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# taz.de -- Hubert Aiwangers Wahlprogramm: Die neue „bürgerliche“ Definiti…
> Der ideologiefreie Hubert Aiwanger macht Wahlkampf mit Winnetou und
> Glockengeläut. Nun setzt er sich dafür ein, dass Schularbeiten geheim
> bleiben.
Bild: Fastnacht in Franken 2017, Aiwanger in stereotyper „Indianer“-Verklei…
Hubert Aiwanger bekennt sich erneut zu Winnetou. Diese Bierzelt-Nachricht
vom Montag ist nach den turbulenten Ereignissen um den rechtspopulistischen
niederbayerischen Stammtischpolitiker beinahe im Getümmel untergegangen.
Denn Aiwanger, der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende
Ministerpräsident des Bundeslandes, ist zumindest angezählt, seit bekannt
wurde, dass sein Bruder Helmut in der Jugend ein antisemitisches Flugblatt
verfasst hatte, [1][das sich auch in Huberts Schulranzen fand].
Einstige Mitschüler:Innen und Lehrer:Innen vermuteten bei Hubert
Aiwanger damals eine rechtsradikale Gesinnung. Der Beschuldigte bereute
damalige Einlassungen zwar nun öffentlichkeitswirksam, bezeichnete sich
aber zugleich als Opfer einer Medienkampagne. Es werde ein schiefes Bild
von ihm gezeichnet, er sei ein „Menschenfreund“.
## Längst aus der Zeit gefallen
Gerne würde man von Aiwanger, dem Wirtschaftsminister des Landes,
irgendetwas Realpolitisches zitieren. Etwa ein zukunftsweisendes Konzept
zum zügigen Ausbau von Windenergie. „Das Gas kam aus Russland und der Strom
aus der Steckdose“, hat er stattdessen in einem TV-Interview orakelt, auf
die Frage, warum Bayern beim Bau von Windrädern den anderen Bundesländern
hinterherhinkt.
Aiwangers erneutes Bekenntnis zu Winnetou, also der bundesdeutschen
Western-Verfilmung von Karl-May-Romanen aus den frühen 1960ern, ist im
Lichte des bayerischen Wahlkampfs zu sehen, der in seine heiße Phase
eingetreten ist. Am 8. Oktober finden Landtagswahlen statt. Die
Winnetou-Filme aus der Wirtschaftswunderzeit laufen im deutschen Fernsehen
bis heute in Endlos-Wiederholungen, wenngleich Handlung und Sprache längst
aus der Zeit gefallen sind.
Mit Winnetou hat die CSU eigene Erfahrungen. Ihr langjähriger
Generalsekretär (der spätere Bundesinnenminister) Friedrich Zimmermann
(1925–2012) bekam den Spitznamen „Old Schwurhand“ verpasst, aufgrund eines
Meineids, den er 1960 im Zuge der bayerischen Spielbankenaffäre geleistet
hatte. Es gab damals Bestechungsvorwürfe gegen hochrangige bayerische
Politiker im Zusammenhang mit erteilten Casinolizenzen. Die Freien Wähler
gab es da noch nicht, die CSU bildete die Regierung in einer Koalition
unter anderem mit der königstreuen Bayernpartei.
## Die viel bejodelte Mitte der Gesellschaft
Aiwanger, Galionsfigur seiner Partei Freie Wähler, inszeniert sich als
Sprachrohr für die „Mitte der Gesellschaft“. Wo genau diese ominöse Mitte
liegt? Im Wahlprogramm seiner Partei Freie Wähler heißt es, „wir hören zu
und machen für Sie eine vernünftige Politik mit gesundem Menschenverstand!“
Vernünftig? Erinnert sei an Aiwangers monatelange Weigerung, sich gegen
Corona impfen zu lassen. Im Juli 2021 vertrat er gar die Meinung,
politischer Druck auf Menschen, die sich nicht gegen das Virus impfen
lassen, könne eine „Apartheidsdiskussion“ auslösen.
Die Freien Wähler behaupten, sie seien frei von Ideologien. Aiwanger, so
das Parteiprogramm, „stehe dafür, dass die Politik die Menschen ernst
nimmt“. Nicht nur mit Winnetou! Die Freien Wähler haben eine
deutschlandweite Initiative auf den Weg gebracht: Mit ihr soll „das
gewachsene Sinneserbe unserer Heimat“ geschützt werden. Dazu zählten
„landesübliche Geräusche wie Kirchturmläuten, Kuhglocken oder ortsbekannte
Gerüche wie der Brotduft einer Bäckerei“. Im Bundesgebiet soll es riechen
und klingen wie 1862 auf dem Dorf? Wenn noch jemand einen Beweis braucht,
dass die viel bejodelte Mitte der Gesellschaft in die Hände von Spinnern
geraten ist, bitte sehr.
## So „bürgerlich“
Die CSU, seit 1957 an der Regierung, machtbesoffen und konservativ bis auf
die Knochen, bildet momentan die bayerische Staatsregierung in der
Koalition mit den Freien Wählern und möchte sie unbedingt fortsetzen.
„Bürgerlich“ sei diese Konstellation, ein Prädikat, das
CSU-Ministerpräsident Markus Söder den Grünen dagegen abspricht.
Am Montag forderte Aiwanger im Festzelt Aubing mehr Verwaltungskräfte an
Münchner Schulen, wie eine Kollegin vom Spiegel twitterte: „Die Eltern
sollen sich darauf verlassen können, dass nicht die Lehrer die
Schulaufgaben der Kinder kopieren und 40 Jahre später gegen sie verwenden
können.“
5 Sep 2023
## LINKS
[1] /Hubert-Aiwangers-Flugblattaffaere/!5954766
## AUTOREN
Julian Weber
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