# taz.de -- Theater bei den Salzburger Festspielen: Der lange Marsch wider die … | |
> Ulrich Rasche inszeniert „Die Perser“ bei den Salzburger Festspielen als | |
> Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. | |
Bild: Katja Bürkle (li) und Valery Tscheplanowa (re) sprechen die Weisheiten d… | |
Das Theater ist eine Wortmühle. Und die Welt eine Scheibe, genauer gesagt | |
zwei. Ulrich Rasche hat für „Die Perser“ von Aischylos bei den Salzburger | |
Festspielen gleich zwei Drehbühnen hintereinander installiert, in Serie | |
geschaltet, wenn man so will. Sie überbrücken 2.500 Kilometer und 2.500 | |
Jahre. Die Apparatur presst sich dominant ins Bühnenportal und den vorderen | |
Teil des Zuschauerraums, als würde sie jeden Moment die stuckverzierte | |
Puppenstube des Salzburger Landestheater zum Bersten bringen. | |
Es geht um Krieg, die Schlacht von Salamis (479 v. Chr.), in der | |
listenreiche Griechen der damaligen persischen Hegemonialmacht eine | |
vernichtende Niederlage zufügten, und um Europa. Letzteres ist das, wo die | |
anderen nicht hingehören. Darin ist sich der weltweit mutmaßlich älteste | |
überlieferte Dramentext mit der Gegenwart ziemlich einig. | |
Der Universalismus, den der Kontinent als imaginierte geistige und | |
irgendwann dann auch politische Einheit zu seiner unique selling | |
proposition entdeckt hat, beruht grundsätzlich auf Ausschluss. Auch sein | |
bestes und folgenreichstes Projekt, die antike Demokratie, kommt nicht aus | |
ohne Sklaven, rechtlose Fremde und aufopfernde Frauen. Das Theater wird für | |
alles und jeden zum Distributionsmodus, der zeigt, wo er/sie/es hingehören. | |
Das ist grundsätzlich nicht dort, wo die Rede davon ist. | |
## Das Grausame hinter dem Vorhang | |
Die Distanz zwischen dem gesprochenen Wort und den Dingen und Handlungen, | |
die Abwendung von dem, worauf es referiert, wird zu seinem konstituierenden | |
Moment. Das Augenausstechen und Halsabschneiden hat ausschließlich hinter | |
dem Vorhang stattzufinden. Immer, wenn es „nah dran“ sein wollte, hat sich | |
das Theater klein gemacht. | |
Die vordere Drehbühne wird in Rasches Arbeit zum Teller, der die Welt | |
bedeutet, oder es zumindest glaubt. Wo um Himmels willen dieses Athen | |
liege, fragt hier Atossa, die Königsmutter des sich und sein Land gerade | |
ruinierenden Feldherrn Xerxes in der tausende Kilometer entfernten | |
Hauptstadt des persischen Weltreichtums. | |
Drei Frauenfiguren räsonieren über das, was sie vom fernen Krieg | |
nachträglich gehört oder im Traum vorausgeahnt haben. Rasche legt ihnen | |
alle reflektierenden Textpassagen von Aischylos in den Mund: Katja Bürkle | |
und Valery Tscheplanowa sprechen die Weisheiten des persischen | |
Ältestenrats, Patrycia Ziolkowska sind die Klagen Atossas zugeordnet. | |
Männer führen Krieg, Frauen partizipieren ungefragt an den Gesamtfolgen. So | |
ist bis zum Einstimmen in den Schlussjammer durch den mit schwarzem | |
Kunstblut verschmierten Xerxes (Johannes Nussbaum) erst mal Schluss mit | |
Mansplaining. 15 starke Recken bleiben auf den hinteren Bühnenteller | |
verbannt, auf dem sie direkt beleuchtet oder in der Videoprojektion eines | |
halbdurchlässigen Vorhangs den realkinematografischen Widerschein des | |
Gesagten skizzieren. | |
## Das Theater ist Musik | |
Das Wort entsteht im Gehen auf der unablässig bewegten Spielfläche. Die | |
antike Hierarchie stellte das Drama und die Musik ob ihrer vermeintlichen | |
Immaterialität über jene Künste, die wie etwa die Architektur im Dreck | |
wühlen. | |
Hier binden Rotation und Hydraulik das Theater, als „Medium“ betrachtet | |
ohnehin ein Anachronismus, an die Relikte des Maschinenzeitalters. Theater | |
ist ein Arbeitsprozess, der Licht, die Abwärme der Körper und die | |
Schallwellen des Sprechens und der Musik absondert. | |
Das Theater selbst ist Musik. Statt innere und äußere Bilder zu evozieren, | |
nimmt dieses Wortmühlentheater die von ihm geriebenen Partikel in ihren | |
musikalischen Qualitäten wahr, das treibt die Sinnsuche bisweilen weiter, | |
als die gute alte Hermeneutik mit dem Wiederfinden des eigenen Vorurteils | |
in der Textvorlage es je vermochte. Wie reagieren Körper, wenn Sätze sie | |
durchdringen, die weit über Alltagserfahrungen hinausführen? | |
## Von Worten umschlungen | |
Pathos wird im musikalischen Kontext wieder sprechbar, vielleicht sogar, | |
ohne es zu affirmieren. Das freute leider auch konservative Kritiker, die | |
in dieser Aufführung schon den Paradigmenwechsel von der postmodernen | |
Ironie hin zu einem Theatertheater sehen wollen, das sich im hohen Stil dem | |
Allgemeinmenschlichen weiht, statt Gesellschaftliches zu erhellen. Müssen | |
wir wieder die Kerzen anzünden, ergriffen von einem Theater der | |
Eigentlichkeit? | |
Das nicht, aber Rasches Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik | |
birgt auch Gefahren. Sie neigt dazu, die Ungeheuerlichkeit, die sie hinter | |
den Buchstaben gerade entdeckt hat, im Gesamtsound der begleitenden | |
Minimal-Music-Combo wieder zu ersäufen. | |
Ein Rezensent wähnte sich umschlungen im Theater-Rave. Das trügt. Die | |
Tragödie beginnt erst, wenn ihr Protagonist aus dem Wohlgefühl der | |
kollektiven Drogeneinnahme herausfällt und sich schmerzlich als Individuum | |
wahrnimmt. | |
22 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Uwe Mattheiß | |
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