# taz.de -- Umgang mit der Aiwanger-Affäre: Präzise Anklage, bitte | |
> Weder Aiwanger noch Ministerpräsident Söder fanden richtige Worte in der | |
> Flugblatt-Affäre. Doch auch Aiwangers Kritiker machten Fehler. | |
Bild: Wahlplakat mit Hubert Aiwanger | |
Die Aiwanger-Festspiele gehen weiter. Auf den ersten Blick nach Bayern | |
sieht es so aus, als hätte es nie ein Hetzblatt in seiner Schultasche und | |
kein widersprüchliches Geschwurbel des erwachsenen Aiwanger gegeben. Nach | |
seinem Freispruch durch Markus Söder tingelt der Vizeministerpräsident | |
scheinbar frisch gestärkt durch die Bierzelte und wird gefeiert. CDU-Chef | |
Friedrich Merz nennt Söders Umgang mit dem Fall Aiwanger „bravourös“, der | |
Kanzler nimmt ihn „zur Kenntnis“. Ist Deutschland also auf dem rechten Auge | |
blind, so wie Olaf Scholz auf dem jetzt schon ikonischen Augenklappen-Foto | |
nach seinem Joggingunfall? | |
Ganz und gar nicht. Die öffentliche Aufregung im ganzen Land hält | |
unvermindert an und zeigt, [1][wie ernst der Umgang mit dem schrecklichsten | |
Kapitel der deutschen Geschichte nach wie vor zu Recht genommen wird]. | |
Nichts in Deutschland ist wichtiger als eine glasklare Haltung zu den | |
NS-Verbrechen und zum rechtsextremen Hass von heute. | |
Klar ist auch, dass weder Aiwanger noch Söder die richtigen Worte dazu | |
gefunden haben. Im Vordergrund stehen bei CSU und Freien Wählern | |
[2][offenkundig der pure Machterhalt] und das Bedürfnis, die unangenehme | |
Sache abzuhaken. Ob sie damit langfristig durchkommen, ist offen. Es hängt | |
davon ab, ob noch weitere, belegbare Verfehlungen Aiwangers ans Licht | |
kommen – und wie sich die politische Konkurrenz weiter zu dem Fall verhält. | |
## Chance auf Resozialisierung | |
Leider wurden auch bei der Kritik an Aiwanger Fehler gemacht. Das | |
artikulierte Entsetzen über das Hetzblatt war zwar berechtigt, weil eine | |
derart sadistisch-widerliche NS-Verherrlichung noch nie bei einem späteren | |
Regierungspolitiker der Nachkriegsgeneration entdeckt wurde. Doch in der | |
Empörung haben viele unterschätzt, wie stark der Verweis auf das | |
jugendliche Alter des politisch Angeklagten zur Tatzeit wirkt. Nicht nur | |
bei Rechten. Gerade Linke sollten sich über diese Nachsicht nicht erheben. | |
Die Chance auf Resozialisierung ist ja keine rechte Idee. | |
Wer trotzdem [3][sofort nach Bekanntwerden der ersten Berichte Aiwangers | |
Rücktritt fordert], läuft Gefahr, dass Aiwangers abgeschmackte Opfermärchen | |
bei vielen noch mehr verfangen. Wer Rechte angreift, muss in der Haltung | |
klar, aber auch in der Anklage präzise sein und angemessene Konsequenzen | |
fordern: also erst einmal Aufklärung. Wer von Anfang an „Entlassung“ ruft, | |
wenn eine Hetzschrift auftaucht, zu der sich der Bruder des Angeklagten | |
bekannt hat, schießt über das Ziel hinaus und muss sich nicht wundern, wenn | |
Aiwanger bei einer Nicht-Entlassung als vermeintlicher Sieger dasteht. | |
4 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Wallraff | |
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