| # taz.de -- Doku über Fotografen Ernest Cole: Seine Qualen sind nicht heilbar | |
| > Raoul Peck zeichnet in „Ernest Cole: Lost and Found“ das Leben des | |
| > südafrikanischen Fotografen nach. Der Dokumentarfilm ist so persönlich | |
| > wie politisch. | |
| Bild: Eines der Fotos aus dem Südafrika der Apartheid in „Ernest Cole: Lost … | |
| Als 1967 der Bildband „House of Bondage“ erscheint, verändern die Fotos vom | |
| Leben im Südafrika der Apartheid das Bild des Landes nachhaltig. Ernest | |
| Cole hatte über Jahre das Leben in Südafrika dokumentiert: endlose | |
| Polizeikontrollen, Entrechtung und Ausbeutung auf der Arbeit und immer | |
| wieder Schilder, die das Machtgefälle, das in den Bildern mal subtil, mal | |
| unübersehbar enthalten ist, offen markieren. | |
| Ein Jahr bevor der Bildband erscheint, hat Cole Südafrika verlassen. Das | |
| Buch wird umgehend verboten. „House of Bondage“ macht ihn im Ausland als | |
| Fotograf bekannt und verdammt ihn zu einem Leben im Exil, aus dem er nicht | |
| zurückkehren kann. | |
| Raoul Peck hat dem Fotografen den Dokumentarfilm „Ernest Cole: Lost and | |
| Found“ gewidmet, der vor fast genau einem Jahr als Special auf dem | |
| Filmfestival in Cannes Premiere feierte und das Goldene Auge, den Preis für | |
| den besten Dokumentarfilm, gewann. Nun, kurz bevor Raoul Pecks neuster Film | |
| über George Orwell in einem Monat wiederum in Cannes Premiere feiern wird, | |
| kommt „Ernest Cole: Lost and Found“ endlich auch in deutsche Kinos. | |
| Inspiriert von Cartier-Bressons | |
| Cole wird 1940 in Eersterust, einer Township in der Nähe Pretorias, | |
| geboren. Im Mai 1958 wird er Assistent des deutschen Fotografen Jürgen | |
| Schadebergs, der seit Ende der 1940er Jahre in Südafrika lebt. Kurz darauf | |
| fällt ihm ein erstes Fotobuch in die Hand: Cartier-Bressons „The People of | |
| Moscow“. In Cartier-Bressons Dokumentation des Alltags erkennt der | |
| angehende Fotograf einen Zugang zum Medium, der ihm liegt. | |
| Raoul Peck greift in „Ernest Cole – Lost and Found“ ein Element auf, dass | |
| er schon in [1][„I Am Not Your Negro“, seinem Film über James Baldwin], | |
| genutzt hat: Er erzählt das Leben des Fotografen zum Großteil in dessen | |
| eigenen Worten. Gesprochen werden die Texte von dem Schauspieler Lakeith | |
| Stanfield. | |
| Das einzige Mal, dass Coles eigene Stimme zu hören ist, ist in einem | |
| Interviewfilm des schwedischen Fotografen Rune Hassner von 1969. Daneben | |
| sind unzählige Fotos Coles zu sehen, neben jenen, die in „House of Bondage“ | |
| publiziert wurden, auch viele, die erst 2017 in einem Schließfach einer | |
| schwedischen Bank wiedergefunden wurden. | |
| Nach seinem Gang ins Exil versucht Cole in den USA als Fotograf zu leben, | |
| findet sich aber schnell festgelegt auf die Dokumentation Schwarzen Lebens | |
| in den USA, in New York und im Süden der USA. Doch auch wenn die | |
| Lebensumstände durchaus Ähnlichkeiten zu Südafrika zeigen, ist es nicht | |
| länger – wie er selbst feststellt – seine eigene Lebensrealität, die er | |
| fotografiert. | |
| Rückkehr nach New York | |
| Ende 1968 ist er ziemlich desillusioniert: „Als ich von zu Hause wegging, | |
| dachte ich, ich würde mein Talent auf andere Aspekte des Lebens | |
| konzentrieren. Aber was ich in den letzten drei Jahren in diesem Land | |
| erlebt habe, hat mich eines Besseren belehrt. Die Wahrheit aufzudecken, | |
| koste es, was es wolle, ist eine Sache, aber ein Leben lang der Chronist | |
| von Elend, Ungerechtigkeit und Herzlosigkeit zu sein, ist eine andere. Und | |
| das ist so ziemlich die einzige Aufgabe, die mir Zeitschriften hier | |
| anbieten wollen.“ Cole wechselt nach Schweden, Großbritannien, Dänemark und | |
| kehrt schließlich nach New York zurück. | |
| Er verwahrt sich gegen Kritik von meist weißen Fotografenkollegen und | |
| konstatiert: „Südafrika ist mein Bezugsrahmen.“ Peck und die Editorin des | |
| Films Alexandra Strauss, mit der der Regisseur schon seit über zehn Jahren | |
| immer wieder zusammenarbeitet, greifen diese Maxime auf und stellen vor | |
| allem in der Zeit nach der Rückkehr immer wieder Bilder aus den USA und | |
| Südafrika nebeneinander. | |
| Als Coles Karriere in den 1980er Jahren endgültig ins Stocken gerät, | |
| ergänzt dessen Neffe Leslie Matlaisane Details, die man in den eigenen | |
| Texten des Fotografen nur erahnen kann. Zu Bildern des Gewusels von | |
| Passanten in der New Yorker Penn Station zitiert der Film einen Text Coles | |
| über Begegnungen mit Menschen, die in dem Obdachlosen den ehemals berühmten | |
| Fotografen erkennen und ihm helfen wollen. „Aber meine Qualen sind nicht | |
| heilbar.“ Am 18. Februar 1990 stirbt er in New York an Krebs. | |
| Bezüge zur Gegenwart | |
| Ob im Fall [2][James Baldwins] in „I Am Not Your Negro“ (2016), des | |
| Verbrechenskomplexes des Kolonialismus in der Dokumentarserie „Exterminate | |
| All the Brutes“ (2021) oder nun Ernest Coles Leben als Dokumentarist | |
| Schwarzer Realitäten – Raoul Pecks große Kunst besteht darin, Essayfilme zu | |
| historischen Themen zu drehen, die auf die Gegenwart zielen. „Ernest Cole – | |
| Lost and Found“ lässt an dieser Intention schon in der Eröffnungssequenz | |
| mit Coles Verzweifeln an der Dokumentation des Elends in den USA keinen | |
| Zweifel. | |
| Pecks Film berührt in der Künstlerbiografie des südafrikanischen Fotografen | |
| die Geschichte Südafrikas und des Rassismus in den USA, zugleich aber auch | |
| Fragen des Lebens und der künstlerischen Arbeit im Exil sowie der | |
| Unterschiede und Ähnlichkeiten von Rassismuserfahrungen. „Ernest Cole – | |
| Lost and Found“ ist ein eindringlicher, ebenso persönlicher wie politischer | |
| Film Raoul Pecks. | |
| 17 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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