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# taz.de -- Lars-von-Trier-Adaption auf der Bühne: Kalte Wucht
> Ein Film, der nach Theater aussieht, wird zu einer Aufführung, die nach
> Film aussieht: Karin Henkel inszeniert „Dogville“ in Frankfurt.
Bild: Auch irgendwie ein fleischliches Bild: Aus der „Dogville“-Inszenierung
Auf der Drehbühne des Frankfurter Schauspielhauses prangt ein rundes
Gehäuse, das aussieht wie eine riesige Filmspule (Bühne: Jens Kilian).
Darin befinden sich auf zwei Etagen unterschiedliche Zimmer und Schauplätze
des Dramas. Scheinwerfer stehen herum, beleuchten mal dieses, mal jenes.
Dazu gibt es eine Art Dogville-Jingle, der immer wieder erklingt, wie um
die Fortsetzung einer Serie einzuläuten. Und es gibt Filmmusik (Jörg
Gollasch), live eingespielt von einem Streichquartett, das die Zuschauer
beim Ergriffensein unterstützt und mal tönt wie Philip Glass, mal nach
Kirchenmusik oder Untergangsblues.
Die Regisseurin Karin Henkel verwandelt Lars von Triers Film „Dogville“,
der nach Theater aussieht, in eine Aufführung, die nach Film aussieht.
Nicht eins zu eins, aber so ungefähr.
## Ein handfester Racheengel
Der Beginn des Abends entspricht dabei dem Ende des Films, wobei der Vater
von Grace hier eher kein Gangsterboss, sondern der Herrgott persönlich ist.
Nur seine Stimme dringt aus dem Himmel zu uns. Darunter wartet Claude De
Demo als Grace schon eine ganze Weile an der Bühnenrampe.
Die Zuschauer kommen herein, suchen ihre Plätze und sie steht starr da, mit
verlaufener Wimperntusche, rot verschmiertem Mund und kalt vibrierenden
Augen. Kein ätherisch durchsichtiges Wesen wie Nicole Kidman im Film,
sondern eine schöne, solide Frau mit eigenwillig warm tönender Stimme.
Ein handfester Racheengel. Das erlösende Inferno, das sie gutheißt,
markiert den Beginn der Inszenierung, ein kurzes Massaker, das viel
Theaterblut vergießt.
Die eigentliche Geschichte erzählt Karin Henkel dann im Rückblick. Ihre
Bewohner Dogvilles tragen teilweise unwahrscheinlich gelbe Klamotten und
machen unmögliche Gesten (Kostüme: Klaus Bruns): Chuck (Manuel Harder)
sieht aus wie der junge Harvey Keitel und benimmt sich auch so, die blond
ondulierte Vera jammert sich bei Heidi Ecks gekonnt exaltiert in ungeahnte
Höhen, während die arg zupackende Ma Ginger in Rock und Turnschuhen,
gespielt von Kate Strong, ein entzückend affektiertes Englisch von sich
gibt.
Tom (Torben Kessler), der Grace liebt oder auch nicht, kommt hier als
Showmaster, Retter und Verräter mit dem diabolischen Charme eines
Wanderpredigers daher.
Das hier ist nicht Amerika in den dreißiger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts. Wir befinden uns vielmehr irgendwo und irgendwann grobe 40
Jahre später. Oder womöglich doch in einer zeitlosen Filmkulisse, in der
sich die Bürger ein Margarinelächeln schenken, bevor sie brav in die Kirche
oder den Puff trotten. An einem Ort, wo sich Männer in der Transportbranche
abrackern und die Äpfel glänzen wie Kinderpausbacken.
Dort hinein platzt die flüchtende Grace, die nicht umsonst Gnade heißt. Man
gewährt ihr Asyl und macht ihr dann peu à peu das Leben zur Hölle. Immer
perfider werden die Ausgrenzungsattacken gegen die Fremde, die sich erst in
ihr Schicksal fügt, um dann umso brutaler zurückzuschlagen. In ihrem
schwarzen Kleid sieht Grace dabei wie ein lädierter Filmstar aus.
Die bunte Bürgerschar, die sich schon mal einen Weg durch die Mitte des
Saals bahnt, rückt unwillkürlich in den Vordergrund. Im Film eine triste
Ansammlung rechtschaffen bigotter Bürger, mutieren sie in Frankfurt zu sich
selbst und zu geifernden Kaugummifratzen.
## Fleischliche Bilder
Dabei ergeben sich in der Zusammenrottung dieser Gestalten immer wieder
herrlich fleischliche Bilder, Filmstills, die den Kampf der Mehrheit mit
der schönen Störenfriedin illustrieren.
Die Komik, die der beinahe zweieinhalbstündige Abend immer wieder an- und
entfacht, nimmt der Geschichte zum Glück nichts von ihrer kalten Wucht.
Die Frankfurter Fassung ist nicht die erste Bühnenadaption von „Dogville“
und nicht die letzte, ist diese Geschichte doch schlicht zu überwältigend
und zu erzählenswert, als dass man sie dem Theater vorenthalten könnte.
Das eigentliche Ereignis bleibt in Frankfurt Lars von Triers grausames
Märchen selbst: Eine böse Geschichte über das moralische Erbe der
Menschheit, die uns lehrt, dass Gnade und Rache sich aus demselben
Herrschaftsanspruch speisen. Karin Henkel hält sich nicht an die filmische
Vorlage und drückt alles in eine bunte Aufgekratztheit hinein.
Die Beklemmung, die diese Geschichte auslöst, überträgt sich an diesem
etwas holprig startenden Abend dennoch. Die Mechanismen des Bösen rattern
hier wie dort fürchterlich.
16 Apr 2014
## AUTOREN
Shirin Sojitrawalla
## TAGS
Frankfurt
Deutsches Schauspielhaus
Lars von Trier
Deutsches Theater
Jean-Luc Godard
Theater
Mozart
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