppe für Reibung sorge, will ich, dass | |
| die andern gegen mich rebellieren. Das beflügelt den Prozess. Einigen ist | |
| das zu viel. Aber eine solche Vorstellung des Aufruhrs schafft ein Gefühl, | |
| das größer ist als jede Idee – das jede Idee und Bedeutung zerstört. In der | |
| Vergangenheit habe ich oft beschrieben, wie sehr ich Schauspieler hasse, | |
| wie sehr ich es mag, sie zu foltern. Heute stehen die formalen Fragen auf | |
| der Suche nach den richtigen Bildern für mich im Zentrum. | |
| Seit Ihrem [3][Film „Der Tod von Ludwig XIV.“] arbeiten Sie zunehmend mit | |
| renommierten Namen, dort spielte Jean-Pierre Léaud die Hauptrolle. Für | |
| „Liberté“ besetzten Sie Helmut Berger. Interessieren Sie sich für die | |
| Kinobegriffe, die mit Ihren Karrieren verbunden sind? | |
| Ich bin nicht besessen davon. Weder davon, ein Erbe zu erhalten, noch es zu | |
| zerstören. Meine Arbeit mit diesen Menschen ist aber mit ästhetischen | |
| Fragen verbunden: Ich will Klischees vermeiden und sie von dem trennen, was | |
| sie in früheren Filmen gemacht haben. Mein System macht es ihnen unmöglich, | |
| wie gewohnt zu arbeiten. Die Drehs sind extrem chaotisch und daran müssen | |
| sie sich anpassen. Und das scheint einigen tatsächlich zu gefallen. Weil | |
| sie erschöpft sind von sich selbst. Sie sind dankbar. In gewisser Art und | |
| Weise ähnelt unsere Zusammenarbeit einer Freundschaft, einer Freundschaft | |
| mit drei Kameras. | |
| In „Liberte“ versuchen einige Adlige kurz vor der Französischen Revolution, | |
| die Philosophie einer schamlosen individuellen Freiheit aus Frankreich zu | |
| exportieren. Nachts im Wald wollen sie ihr Denken bis in die letzte | |
| Konsequenz ausleben. Manches scheitert jedoch an den Grenzen der | |
| Beteiligten. Bricht ihre Utopie also zusammen? | |
| „Liberté“ ist mit einer gewissen Dekadenz verbunden, mit der Kehrseite des | |
| Utopischen. Der Film fragt, was passiert, wenn eine Utopie erzwungen wird. | |
| Ein Balzac-Buch hat mich sehr beeinflusst, es heißt „Béatrix“ und trägt … | |
| Untertitel „Die erzwungene Liebe“. In der Geschichte gab es immer wieder | |
| Beispiele für Formen der Libertinage, für Umstände, die auf natürliche | |
| Weise zur Befreiung des einzelnen Menschen führten. Wird eine Utopie | |
| hingegen erzwungen, bleibt zwar der Idealismus, aber es entsteht auch | |
| Reibung. Eine Reibung, die etwas Dunkles in sich trägt. Daraus speisen sich | |
| die psychologischen Schattenseiten dieses Films. | |
| Das Thema scheint Sie zu beschäftigen. Bereits Ihr erster Film „Crespia – | |
| The Film not the Village“ von 2003 entfaltete eine Art Punk-Utopie. | |
| Als ich anfing, Filme zu drehen, wollte ich eine neue Lebensweise finden, | |
| das Leben interessanter und lustiger machen. Das Kino ermöglicht das – | |
| anders als etwa die Literatur, die sich nur im Kopf abspielt. „Crespia“ | |
| betrachte ich als frühen Amateurversuch, aber die Utopie der Zeit ist für | |
| mich aktuell. In all meinen Filmen scheint sie durch. Nicht nur bezogen auf | |
| den Lebensentwurf dahinter, sondern auch im Rahmen meiner Erzählungen und | |
| Charaktere: „Don Quijote“ verhandelt die Idealisierung von Freundschaft. In | |
| „Birdsong“ geht es um die Pioniere. „Story of My Death“ handelt vom | |
| Auskosten des Moments und von der Neugierde. | |
| Der neue Film dreht sich nun um die Libertins, die etwa für ihren absoluten | |
| Glauben an die Kraft der Sprache bekannt sind. Gleichermaßen lehnen sie das | |
| Natürliche ab, verabscheuen es regelrecht. Beides scheint eng mit dem Kino | |
| verbunden zu sein, das ja an sich eine technische Form ist. | |
| Für mich ist der wichtigste Aspekt des Kinos, dass es Fantasien herstellt. | |
| Die Kamera nimmt der Realität, der Natur ihre inneren Zusammenhänge und | |
| verknüpft sie mit Absichten und Gestaltungsweisen. Sie macht die Realität | |
| origineller, interessanter, energetischer. Darin liegt für mich der Kern. | |
| Sie kann einfangen, was dem Auge entgeht. Das Auge ist menschlich, wird | |
| müde, lässt sich ablenken, gehorcht Ideen. Die Kamera hingegen steht | |
| einfach da. Von den Utopien, die vor und hinter ihr liegen, bleibt sie | |
| unberührt. | |
| 12 Sep 2019 | |
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| Dennis Vetter | |
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