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# taz.de -- Theatertreffen in Berlin: Der Krieg kriecht ins Ohr
> Frauenrollen groß machen, Geschichten neu erzählen, dafür steht Karin
> Henkel. Sie ist zum siebten Mal beim Theatertreffen in Berlin dabei.
Bild: Wer bin ich unsymbolisch, fragt Helena in „Beute Frauen Krieg“ von Ka…
„Steht doch alles im Text, der große Feminist war Euripides“, sagt Karin
Henkel. Aber trotzdem meint man, es so noch nicht gesehen zu haben und vom
Krieg aus der Perspektive von Frauen so noch nicht gehört zu haben wie in
ihrer Inszenierung „Beute Frauen Krieg“, die auf Euripides’ „Troerinnen…
beruht.
Zusammen mit den Dramaturgen John von Düffel und Anna Heesen hat Henkel den
antiken Text bearbeitet und zugespitzt. Kritischer Feminismus denkt man,
der Machtstrukturen analysiert, Klischees und Frauenbilder hinterfragt,
ideologische Konstruktionen und Zuschreibungen aufdeckt, Widersprüche nicht
ausblendet. „Die Struktur, den Krieg aus der Perspektive von Frauen in
Monologen zu erzählen, findet sich bei Euripides“, sagt Henkel noch einmal,
aber doch froh darüber, diese Lesart so starkgemacht zu haben.
Ausgewählt habe sie dieses Stück, erzählt die Regisseurin bei einem Treffen
in Berlin, weil sie die Schicksale von Frauen in den Kriegen beschäftigen,
auch in denen von heute. Sie habe zum Beispiel viel gelesen „über die
Jesidinnen, die von IS-Soldaten versklavt und verkauft werden, so, wie es
Euripides erzählte. Ein richtiger Sklavenhandel, mit Mädchen ab 12 Jahren.
Als Jungfrau kosten sie etwas mehr. Das war für uns schon ein Thema bei der
Arbeit an ‚Beute Frauen Krieg‘.“
## Kassandra in der Peepshow
Wie oft es einem kalt den Rücken runterläuft in dieser Inszenierung! Wenn
Kassandra, die wie ein junges und unerfahrenes Mädchen aussieht, auf einer
Drehscheibe liegt wie in einer Peepshow und mit nicht einmal sehr erregter
Stimme von ihrer Freude erzählt. Schmerz erwartet man und erhält Freude
darüber, dass die Griechen, die sie, die jungfräuliche Priesterin,
vergewaltigt haben, sie mit diesem Gräuel berühmt machen. Und wie sie als
Seherin vorhersieht, dass die Sieger von ihrem Sieg nichts haben werden,
weil sie ermordet werden bei ihrer Rückkehr nach Griechenland.
Zum Zeugen macht einen dieser über Kopfhörer direkt ins Ohr gesprochene
Monolog, zum Zeugen von der Sinnlosigkeit des Krieges und von seiner
Grausamkeit.
Erschreckend wird es auch, wenn Iphigenie, Agamemnons Tochter, als ein Chor
junger Mädchen auftritt. Ihr Vater will sie auf Geheiß der Götter opfern,
eintauschen gegen günstige Winde, die er als Kriegsherr und Schiffsführer
braucht. Es ist nicht Mitgefühl mit ihr, das im Zuschauer eigentlich schon
parat liegt, nein, es ist das Erschrecken über die Worte ihrer Einwilligung
in ihre Opferung, mit dem man nicht gerechnet hat.
Exzessiv wiederholt sie, dass es um die Verteidigung griechischer Werte
geht, „denn Griechen müssen herrschen über Fremde“ und nicht die Fremden
über sie. Dann ist es der Ton populistischer rechter Demagogen, der einem
im Ohr klingelt, obwohl man sich gerade in einer ganz anderen Welt glaubte.
## Die Parallelen zur Gegenwart
Mit dieser Inszenierung aus Zürich ist Karin Henkel dieses Jahr zum
Theatertreffen in Berlin eingeladen, es ist die siebte Einladung der
Regisseurin, die seit 25 Jahren Theater macht. 1970 in Köln geboren, hatte
sie schon als junge Regisseurin zu einer Zeit Erfolg, als Frauen in dem
Beruf noch mehr als heute die Ausnahme waren. Sie arbeitet viel am
Schauspielhaus Zürich, von Barbara Frey geleitet, und am Deutschen
Schauspielhaus in Hamburg, wo Karin Beier Intendantin ist.
In beiden Städten ist sie am Theater zu Hause, bilden die Ensembles etwas
wie ihre Theaterfamilie, leben Freunde. Dennoch wohnt sie dort während der
Probenzeiten in Gastwohnungen. Zu Hause ist sie in Berlin, wo sie am
Deutschen Theater inszeniert.
Im März hatte dort „Rom“ Premiere, nach drei Stücken von Shakespeare,
„Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“. Wieder st…
im Text, bei Shakespeare, dennoch setzt die Inszenierung Akzente, die an
die Gegenwart denken lassen, an die vielen Staaten, die ihre demokratischen
Instrumente nutzen, um „starke Führer“ zu suchen. „Warum macht man diese
Stücke, wenn nicht deshalb, um auch über heute zu reden, aus dem
Erschrecken über den Ruf nach dem starken Mann, der heute leider wieder so
laut wird“, sagt Karin Henkel. Es ist aber allein die Sprache, der
demagogische Ton, der rhetorische Gestus, mit dem sie die Assoziationen
freisetzt.
Auch in „Rom“ macht sie die Frauenrollen stark; dass die bei ihr mehr
Aufmerksamkeit bekommen, als ihnen die Theatergeschichte bisher gegönnt
hat, ist ihr durchaus ein Anliegen. In „Rom“ sind es die Mütter späterer
Führer, die ihre Söhne aus Machtgier zu Helden machen wollen, in den Krieg
drängen, Opfer verlangen. Die Mutter von Coriolan ist gleich dreifach
besetzt, von zwei Schauspielerinnen und einem Schauspieler, was nicht nur
ihre Präsenz stärkt, sondern dem Text, fast wie in einer Screwball-Comedy,
auch eine andere Aufmerksamkeit verleiht.
## Doppelgänger und Spiegelungen
Das Spiel mit Mehrfachbesetzungen, mit Doppelgängern und Spiegelungen ist
eines der Mittel, Wahrnehmungen zu verschieben, das Karin Henkel virtuos
beherrscht. Es geht ihr dabei auch darum, „Theatralität zu verdeutlichen.
Dass man nicht nur eine Figur mit einem Schauspieler identifiziert. Durch
das Abwechseln des Sprechens gibt es mehr Kraft, aber auch eine Art von
Abstraktion. Ich höre anders zu, wenn ich nicht nur denke, der Schauspieler
ist diese Figur. Damit spielen wir.“
Besonders sinnfällig wird das bei der Figur der Helena in „Beute Frauen
Krieg“. „Wer ist Helena wirklich, wer bin ich unsymbolisch“, fragen die
Helena-Frauen auf der Bühne, um mit Ironie festzuhalten, „nach all den
Kriegen, all den Männern nicht wirklich weiter zu sein mit dieser Frage“.
Der Mythos macht die schöne Helena, die Paris von Griechenland nach Troja
entführte, zum Kriegsgrund, sie aber fragt, ob es nicht eher um den Zugang
zu Kleinasien ging, geopolitische Ziele, denen sie als Deckblatt diente.
Codierungen knacken, von Lesarten, von scheinbar festgefügten Figuren, von
Blickweisen, das ereignet sich auf der Bühne von Karin Henkel oft. Wie zum
Beispiel mit Erotik und Sexualität umgegangen wird, wie Verführer und
Verführte stilisiert werden, darauf einen anderen Blick zu werfen, macht
immer wieder die Klugheit ihres Theaters aus.
Aber nicht alles gelingt. Nicht jede Inszenierung, denkt sie, kommt auch
dort an, wo Regisseurin und Ensemble eigentlich hinwollten, oft kann man
nicht genug ausprobieren, sind die Probenzeiten zu kurz. Karin Henkel will
nicht jammern, sie weiß, dass sie im Stadttheatersystem zu den
Privilegierten, den Nachgefragten gehört. Und doch sitzt ihr der Zeitdruck
im Nacken, würde sie gern mehr als sechs Wochen mit allen Schauspielern
proben, noch mal draufschauen, einen anderen Weg versuchen. Seit Langem hat
sie sich entschieden, nicht mehr als drei Inszenierungen im Jahr zu machen,
um wenigstens in die Vorbereitungen intensiv einzusteigen.
## Von den Schauspielern aus denken
Die Ensembles sind ihr wichtig, die Stückauswahl mit einem Theater beruht
oft auch auf dem Wunsch, mit bestimmten SchauspielerInnen zu arbeiten. Zu
ihrer Theaterfamilie gehört zum Beispiel die großartige Schauspielerin Lina
Beckmann, mit der sie erst in Köln und später in Hamburg arbeitete. Die
spielte 2009 den Fürsten Myschkin in der Romandramatisierung „Der Idiot“
nach Dostojewski. Schüchtern und ungelenk tappst deren Myschkin durch eine
durchaus gierige Gesellschaft, die er mit seinem unverdrossenen Glauben an
das Gute aus dem Konzept bringt.
Die Inszenierung war mit dem Wechsel der Intendantin Karin Beier von Köln
nach Hamburg ins Repertoire des Deutschen Schauspielhauses übergegangen.
Bis es zu schwer wurde, die Schauspieler, darunter Charly Hübner und Jördis
Triebel, die inzwischen viel für Fernsehen und Kino arbeiten, noch
zusammenzubekommen.
Ob es sie auch zum Film zieht? Karin Henkel verneint, da wäre zu viel
Technik und Handwerk, das sie erst lernen müsste. Aber sie wagt demnächst
ein anderes Abenteuer, hat zum ersten Mal zugesagt, eine Oper zu
inszenieren: „Der Spieler“ nach Dostojewski mit der Musik von Prokofjew. Da
kenne sie sich wenigstens schon in dem Wahnsinn von Dostojewski aus, sagt
sie.
Am Montag, 7. Mai, beginnen dazu die Proben in Antwerpen. Am Sonntag zuvor
ist die Theatertreffen-Premiere von „Beute Frauen Krieg“. Das kann in
Berlin nur am 5. Mai in einer alten Industriehalle in Karlshorst geprobt
werden, wo auch die Aufführungen sind. Just an dem Samstag, an dem Karin
Henkel in Berlin der Theaterpreis Berlin verliehen wird. Das freut sie
sehr, aber sie seufzt auch. Viel Zeit aber, um mit den Freunden nach der
Preisverleihung zu feiern, wird ihr nicht bleiben. Denn es gibt genau nur
an diesem Tag eine Probe mit allen Gewerken für die Berliner Premiere.
3 May 2018
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theatertreffen Berlin
Karin Henkel
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Demokratie
Salzburger Festspiele
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Schwerpunkt Rassismus
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Deutsches Theater
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