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# taz.de -- Doku „Tardes de soledad“ über Stierkampf: Eleganz der Tierquä…
> Der Regisseur Albert Serra dokumentiert im Film „Tardes de soledad“ die
> Absurdität des Stierkampfs. Er zeigt Brutalität, Narzissmus, Mut und
> Triumph.
Bild: Männlich? Der Star von „Tardes de soledad“, der 28-jährige Matador …
Es war eine kluge Entscheidung von Albert Serra, die Protagonisten in
seinem Dokumentarfilm „Tardes de soledad – Nachmittage der Einsamkeit“
allesamt mit Ansteckmikrofonen zu versehen, ehe sie ein ums andere Mal die
Stierkampfarena betreten und ihre grausige Show darbieten. Ansonsten gäbe
es kein Zeugnis von der unfreiwilligen Komik, die sich unter den Toreros,
den spanischen Stierkämpfern, abspielt, wenn das blutige Schauspiel
vollbracht ist.
„Du hast solche Eier“, „Danach wollen alle dir einen blasen“, „Deine …
sind größer als die ganze verdammte Arena“, Sätze wie diese rufen sie ihrem
Matador zu, dem Torero, der mit dem Stier tanzt und ihm am Ende des Kampfes
mit dem Degen den Todesstoß versetzt.
Die Kamera hat bis dahin in steter Genauigkeit und äußerster Geduld das
nach strengen Regeln ablaufende Spektakel verfolgt. Wie der Stier zunächst
vom Pferd aus mit einem Lanzenstoß im Nackenbereich verletzt wird. Wie ihm
darauf mit bunten Bändern versehene Spieße in den Rücken gestoßen werden,
sodass ihm das Blut den ganzen Körper hinunterläuft. Wie der Matador mit
dem Stier unter Einsatz der Muleta, des dunkelroten oder rosafarbenen
Tuchs, zu tanzen beginnt. Und wie er schließlich seinen Mut oder wahlweise
seine großen Eier beweist, indem er dem geschwächten und gequälten Stier
den Degen in den Nacken rammt und dieser langsam zusammenbricht, bis das
Licht in seinen Augen gänzlich erloschen ist.
Albert Serra hat mit dieser radikalen und provokativen Darstellung einen
Film geschaffen, wie er kaum auszuhalten ist.
Im Zentrum von „Tardes de soledad“ steht der peruanische Star-Matador
Andrés Roca Rey, der von einer spanischen Stierkampfarena zur nächsten
tourt. Die Dramaturgie des Films ist dabei ganz simpel. Neben den Szenen in
den Arenen begleitet die Kamera Rey auf seinen Fahrten im Tourbus und in
den Fünf-Sterne-Hotels, in denen er sich für den nächsten Kampf vorbereitet
und sich in seine bunten Kostüme zwängt. All das zeigt Serra in
Großaufnahmen. Nie ist das Publikum oder die komplette Arena zu sehen.
## Sich Zeit für das Erzählen lassen
Der formstrenge Film verweigert sich jeglicher Kontextualisierung. Es gibt
keine Interviews, man erfährt nichts über seinen Protagonisten. Wie schon
in seinen vorherigen Spielfilmen, etwa in [1][„Pacifiction“] oder [2][„Der
Tod von Ludwig XIV.“], lässt sich Serra Zeit für das Erzählen, um genau
hinzuschauen. Es passiert wenig in den rund zwei Stunden, aber dieses
wenige gibt Raum für Gedanken.
Was geht Rey durch den Kopf, wenn er mit Schweißperlen auf der Stirn im Bus
sitzt, gemeinsam mit seiner Torero-Entourage, die ihn unentwegt in den
Himmel lobt? Ist er genervt, oder ist das Streicheln des Egos unabdingbar
für den Narzissmus eines gefeierten Stierkämpfers? Wenn die Kamera ihn beim
Tanz mit dem Stier in den Fokus nimmt, scheinen sich die Rollen von Mensch
und Tier umzukehren. Sein Gesicht verformt sich zur animalischen Fratze,
während sich in den dunklen Augen des mit dem Tod kämpfenden Stieres eine
tiefe Anmut ausdrückt.
Gleichzeitig steckt in dem Machismus, der sich auf dem sandigen Boden der
Arenen Bahn bricht, etwas zutiefst Homoerotisches. Das liegt nicht nur an
der unentwegten Lobpreisung männlicher Geschlechtsorgane, sondern vor allem
an den schmuckvollen Kostümen der Toreros, die angesichts der verübten
Grausamkeit grotesk wirken.
Wenn sich Rey im Hotelzimmer gleich einem Ritual die weiße Strumpfhose über
seinen jungenhaften Körper bis zur Brust hochzieht oder sein Assistent ihm
die mit floralen Stickmustern versehene, hautenge und glitzernde Hose wie
einen Rock über die Beine stülpt, lässt das an die Vorbereitungen einer
Dragqueen denken. Seine pinken Socken, die Ballerina-Schuhe und der
schwarze Hut, der an Mickey-Mouse-Ohren denken lässt, tun ein Übriges.
## Der Matador beginnt mit seinem Tanz
Einen gewissen Mut kann man dem eitlen, erst 28-jährigen Andrés Roca Rey
nicht absprechen, wenn er nach einem weiteren Kampf, der sogenannten
Corrida, in seinem blutbefleckten Kostüm dem applaudierenden Publikum dankt
und der tote Stier neben ihm von zwei Pferden aus der Arena gezogen wird.
Der Stier mag zwar durch die Zurichtungen seiner Torero-Kollegen geschwächt
sein (erst, wenn sich sein Kopf durch die Nackenverletzungen fast bis zum
Boden gesenkt hat, beginnt der Matador mit seinem Tanz), doch das wuchtige
Tier ist nach wie vor gefährlich.
Wenn Rey sein Kreuz durchdrückt und auf Zehenspitzen den Stier in einer
Kreisbewegung mit dem Muleta dirigiert, passieren auch ihm Fehler, die ihn
das Leben kosten können und den Atem der Zuschauer:innen stocken lassen.
„Tardes de soledad“ ist ein so faszinierender wie fesselnder
Dokumentarfilm, der die Gemüter spaltet. Warum sollte der aus der Zeit
gefallenen Tierquälerei solch eine Aufmerksamkeit geschenkt werden? Albert
Serra entzieht sich einer Wertung oder eines Urteils, er beobachtet nur.
Und diese Beobachtung offenbart die Absurdität des Stierkampfs, wie man sie
selten gezeigt bekommt. Es geht um Mut und Ehre. Eleganz und Brutalität.
Narzissmus und Triumph.
Abgesehen davon wissen wir am Ende nur wenig über Andrés Roca Rey, der als
„Messi der Matadore“ bezeichnet wird und dessen Stierkämpfe im Nu
ausverkauft sind. In diesem Zusammenhang hat es durchaus etwas Ironisches,
dass Rey, wie Albert Serra jüngst in einem Interview offenbarte, vom Film
anscheinend enttäuscht ist. Der Grund: Er sei ihm zu brutal.
2 May 2025
## LINKS
[1] /Film-Pacifiction-von-Albert-Serra/!5909511
[2] /Spielfilm-Der-Tod-von-Ludwig-XIV/!5422065
## AUTOREN
Tobias Obermeier
## TAGS
Dokumentarfilm
Stierkampf
Tierquälerei
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Verschwörung
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