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# taz.de -- In Frankreichs Banlieues: Es herrscht die kalte Wut
> Seit den großen Unruhen von 2006 hat sich wenig geändert in Frankreichs
> Banlieu. Die Armut ist gestiegen und die Polizei regiert wie eine
> Besatzungsmacht.
Bild: Ausgebrannte Busse in Trappes. So heftig wie 2005 waren die Unruhen diese…
PARIS taz | Eine vermeintlich harmlose Personenkontrolle in einem Pariser
Vorort hat mehrtägige Zusammenstöße zwischen der französischen Polizei und
Quartierbewohnern ausgelöst. Diese gewaltsamen Folgen beweisen indes, dass
die Überprüfung einer völlig verschleierten Frau in einer Vorstadt wie
Trappes wegen des seit 2011 geltenden „Burkaverbots“ keineswegs banal ist.
Offiziell gelten die Verstöße als Randprobleme, die eine winzige Minderheit
innerhalb der muslimischen Bevölkerung Frankreichs (rund fünf Millionen)
betreffen. Auch betonen die Politiker gern, dass eine große Mehrheit der
Muslime in Frankreich diese Kleidervorschriften ablehne. Seit dem
Inkrafttreten des Verbot der Totalverschleierung auf öffentlichem Grund im
April 2011 sind bloß 700 Zuwiderhandlungen registriert und 423 Frauen
entweder gemahnt oder mit Geldstrafen belegt worden.
Wenn die Ahndung dennoch gelegentlich Schlagzeilen in den Medien macht,
dann wegen Zwischenfällen wie in Trappes. Oft geht es auch weniger um den
Schleier als um das gestörte Verhältnis zwischen staatlichen Behörden und
den Einwohnern der Vorstadtghettos. Denn natürlich werden nicht
verschleierte Touristinnen aus den Emiraten beim Shopping auf der Avenue
des Champs-Élysées angehalten, sondern Frauen mit Niqab oder Burka in den
mehrheitlich von Immigrantenfamilien bewohnten Außenquartieren der
Großstädte.
Die Schilderungen des Vorfalls und der anschließenden Eskalation am letzten
Freitag gehen wie üblich weit auseinander und belegen, wie krass häufig das
gegenseitige Unverständnis ist. In Trappes beklagte sich im Nachhinein das
zu einem radikalen Islam konvertierte junge Ehepaar über einen angeblich
unzumutbaren Tonfall und die Brutalität der Beamten.
## Angriff aufs Polizeikommissariat
Von sehr aggressiven Reaktionen der beiden Kontrollierten sprechen im
Gegenteil die Polizisten. Der Gatte der von Kopf bis Fuß verschleierten
Frau wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt vorübergehend
festgenommen. Als sich danach Angehörige über dieses allzu forsche Vorgehen
bei der Polizei beschweren wollten, dort aber abgewiesen wurden, griffen
rund zweihundert Quartierbewohner das Polizeikommissariat an.
Im Verlauf der folgenden Nächte wurden in Trappes und angrenzenden
Siedlungen städtische Einrichtungen wie Telefonkabinen oder Busunterstände
zerstört und Autos verbrannt. Nach dem bewegten Wochenende sorgt ein großes
Polizeiaufgebot für eine prekäre Ruhe, der von der rechten Opposition der
Schwäche bezichtige Innenminister Manuel Valls lässt die Muskeln spielen.
„Es gibt nur ein Gesetz in dieser Republik“, ruft er jenen Gläubigen in
Erinnerung, die meinen, ihre religiösen Gebote stünden über dem Recht des
weltlichen Staats.
Signifikant ist der Konflikt nicht nur wegen der gespannten Beziehungen der
Banlieue mit den Ordnungshütern, die sich dort wie eine Besatzungsmacht
aufspielen. Hinter dem plötzlichen Ausbruch der Gewalt lässt sich auch
unschwer ein unvermindert großer sozialer Graben ausmachen. Seit den
Banlieue-Krawallen von 2005 hat sich die Lebensqualität in den 750
besonders exponierten Siedlungen nicht gebessert. Der Anteil der Menschen,
die unter der Armutsgrenze (964 Euro) leben, ist seit 2006 sogar von 30 auf
36 Prozent gestiegen.
## Enttäuschung über Hollande
Von Präsident François Hollande hatten gerade die Banlieue-Bewohner viel
erhofft. Er hatte ein kommunales Ausländerwahlrecht und ein Ende
diskriminierender polizeilicher Personenkontrollen nach Hautfarbe
versprochen. Nichts geschah.
Heute macht sich bei diesen Hollande-Wählern der Vorstädte Enttäuschung
oder Ungeduld breit. Davon zeugen Vorfälle wie die von Trappes. Undank
wirft der Sozialarbeiter Mohammed Mechmache aus Clichy-sous-Bois in der
Libération dem sozialistischen Staatschef vor: „Wenn er gewählt wurde, dann
nicht zuletzt dank der Banlieue. Für ein Entgegenkommen ist es nicht zu
spät“, so Mechmach.
22 Jul 2013
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Ausschreitungen
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Armut
Krawalle
Burka
Theatertreffen Berlin
Burka
Flüchtlinge
Islamophobie
Francois Hollande
Husby
Schwerpunkt Rassismus
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