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# taz.de -- Nach dem Aiwanger-Skandal: Zeit der Monster
> Der Konservativismus in Bayern schreddert gerade unsere ökologischen
> Lebensgrundlagen und das demokratische Fundament. Wir müssen
> dagegenhalten.
Bild: Bald verschwunden, der Watzmanngletscher. Wanderer auf Schneeresten im Au…
Knapp fünf Wochen [1][vor der Landtagswahl] schmelzen in Bayern die letzten
Gletscher und demokratische Grundfeste im dystopischen Gleichtakt. Beides
hängt nicht nur zeitlich und räumlich miteinander zusammen.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will seine
Rechtsaußen-Machtkalkulation im Angesicht tonnenschwerer Fragen über
Erinnerung, Respekt und deutsche Schuld mit performativer und vor allem
konsequenzloser Auf-den-Tisch-Hauerei überschatten. Dabei zieht er die
Ökologiefrage immer tiefer in den politischen Rechtsdrift mit hinein. Es
ist Zeit, sich dem entgegenzustellen.
Dass der Konservativismus es bisher nicht geschafft hat, einen souveränen
Umgang mit einer erstarkenden AfD zu finden, wird immer offensichtlicher.
Am vergangenen Wochenende erlebte man einen Markus Söder, der zwar
hochengagiert und entschieden eine Distanzierung von den Grünen verkündete
– nicht aber die eigentlich gefragte Abgrenzung von einem Vize und dessen
unerträglich unernstem Umgang mit dem schweren Vorwurf antisemitischer und
menschenverachtender Propaganda.
Es ist ein Muster: je höher die bundesweiten Zustimmungswerte für die AfD,
desto weicher der Umgang der Union mit rechts und desto härter der Umgang
in Richtung ökologischer Klasse. 2018 kündigte Merz noch an, die AfD
halbieren zu wollen, fünf Jahre und eine stark gewachsene Zustimmung für
die AfD später bejaht-verneint Merz in klassisch
unaufgeräumt-rechtsblinkender Manier eine Zusammenarbeit mit der AfD auf
kommunaler Ebene.
Am Montag, [2][beim Polit-Volksfest Gillamoos], erwähnt Friedrich Merz
Aiwangers Fehler im Umgang mit seiner Vergangenheit mit keinem Wort;
Aiwanger selbst wiederum zelebriert ein Bierzelt weiter allen Ernstes
seinen Widerstand gegen seine „Vernichtung“ durch die politischen Gegner.
Wen Merz in Bayern stattdessen attackierte: seinen „Hauptfeind“, die
Grünen, in minutenlangem Gezeter. Mit rechten Stimmen wird angestoßen, auf
ökologische Stimmen prügelt man ein. 100 Kilometer südlich vom Gillamooser
Bierzelt sitzen 27 Mitglieder der Letzten Generation in bayerischer
Präventivhaft.
Gefragt sind nun jene Konservativen, die den menschenfeindlichen Kurs von
rechts als Gefahr und nicht länger als Inspiration verstehen und
stattdessen eine Linie der demokratischen Integrität und des Anstands
vertreten, die auch im Wahlkampf Werte vor Wählerumfragen stellt.
Es stehen aber auch Fragen im Raum, die die Ökologie betreffen: Was sind
ihre Antworten auf die wachsende Instrumentalisierung durch rechts? Rechte
Kräfte zersetzen in ihrer menschenfeindlichen Ideologie nicht nur
demokratische Fundamente, sie zersetzen auch demokratische
(Lebens-)Grundlagen – beides gehört zusammen. Stabile Demokratien brauchen
ein stabiles globales Klima, das einen ökologischen Rahmen der Sicherheit
schafft und nicht Chaos stiftet und Konflikte schürt. Jede Verschärfung der
Klimakrise sorgt dafür, dass ein bisschen weniger demokratische Instanzen
und ein bisschen mehr die Klimakatastrophen regieren. Jede Katastrophe
verengt den demokratischen Raum, bindet Ressourcen und raubt Zeit.
Eine freie und selbstbestimmte Demokratie ist wiederum für die Rechten eine
Gefahr. Mit aller Kraft arbeiten sie dagegen an. Und – auf einer anderen
Ebene – ist auch die ökologische Krise für sie eine Gefahr, denn ihre
Agenda liefert keine Antworten darauf. Die ökologische Krise anzuerkennen,
würde heißen, man lässt sich auf die Tatsache globaler Abhängigkeiten ein,
lässt zu, dass man Verantwortung für andere und für die eigene
Vergangenheit übernimmt – aber all das verweigern die Rechten und damit
nicht nur die AfD.
Sie liegen damit in einem globalen Trend: Es ist kein Zufall, dass Trump
das Pariser Abkommen aufgekündigt hatte und [3][Bolsonaro praktisch
höchstpersönlich mit seiner Hobbysäge] durch den Regenwald zog. Der Motor
der Klimaleugnung liegt in der politischen Rechten, doch hat er sich
mittlerweile tief im konservativen Milieu eingenistet. Die Klimafrage wird
dort in denselben Topf geschmissen, in den auch Gerechtigkeits- und
Selbstbestimmungsfragen geworfen werden, in der Sprache der Rechten: es ist
die Woke-Agenda.
## Bayern – Einschnitt für die Ökologie
Hubert Aiwanger nahm zuletzt einen verregneten Juni zum Anlass, um in der
Klimakrise weniger „Panik“ zu fordern; an anderer Stelle sprach er von
„Klimahysterikern“, die „Geschäftemacherei und Schlagzeilenproduktion“
betreiben würden. Der Konservatismus in Bayern demonstriert, wie man im
selben Atemzug schreddert, worauf man steht: die ökologische
Lebensgrundlage und das demokratische Fundament. Wer mit Rechten bändelt,
lädt auch die Wissenschaftsfeindlichkeit ein und die Verantwortungsleugnung
– und stärkt die Unfähigkeit, zum Schutz zukünftiger Generationen echte
Lehren zu ziehen.
Die Entwicklungen in Bayern dürften für die Ökologie ein Einschnitt sein.
Wenn wir für uns in Anspruch nehmen, durch unsere Forderungen nach
Klimagerechtigkeit die Demokratie und alles, was dazugehört, zu schützen,
dann sind wir auch aufgefordert zu beweisen, dass wir unseren Einsatz als
kategorisch antifaschistisch verstehen. Dass wir uns angesprochen fühlen,
wenn die rechte Agenda Minderheiten und Menschenrechte bedroht. Es muss
deutlich werden, dass wir planetare Bewohnbarkeit nicht isoliert von
demokratischer Emanzipation verstehen.
Es ist die Zeit der Monster, sagte Antonio Gramsci über die Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg. Und heute? Die Rechten wollen freie Gesellschaften und
ökologische Emanzipation zur großen Gefahr stilisieren. Das wird ihnen so
lange gelingen, bis wir eine eigene Geschichte erzählen: von einer
Gesellschaft, die Respekt, Würde und Ökologie dort zusammendenkt, zusammen
stärkt und zusammen verteidigt, wo sie im Kern längst zusammengehört.
7 Sep 2023
## LINKS
[1] /Juedische-Stimmen-zum-Fall-Aiwanger/!5955177
[2] /Aiwanger-beim-Gillamoos/!5955192
[3] /Brasilien-nach-der-Wahl/!5890091
## AUTOREN
Luisa Neubauer
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Schwerpunkt Klimawandel
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