| # taz.de -- Aiwanger beim Gillamoos: Heimspiel für den Hubert | |
| > Am Gillamoos, Bayerns ältestem Volksfest, bereiten Fans von Bayerns | |
| > Wirtschaftsminister Aiwanger ihrem Idol einen frenetischen Empfang. Für | |
| > sie bleibt er ein Lokalheld. | |
| Bild: Bad in der Menge: Hubert Aiwanger, heute im Jeansjanker | |
| Bitte alle nach rechts! Bitte alle nach rechts!“ Die Ansage ist eindeutig | |
| bei der Ankunft von Hubert Aiwanger am Weißbierstadl auf dem Gillamoos. | |
| Doch es sind nur die Bedienungen, die versuchen, sich einen Weg durch die | |
| jubelnde Menge zu bahnen. Schließlich wollen die Menschen hier nicht nur | |
| Aiwanger, sondern auch Bier, Brezn und Weißwürste. Aber Aiwanger, den | |
| wollen sie auch, das ist unverkennbar, als der Freie-Wähler-Chef, | |
| Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident am Montag kurz | |
| vor 10 Uhr hier aufschlägt. | |
| Während die Blaskapelle D’Spreißler aufspielt, springen die Leute auf die | |
| Bänke, der Umjubelte steigt selbst auf eine, damit sie ihn sehen können, | |
| winkt in die Menge. Er trägt einen blauen Janker, den er schon bald darauf | |
| auszieht. Seine Rede wird er hemdsärmlig halten, wie man ihn kennt. | |
| Schon eine Stunde zuvor hatte sich vor dem Stadl eine rund 50 Meter lange | |
| Schlange gebildet. Die 800 Sitzplätze drinnen waren schnell weg. Für die | |
| meisten hat es nur noch für Plätze im Biergarten gereicht. Ein paar | |
| Schritte weiter unten, links rein, im – zugegebenermaßen etwas größeren – | |
| Hofbräuzelt findet die Kundgebung der CSU statt. Hier findet man auch kurz | |
| vor 10 Uhr noch problemlos einen Platz. Natürlich sind auch die Grünen da, | |
| die SPD, die FDP, die AfD, die ÖDP, die Bayernpartei … | |
| Der Politische Gillamoos, das ist so ein bisschen der kleine Bruder des | |
| Politischen Aschermittwochs. Er findet jedes Jahr am ersten Septembermontag | |
| statt, dem letzten Tag des Gillamoos – eines viertägigen Volksfests mit | |
| Viehmarkt in Abensberg im Landkreis Kelheim. | |
| ## Kraut gegen Dummheit | |
| Auf eine immerhin 700-jährige Geschichte blickt das Fest zurück. Die | |
| Einheimischen ziehen schon in der Früh in der Tracht in Richtung Festwiese. | |
| Dazu kommen mehr als 250.000 Besucher, die jedes Jahr hierherpilgern. | |
| 20-mal mehr, als hier Menschen leben. Das Vieh ist um diese Zeit schon | |
| verkauft. Lederhosen gäb’s noch, Backformen und ein „Kraut gegen Dummheit�… | |
| Jede Partei, die in Bayern was auf sich hält, hat hier ihren Auftritt. | |
| Häufig laden sich die Freistaatsgrößen dann auch Politprominenz aus dem | |
| übrigen Bundesgebiet ein. Angela Merkel war schon hier, Olaf Scholz auch. | |
| Selbst Joschka Fischer und Guido Westerwelle. Im vergangenen Jahr etwa | |
| hatte Söder seinen nordrhein-westfälischen Kollegen Hendrik Wüst an seiner | |
| Seite. Dieses Jahr sind es Friedrich Merz, Winfried Kretschmann, Lars | |
| Klingbeil und Wolfgang Kubicki, die sich für ihre jeweiligen Parteien ins | |
| Zeug legen. | |
| Nur Aiwanger hat keinen Stargast. Die Freien Wähler haben schließlich nur | |
| einen Star: ihn. Und hier in Niederbayern, da ist er ohnehin der Local | |
| Hero. Statt eines Gasts gibt es bei den Freien Wählern allerdings ein | |
| besonders üppiges Warming.up. Gleich fünf Vorredner stimmen die Fans auf | |
| den Auftritt Aiwangers ein: die Generalsekretärin Susann Enders, der | |
| niederbayerische Bezirksvorsitzende Ludwig Waas, der örtliche | |
| Direktkandidat Dennis Diermeier, der Parlamentarische Geschäftsführer der | |
| Landtagsfraktion, Fabian Mehring, und Umweltminister Thorsten Glauber. | |
| Der Stadl, also eine ehemalige Scheune, dient in diesem Fall als eine Art | |
| festgebautes Bierzelt. Von der Decke hängen alte Holzkutschen, Schlitten | |
| und Discokugeln. Und draußen vor dem Biergarten, da, wo alle vorbeimüssen, | |
| steht ein Mann und hält ein Schild in die Höhe, auf dem steht: „Schon Jesus | |
| sprach: Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Und auf | |
| seinem selbst bemalten Muskelshirt liest man: „Steht zu Aiwanger in der | |
| Not, sonst ist unser Bayern tot.“ Es ist ein Heimspiel für Aiwanger. | |
| ## Da ist der Schulbub mit Hitlerbärtchen | |
| Aber während er im vergangenen Jahr noch Winnetou zu sich auf die Bühne | |
| holte, um mit dem Blutsbruder das Kriegsbeil gegen die grassierende | |
| Wokeness, den grünen Wahnsinn auszugraben, steht dieses Mal ein anderer | |
| neben ihm. Keiner, den ein Laiendarsteller verkörpern muss. Einer, der | |
| nicht aus Fleisch und Blut ist, obwohl ihn alle sehen. Es ist dieser | |
| 16-jährige Schulbub mit Hitlerbärtchen und „Mein Kampf“ in der Tasche. | |
| Dieser Typ, der sich einfach nicht abschütteln lässt. Oder ist es | |
| vielleicht doch so, dass Aiwanger ihn gar nicht abschütteln will, sein | |
| Alter Ego? Oder besser: sein altes Ego? Man weiß es nicht. Nichts, was | |
| Aiwanger seit einer Woche von sich gegeben hat, hat dazu beigetragen, ihn | |
| besser zu verstehen. | |
| Vieles ist nicht bewiesen. Nach wie vor ist unklar, welcher Aiwanger – der | |
| heutige Politiker oder sein Bruder – tatsächlich dieses Nazi-Pamphlet | |
| verfasst hat, das Markus Söder zu Recht als „Dreck“ bezeichnet hat. Hat er | |
| damals als Gymnasiast den Hitlergruß gezeigt? Witze über Auschwitz gemacht? | |
| Details sind nach wie vor unklar, werden es vielleicht immer bleiben. Doch | |
| eines war nach allen Aussagen, Widersprüchen, Eingeständnissen außer Frage: | |
| Aiwanger war als Schüler auf einem politischen Irrweg, vermutlich sogar ein | |
| Rechtsradikaler. | |
| Eine Vergangenheit, die vergangen ist, der sich der Aiwanger von heute | |
| bislang jedoch nicht souverän zu stellen wusste. Immerhin ein Politiker, | |
| dem auch heute noch – Stichwort: Erding – zumindest Rechtspopulismus | |
| vorgeworfen wird. | |
| Eine Woche lang war unklar: Hält die Staatsregierung diese Zerreißprobe | |
| aus? Wird Ministerpräsident Söder seinen Vize nicht vielleicht doch | |
| entlassen? Am Sonntag in der Früh dann hatte die Hängepartie ein Ende. | |
| Ministerpräsident Markus Söder gab bekannt, ihn im Amt zu belassen. Trotz | |
| des Schadens, den Aiwanger – wie Söder sagt – Bayern zugefügt hat. Trotz | |
| der vielen Fragen, die Aiwanger – wie Söder sagt – nur unbefriedigend | |
| beantwortet hat. Und trotz des Krisenmanagements, das – wie Söder sagt – | |
| „unglücklich“ war. | |
| ## Aiwanger ist der Talk of the Bierzelte | |
| Aiwangers Ruf war damit zwar nicht gerettet, aber fürs Erste zumindest | |
| seine politische Karriere. Vom Tisch ist das Thema natürlich noch nicht. | |
| Schon am Donnerstag wird der Landtag deswegen zu einer Sondersitzung | |
| zusammenkommen. | |
| Jetzt sitzt er hier am Biertisch, unterhalb der Bühne, ihm gegenüber Fabian | |
| Mehring, einer seiner treuesten Gefolgsleute, und Lebensgefährtin Tanja | |
| Schweiger, Landrätin in Regensburg. Aiwanger isst seine Weißwurst, ist | |
| auffallend ruhig. Manchmal schaut er in die Luft, ein bisschen abwesend. | |
| Ganz selten lächelt er, während um ihn herum sich alle bestens gelaunt und | |
| in Bierzeltstimmung geben. | |
| Ab und zu beugt sich Fabian Mehring zu ihm, lacht, erzählt ihm etwas. | |
| Aiwanger nickt. Und kaut weiter. | |
| In diesem Moment fällt es schwer zu glauben, dass dieser kleine ruhige Mann | |
| hier der Star ist, alle nur seinetwegen gekommen sind. Und natürlich | |
| beherrscht er auch die übrigen Zelte und Wirtshäuser – zumindest | |
| thematisch. Drüben etwa, bei den Grünen: „Allein der Anschein von | |
| Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Antrieb unseres | |
| Handelns“, sagt dort Ludwig Hartmann, Spitzenkandidat seiner Partei für die | |
| Landtagswahl. „Der Populismus ist der Feind unserer Demokratie.“ | |
| ## Soli-Veranstaltung für den Hubert | |
| Oder ein paar Meter weiter Lars Klingbeil, der SPD-Chef: „Hubert Aiwanger | |
| und Markus Söder sind spätestens seit diesem Wochenende keine Vorbilder | |
| mehr für junge Menschen, die in der Politik was erreichen wollen.“ Und | |
| Wolfgang Kubicki, der stellvertretende FDP-Chef, bezeichnet Aiwanger als | |
| „gnadenlosen Populisten“. Aber das sei in Bayern ja üblich. „Der | |
| Ministerpräsident Markus Söder ist es ja auch.“ | |
| Just dieser Markus Söder ist es, der sich als Einziger an diesem Tag in der | |
| Sache ebenfalls bedeckt hält. Der Name Aiwanger – kommt in seiner Rede | |
| nicht vor. Stattdessen kassiert er im Hofbräuzelt Lob vom CDU-Vorsitzenden. | |
| Söder habe eine verdammt schwierige Aufgabe gehabt, sagt Friedrich Merz, | |
| und die habe er bravourös gelöst. „Sehr gut, genauso war’s richtig, das so | |
| zu machen.“ | |
| Im Weißbierstadl steigt derweil die große Solidaritätsveranstaltung. Die | |
| Besucher halten orangefarbene Schilder mit Hashtags in die Höhe. | |
| „#Aiwanger“ steht auf der einen Seite, „#WirHaltenZam“ auf der anderen.… | |
| Dennis Diermeier, ein 32-Jähriger in kurzen Lederhosen, der in den Landtag | |
| ziehen will, ruft in die Menge: „Wir stehen voll hinter dir. Wir brauchen | |
| einen Hubert Aiwanger. “ Aiwanger schneidet sich noch ein Stück Weißwurst | |
| ab. | |
| Einmal lacht er dann doch. Als Mehring von einem Wallfahrtspfarrer aus | |
| seiner Heimat erzählt, der ihm geschrieben habe: „Wir beten für euch.“ | |
| Überhaupt kommt es vor allem dem Parlamentarischen Geschäftsführer zu, die | |
| große Verteidigungsrede zu halten. „Ich kenne keinen einzigen Freien | |
| Wähler, dessen Heimat nicht in der Mitte wäre“, sagt Mehring. Die Freien | |
| Wähler seien ein Bollwerk gegen links, aber auch gegen rechts. | |
| ## Jetzt auch noch Gandhi-Vergleiche | |
| Und den Hubert Aiwanger, den kenne er seit 15 Jahren. Es habe nicht eine | |
| einzige Situation gegeben, in der es auch nur einen Funken Zweifel an | |
| seiner Gesinnung gegeben habe. Mehring spricht von einem Kesseltreiben und | |
| dem Versuch, Aiwanger aus wahltaktischen Gründen in den Dreck zu ziehen. | |
| „Wir stehen vor dir, wenn von vorne mit Dreck geworfen wird“, ruft Mehring. | |
| „Wir stehen hinter dir, wenn von hinten mit Dreck geworfen wird.“ Und zu | |
| guter Letzt bemüht er sogar noch Gandhi: „Zuerst ignorieren sie dich, dann | |
| lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du.“ | |
| Eine Stunde dauern die Vorreden, die Menschen werden langsam unruhig. Um 11 | |
| Uhr schließlich ruft einer: „Wir wollen den Hubert sehn.“ Und kurz darauf | |
| steht er auf der Bühne, legt los. | |
| Knapp eine Stunde wird er reden. Die Fans sind dankbar, klatschen, lachen, | |
| rufen „Hubert, Hubert“. Aber ebendieser Hubert allerdings, von dem sein | |
| Fraktionschef Florian Streibl im Sommer einmal sehr zum Unmut der CSU | |
| behauptete, er sei ein „begnadeter Bierzeltredner, der Einzige, der es vor | |
| ihm so konnte, war Franz Josef Strauß“, dieser Hubert will heute nicht so | |
| recht in Fahrt kommen. | |
| Zunächst bedankt er sich bei den Leuten für die Rückenstärkung auch in | |
| diesen schwierigen Zeiten. Aber mehr hat der Freie-Wähler-Chef nicht zu | |
| sagen zu dem Thema, das seit nun mehr als einer Woche Bayern beschäftigt | |
| wie kein anderes. Kein „Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß | |
| gemacht“ wie vor drei Tagen beim Karpfhamer Fest in Bad Griesbach, keine | |
| Entschuldigung, keine Rechtfertigung, auch kein Triumphgeschrei wie noch am | |
| Sonntag im Bierzelt in Keferloh, wo er von seinem „reinen Gewissen“ sprach | |
| und einer „gescheiterten Schmutzkampagne“, während Markus Söder sich | |
| zeitgleich vor der Presse bemühte, einigermaßen schlüssig darzulegen, warum | |
| er diesen Mann nun in seinem Kabinett behält. Nein, gar nichts. Das Thema | |
| scheint für Aiwanger nicht mehr zu existieren. | |
| ## Billiges Draufhauen? | |
| Stattdessen geht es um das Übliche: diese woke Zeit, Kinder, die nicht mehr | |
| Cowboy und Indianer spielen dürfen, eine Politik, in der nicht mehr | |
| Vernunft, sondern nur noch Ideologie zähle. Es geht um die Legalisierung | |
| von Cannabis, das Heizungsgesetz, die Erbschaftsteuer. Aiwanger, versteht | |
| sich, ist gegen alles drei. Und dass die Ampel in Berlin den Leuten ihren | |
| Holzofen wegnehmen möchte. | |
| Vor allem aber geht es darum, dass sich Leistung lohnen müsse, um den | |
| jungen Metzger, der neulich auf ihn zugekommen sei und erzählt habe, er | |
| sehe hier keine Chance mehr für sich, er wandere nach Kanada aus. „Immer | |
| mehr Menschen fragen sich: Ist das denn überhaupt noch gewünscht, dass ich | |
| in der Früh aufstehe und in die Arbeit gehe?“ | |
| Auch solche Sprüche ernten Riesenapplaus: „Man muss sich weniger dafür | |
| rechtfertigen, dass man als junger und gesunder Mensch nicht arbeitet, als | |
| wenn man arbeitet.“ Aber nein, das sei kein billiges Draufhauen. | |
| Erst gegen Ende wird Aiwanger dann etwas lauter, wird leidenschaftlicher, | |
| bleibt aber für seine Verhältnisse doch zurückhaltend. „Noch ein heikles | |
| Thema“, kündigt er an und spricht über Migration. Dass man ihn schon 2015, | |
| als er vor Merkels Flüchtlingspolitik gewarnt habe, in die rechte Ecke habe | |
| stellen wollen, beklagt er sich. | |
| ## Programmatisch weit rechts | |
| An der EU-Außengrenze müsse man die illegale Zuwanderung stoppen und die | |
| Flüchtlinge, die in die EU gelassen würden, gerecht verteilen. Die | |
| Flüchtlinge, die schon da seien und arbeiten wollten, sollte man aber auch | |
| vom ersten Tag an arbeiten lassen. „Warum kriegen wir denn das nicht hin? | |
| Warum schafft man das denn nicht?“ | |
| Ansonsten: keine Zoten, keine deftigen Sprüche. Und wenn er sich an einer | |
| Stelle dann doch mal zu seinem Auftritt in Erding äußert, dann nur höchst | |
| verklausuliert, während er über das Heizungsgesetz herzieht: „Ich sah mich | |
| in keiner anderen Situation“, sagt er, „als zu sagen, wir müssen die Dinge | |
| beim Namen nennen.“ | |
| Dass er die Dinge tatsächlich mal beim Namen nennen würde – war das nicht | |
| das, was sich zuletzt so viele von ihm gewünscht hatten? | |
| 4 Sep 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
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