# taz.de -- Dokumentarfilm „Gaucho Gaucho“: Umgang mit Tieren und Lasso | |
> Der Dokumentarfilm „Gaucho Gaucho“ von Michael Dweck und Gregory Kershaw | |
> zeigt die Cowboys Argentiniens. Er beobachtet in entschleunigten Bildern. | |
Bild: Gaucha Guada und Gaucho Tati in „Gaucho Gaucho“ | |
Die weite Landschaft und der Horizont sind im Western weit mehr als „nur“ | |
das. Sie markieren den Raum von Schicksalen und Verheißungen, stehen für | |
romantische Naturverbundenheit oder sind menschenfeindliches Terrain und in | |
ihrer ganzen metaphorischen Aufgeladenheit gern auch Abbilder der | |
Seelenlandschaften der selbst mythologisch aufgeladenen Figuren. | |
All dessen sind sich, das zeigt ihr visuell beeindruckender Film „Gaucho | |
Gaucho“, der Fotograf und Maler Michael Dweck und der Kameramann Gregory | |
Kershaw sehr bewusst. In wunderschönen Schwarz-Weiß-Bildern fangen sie die | |
kargen Landschaften der Region Salta im Nordwesten Argentiniens ein und | |
porträtieren die Gauchos, die südamerikanischen [1][Cowboys], die dort | |
zwischen Kühen und Pferden ihr traditionsbewusstes Dasein fristen. | |
Weltpremiere feierte der Film beim Sundance Film Festival 2024, wo er den | |
U. S. Documentary Special Jury Award in der Kategorie „Sound“ gewann. | |
Gleich in der ersten Szene fokussiert die Kamera auf einen Gaucho, der | |
inmitten eines Feldes wie zu einer Siesta auf seinem ebenfalls liegenden | |
Pferd liegt. Wenig später entfernen die beiden sich in Richtung der | |
wolkenverhangenen Berge und die Verbunden- und Vertrautheit zwischen Mensch | |
und Tier, die diesen Film begleitet, wird buchstäblich spürbar. Kurz darauf | |
galoppieren drei Gauchos in pittoresker Zeitlupe durch die Prärie. | |
In völlig entschleunigten Bildern folgt „Gaucho Gaucho“ verschiedenen | |
Protagonisten rund um ein, wie Sanito es in seiner Radiosendung nennt, | |
historisches „Dorf mit den fünf Namen“. Der Film zeigt Sanito beim | |
Moderieren in seinem kleinen Radiostudio, beim Zeitungsaustragen zu Pferde | |
und als Ansager beim Rodeo. | |
Zum Rodeo verschlägt es einmal auch die 17-jährige Guada, die sich in der | |
archaischen Männerdomäne als Gaucha durchsetzen möchte. Das Business mit | |
den Pferden ist ein Hartes und Gefährliches, wie ihr ein Mentor einmal | |
erklärt – nach ihrem Rodeo-Auftritt, den der Film nicht zeigt, sondern nur | |
das plötzliche Raunen des Publikums hören lässt, humpelt sie auf Krücken | |
durchs Bild. Guada meint es mehr als ernst. „Ich bin eine Gaucha und das | |
ist meine Tracht“, sagt sie ihrer Lehrerin, als sie wegen ihrer fehlenden | |
Schuluniform ermahnt wird. In ihrer Geschichte spiegelt sich ein wenig | |
[2][der langsam voranschreitende Wandel in dem maskulinen Kosmos] wider. | |
## In der Prärie unterwegs | |
Salano, ein junger Vater, weiht seinen fünfjährigen Sohn liebevoll in das | |
Handwerk ein und bringt ihm alles bei. Die beiden sind in der Prärie | |
unterwegs, Salano zeigt seinem interessierten Nachwuchs, wie er seine | |
Messer gescheit schleift, und gibt ihm allerhand Tipps. Worauf es wirklich | |
ankommt, das fasst ein alter Hase einmal zusammen: Ein Gaucho müsse mit | |
Tieren umgehen und Lasso werfen können und zufrieden sein mit dem, was er | |
habe. | |
Dweck und Kershaw widmen sich hier einmal mehr einer vom Aussterben | |
bedrohten, traditionellen Subkultur. In „The Truffle Hunters“ folgte das | |
Regieduo alten Trüffelsuchern und ihren Hunden durch die Wälder | |
Norditaliens auf der Suche nach der begehrten weißen Trüffel und entwarf | |
auch ein Porträt des kapitalistischen Systems dahinter. | |
„The Last Race“ blickte auf Eigentümer einer traditionellen | |
Stock-Car-Rennstrecke auf Long Island und den Kampf um deren Erhalt. Auch | |
der Mikrokosmos in „Gaucho Gaucho“ stemmt sich, gleich einem gallischen | |
Dorf, gegen das brachiale Tempo und die Gesetze der modernen, irgendwo | |
hinter dem Horizont lauernden Welt. | |
## Kondore reißen Kälber | |
In Miniaturen erzählt der Film von Menschen, die mit ihren Hunden das Vieh | |
durch die Landschaft treiben, die Handarbeit schätzen und im Einklang mit | |
der Natur leben, auch wenn diese es ihnen nicht immer leicht macht. Ihr | |
Land wird von Dürren heimgesucht, und nachdem die immer wieder über den | |
Himmel kreisenden Kondore ein Kalb gerissen haben, sagt ein Gaucho: „Wir | |
zahlen den Preis dafür, dass sie überleben.“ | |
Der dokumentarfilmische Western setzt seinen Protagonisten und ihrem | |
Lebensstil mit seiner ausgiebig zelebrierten Ästhetisierung ein | |
kinematografisches Denkmal – „Beautiscope“ bezeichnen die Regisseure ihr | |
Filmformat, eine Fusion aus Schönheit und dem Bildformat Cinemascope. | |
Einzig in den Momenten, in denen Gespräche ganz offensichtlich für die | |
Kamera arrangiert wirken, die starke Inszenierung also selbst krass spürbar | |
wird, verliert der Film kurz seine Magie, von der er lebt. | |
„Gaucho Gaucho“ überstilisiert den Alltag der Gauchos und brennt ihn auf | |
die Leinwand. Und auch der Soundtrack entrückt diese sehr filmische Welt | |
leicht mit Opernsounds aus Bizets „Die Perlenfischer“, mit argentinischer | |
oder venezolanischer Folkmusik und zeitgenössischen Künstlern wie Alex | |
Ebert. Selten entführt ein Dokumentarfilm so schön in eine eigene Welt mit | |
eigenen Gesetzen und kratzt dabei an Grenzen zum Spielfilm. | |
11 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Balkenborg | |
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