# taz.de -- Bayreuther Festspiele: Drei Damen vom Pool | |
> Von den mythischen Rheinauen in die USA: Zum Wagner-Jubiläum inszeniert | |
> Frank Castorf in Bayreuth die ersten Teile des „Rings“, als wäre er nicht | |
> da. | |
Bild: In seiner absurd verschachtelten Gesamtarchitektur ein einziger surrealer… | |
Wenn dieser Film im Fernsehen gelaufen wäre, hätte meine Zimmernachbarin im | |
Hotel sofort weitergeschaltet. Sagt sie, aber der Film lief nicht im | |
Fernsehen. Eigentlich auch nicht im Festspielhaus von Bayreuth, aber dort | |
immerhin war er in gewisser Weise aufgebaut, nämlich als Bühnenbild des | |
Serben Aleksandar Denic, der sich davor sämtliche Roadmovies aus den | |
letzten 50 Jahren angesehen hat, die er auftreiben konnte. | |
Wer nur hierhergefahren war, um das 200-jährige Jubiläum des Komponisten | |
und Dichters Richard Wagner zu feiern, war halt selber schuld und musste | |
zur Strafe diesen Umweg auf sich nehmen. Wir saßen jedenfalls fest in dem | |
überhitzten Saal des Festspielhauses, das keine Klimaanlage hat, und | |
durften uns ansehen, wie sich drei beneidenswert leicht bekleidete Frauen | |
am Pool räkeln. | |
Sie langweilen sich offenbar und haben wahrscheinlich schon vergessen, was | |
sie in diesen Puff an der Route 66 verschlagen hat. Auf dem Schild steht in | |
Leuchtschrift „Golden Motel“. Eine Tankstelle gehört auch dazu, ein junger | |
Mann steht schwitzend im Laden dahinter, aber nichts ist los in dieser | |
trostlosen Gegend. | |
„Weiterschalten“, hätte meine Nachbarin gesagt. Aber das geht nicht. Zu | |
spät, volle sechs Minuten lang hat das Festspielorchester im überdeckten | |
Graben bereits jenen sagenhaften Es-Dur-Akkord gespielt, nach dem es kein | |
Entrinnen mehr gibt. Wir sind in „Rheingold“ von Richard Wagner. Die Damen | |
vom Pool, um sie mal so zu nennen, singen bereits die Noten der | |
Rheintöchter. Das tun sie sehr gut, viel besser, als sie hier aussehen | |
müssen, und eigentlich müssen sie sich gar nicht langweilen, denn es gibt | |
ja auch noch den Martin Winkler aus dem Ensemble der Volksoper von Wien. | |
Auch er ist hier gestrandet, hat wahrscheinlich auch schon vergessen, | |
warum, aber nun kitzeln sie ihn wach und amüsieren sich köstlich mit ihm. | |
Winter kann den Nibelungenchef Alberich nicht nur wunderbar singen. Er | |
spielt ihn auch sehr überzeugend als tollpatschig bösen Proleten, der | |
stilsicher im silbernen Wohnwagen haust und übel reingelegt wird von | |
anderen Ganoven und ihren Flittchen, die dann doch noch an dieser kaputten | |
Tankstelle ankommen, den Wotans, Loges, Fafners, und wie sie alle heißen. | |
## Ein einziger surrealer Albtraum | |
Ganz sicher kann man den Anfang von „Der Ring des Nibelungen“ so erzählen, | |
wie es Frank Castorf und sein Bühnenbildner das tun. Das Problem ist nur, | |
dass man es nicht muss und dass es auch nicht deswegen plausibel ist, weil | |
in Castorfs Regie irgendetwas zu erkennen wäre, was die Verpflanzung des | |
Stoffs aus den mythischen Rheinauen in den nicht weniger mythischen | |
Mittelwesten der USA erklären und rechtfertigen könnte. | |
Es geht überhaupt nur, weil Denic ein Motel-Gebäude entworfen hat, das in | |
allen Einzelheiten so realistisch wie nur möglich ausgestattet, in seiner | |
absurd verschachtelten Gesamtarchitektur aber ein einziger surrealer | |
Albtraum ist. Völlig zu Recht steht es im Zentrum der Drehbühne, die es von | |
allen Seiten in verschiedenen Perspektiven sichtbar macht. Es dominiert | |
jede Bewegung der Figuren und wird so zum kongenialen Spiegel der | |
Wagner’schen Idee eines Gesamtkunstwerks, das in sich fließend | |
voranschreitet. | |
Sängerinnen und Sänger jedenfalls fühlen sich spürbar wohl in dieser | |
klaustrophobischen Architektur und lassen sich tragen von dem sehr präzise, | |
prägnant, aber nie überwältigend spielenden Orchester unter der Leitung von | |
Kyrill Petrenko. Wo aber ist Frank Castorf? | |
Abwesend, nicht einmal zum durchaus nicht nur unfreundlichen Schlussapplaus | |
lässt er sich blicken, und auf der Bühne ist eine Regie schon gar nicht zu | |
erkennen. Es sei denn, man hält die unvermeidliche Simultanprojektion von | |
Szenenvideos für Regie. | |
Sie stören schon im „Rheingold“ und stören noch viel mehr in der „Walk�… | |
am anderen Tag. Besser war dort jedoch zu erkennen, dass Castorf nicht im | |
Theater, sondern in seiner eigenen Welt lebt. Um sie zu verstehen, muss man | |
das Programmheft lesen. Es belehrt uns, dass die letzten hundert Jahre | |
(ungefähr) beherrscht sind vom Kampf ums Erdöl. | |
## In welchem Himmel auch immer | |
Davon wusste Wagner rein gar nichts, weswegen wir uns in einem kurzen | |
Lehrgang über den historischen Materialismus des Nibelungenschatzes | |
aufklären lassen müssen. Es ist schön, ein Weltbild zu haben, und es sei | |
Castorf gegönnt, ebenso wie Wagner seine privaten Mythen gegönnt seien, in | |
welchem Himmel er sich auch heute aufhalten möge. | |
Brüder im Geiste sind die beiden schon, und was nun Castorfs Bericht zur | |
Lage der Welt angeht, so hat er immerhin zu einem weiteren Auftrag an den | |
Bühnenbildner Denic geführt, der nun eine Ölbohrstation im russischen Baku | |
auf die Drehbühne von Bayreuth stellen durfte. (Auf einer solchen Station | |
hatte nämlich auch mal ein gewisser Josef Dschugaschwili gearbeitet, bis er | |
wegen revolutionärer Umtriebe verhaftet wurde: Das Öl erklärt auch Stalin.) | |
Wieder eine in allen Einzelheiten historisch exakt nachgebaute, im Ganzen | |
aber grotesk mit Lämpchen, Treppen, Galerien, Nebenflügeln und Tanks | |
ausgestattete, gewaltige Holzkonstruktion füllt den Bühnenraum und stellt | |
immer wieder neue, überraschende Spielflächen und Kulissen zur Verfügung. | |
Und wieder bewährt sich die Geistesverwandtschaft dieser imaginären | |
Architektur mit der Wagner’schen Idee des Gesamtkunstwerkes. Anja Kampe und | |
Johan Botha als Sieglinde und Sigmund und dann Catherine Foster und | |
Wolfgang Koch als Brünnhilde und Wotan können frei im Raum ihre sehr | |
schönen Wagner-Stimmen entfalten. | |
Der abwesende Frank Castorf hat sie offenbar auch auf den Proben nicht | |
weiter belästigt. Sie fuchteln hilflos mit den Armen, wenn sie eine Art von | |
Schauspiel wenigstens andeuten möchten. Das sieht ziemlich blöd aus, stört | |
aber nicht weiter, weil die Kraft des Gesangs ja nun auch aufseiten Wagners | |
deutlich größer ist als die des Textes. So wird dann am Ende Wotans | |
Abschied von Brünnhilde zum ersten Mal zu einer Szene, die über alle | |
Stilübungen und Weltbilder hinaus menschlich berührt. Danach möchte man | |
tatsächlich wissen, wie es denn nun weitergeht, nicht mit Castorf, aber mit | |
Petrenko und Denic … | |
28 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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