# taz.de -- Opernpremiere in Berlin: Die sexuelle Restaurierung | |
> Alvis Hermanis hat in der Komischen Oper Mozarts „Cosi fan tutte“ in die | |
> Werkstatt geschickt, in der historische Bilder repariert werden. | |
Bild: Szene aus „Cosi fan tutte“ in der Inszenierung von Alvis Hermanis. | |
Regisseure von Opern halten es in Deutschland gewöhnlich für ihre heiligste | |
Pflicht, diese immer gleichen Stücke des Repertoires, die stets mindestens | |
100 Jahre alt sind, so zu zeigen, als seien sie gerade gestern geschrieben | |
und handelten von genau den Problemen, die uns heute auf den Nägeln | |
brennen. | |
Natürlich geht das meistens schief, und hat dem deutschen Regietheater den | |
zweifelhaften Ruf eingebracht, den es in der Welt hat. Auch der Lette Alvis | |
Hermanis, in seiner Heimat mit allen nur möglichen Preisen überschüttet, | |
hat kein Verständnis für diese Art zwanghafter Aktualisierung. Er meint, | |
die Geschichte selbst sei ein hervorragender Stoff für ein Theater, das | |
dann erzählen kann, wie es einmal war, anders als heute, mit anderen | |
Fragen, die ja nicht dumm sein müssen, bloß weil wir sie heute | |
zufälligerweise nicht stellen. | |
Diese Position trägt sehr weit im Fall von Mozart. „Cosi fan tutte“, die | |
letzte der drei großen Opern die er mit Lorenzo da Ponte geschrieben hat, | |
ist 1790 in Wien uraufgeführt worden, in einer Zeit also, in der die | |
Geschichte Europas tatsächlich ein Ereignis ersten Ranges war. In Paris | |
hatte die Revolution gesiegt, und in der Kultur war seit Diderots | |
Enzyklopädie ohnehin eine Revolution im Gange, die wir noch heute gerne | |
verteidigen: Die Aufklärung mit ihren Forderungen nach Freiheit des Denkens | |
und der Person. | |
## Die Natur der menschlichen Sexualität | |
„Cosi fan tutte“ ist Mozarts radikalster Beitrag dazu. Radikaler als „Don | |
Giovanni“ spricht dieses Stück so schonungslos über die Natur der | |
menschlichen Sexualität, dass es dem ganzen nachfolgenden Jahrhundert die | |
Sprache verschlug. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wagten einige | |
Opernhäuser wieder, das Original zu spielen, wieder in einer Zeit also, in | |
der eine zumindest kulturelle Revolution im Gange war: Die Moderne, mit | |
ihren freudianischen sexuellen Implikationen. | |
Hermanis ist kein Geschichtslehrer, aber er hat mit Uta Gruber Ballehr | |
(Bühne) und Eva Dessecker (Kostüme) ein wunderschönes Theaterbild gefunden, | |
das uns erlaubt, den großen Atem der Geschichte zu sehen und zu verstehen. | |
Wir befinden uns in einer mit modernstem technischen Gerät ausgerüsteten | |
Werkstatt zur Restaurierung von Gemälden. Überall hängen Meisterwerke von | |
Fragonard und Boucher. | |
Geduldig pinseln Statisten daran herum, besonders viel Mühe gibt sich der | |
Werkstattmeister auf einem Gerüst mit den Schamhaaren einer Frau. Weil | |
unten zwei Lehrlinge von der Treue ihrer Bräuten schwärmen, wendet er sich | |
um, und bietet ihnen seine Wette an: Cosi fan tutte! Weil es in der Natur | |
des Menschen liegt, Lust zu empfinden, wird er sie gewinnen, und das Spiel | |
beginnt. | |
## In den Kostümen des Rokoko | |
Sie kehren zurück, die Lehrlinge, nunmehr in prächtigen Kostümen des | |
Rokoko, und schon bald werden auch ihre Mädchen die weißen Laborkittel | |
ablegen und sich umständlich mit Reifrock und Mieder schmücken - um den | |
falschen zu nehmen. Die Putzfrau hilft ihnen beim Umkleiden, und auch bei | |
der Moral, die beide ein bisschen schwierig sind. | |
Am Ende sitzen sie dann wieder in ihren Laborkleidern auf einem Sofa. „Die | |
Schule der Liebenden“ heißt das Stück bekanntlich im Untertitel. Die | |
Lektion ist hart, denn natürlich geht es nicht nur um die Untreue der | |
Frauen. Über die Untreue der Männer musste Da Ponte ohnehin niemanden | |
aufklären. Es ging ihm um das unteilbare Recht auf die eigene Natur, daher | |
die Freiheit der Sexualität für jeden Menschen. | |
Macht damit, was ihr wollt, liebt euch, aber lügt nicht, so lautet die | |
Botschaft, die weit über die Geschichtswerkstatt hinausreicht, die Hermanis | |
auf die Bühne stellt. Sie zeigt nur die Epoche und schmückt sich mit der | |
Schönheit und Erotik ihrer größten Maler, aber sie kann nicht zeigen, wie | |
Menschen denn nun damit umgehen sollen. Das ist ein bisschen schade, aber | |
offenbar war Hermanis so bescheiden, dass er Mozart nicht ins Handwerk | |
pfuschen wollte. | |
Immerhin hat er auch darauf verzichtet, die Verkleidung der beiden Männer | |
so durchsichtig zu machen wie es heute üblich geworden ist. Nein, die | |
beiden Frauen stehen wirklich vor Fremden, die man tatsächlich nur bei sehr | |
genauem Hinsehen identifizieren kann als die beiden Jungs, die da angeblich | |
in den Krieg ziehen mussten unter Wehklagen und Seufzern. So haben es Da | |
Ponte und Mozart wohl gemeint. | |
## Eine echte Prüfung, kein doppeltes Spiel | |
Es ist eine echte Prüfung und kein doppeltes Spiel von allen gegen alle. | |
Die Komische Oper hat unter Henrik Nánási inzwischen ein musikalisches | |
Niveau erreicht, das Mozarts unglaubliche Kunst der musikalischen Dramatik | |
in ihrer vollen Größe erleben lässt. Vielleicht hat Hermanis ja auch darin | |
Recht, dass keine Theaterregie jemals diese Verbindung von Schönheit der | |
Melodie und des Klangs mit der Wahrheit des Ausdrucks und der | |
Glaubwürdigkeit des Gefühls erreichen kann, die Mozart in einer ganzen | |
Kette von Ensembles und wenigen Soloarien entfaltet. | |
Wenn auch nicht zu sehen, so ist doch deutlich und erschütternd zu hören, | |
dass es wirklich nicht so einfach ist mit dieser Freiheit der Personen und | |
der Sexualität. Und schon gar nicht ist die Natur so idyllisch wie sie auf | |
den Gemälden der Zeitgenossen zu sein scheint - vielleicht ist sie es ja | |
auch dort nicht, wenn man genau hinschaut. Mozart hat genau hingehört, und | |
Nicole Chevalier lässt in der großen Arie der Foirdiligi auch uns den | |
gesamten Reichtum an Verzweiflung, Trauer, Glück, und Lust hören, ohne den | |
es keine Liebe gibt, wenn sie denn frei sein soll. | |
Auch Tom Erik Lie, mit seinem hellen Bariton etwas überraschend als Don | |
Alfonso besetzt, kennt Mozarts Melancholie. Der Gewinn seiner Wette freut | |
ihn nicht. Traurig schickt er die beiden Paare nach Hause. Sie sind frei, | |
kennen die Wahrheit. Und sind einsam. So also war das damals mit Mozart, | |
1790. Und was seine Aktualität angeht in unserer Gegenwart der nachhaltigen | |
Tugendwächter und Nichtraucher, von der Hermanis zu Recht nicht viel hält: | |
Es wäre schön, wenn wir so weit wären. | |
4 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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