# taz.de -- Aiwanger verschiebt den Diskurs: Die Opfer? Nicht so wichtig | |
> Wahltaktisch mag es Sinn ergeben, Bayerns Vize Hubert Aiwanger nicht zu | |
> feuern. Gesellschaftlich ist es fatal: Es missachtet die Würde vieler | |
> Bürger. | |
Bild: Aiwanger schreibt in ein Gästebuch | |
Es mag Gründe gegeben haben, Hubert Aiwanger nicht zu feuern – politisch, | |
juristisch, wahltaktisch. Viele sagen, [1][politisch sei es klug von Söder, | |
Aiwanger im Amt zu lassen], damit der sich vor der Landtagswahl nicht als | |
Opfer stilisiert und rechte Wähler abgreift. | |
Nun, [2][als Opfer einer Schmutzkampagne] stilisiert der sich so oder so, | |
schon bei [3][seiner „Entschuldigung“]. „Die Medien“ sind mal wieder | |
schuld, schon darin erinnert sein Duktus an jenen vieler Rechter. Und noch | |
eine Ähnlichkeit gibt es zwischen der Causa Aiwanger und der strategischen | |
Diskursverschiebung der Rechten zu ihren Gunsten: die Salamitaktik. Etwas | |
Unsagbares taucht auf oder wird gesagt, dann wird rumgeeiert, ein bisschen | |
distanziert und am Ende passiert: nichts. Zumindest nicht auf der | |
Oberfläche. Doch der Raum darunter ist ein anderer geworden. | |
Ob man von einer „Moralkeule Auschwitz“ spricht, von der NS-Zeit als | |
„Vogelschiss“ oder einen Politiker im Amt lässt, der sich, konfrontiert mit | |
widerlichen Witzen über die Opfer des Holocaust, nicht sofort beschämt | |
distanziert und sich entweder glaubhaft entschuldigt oder eben glaubhaft | |
seine Unschuld erklärt – das Ergebnis ist dasselbe. | |
All diejenigen, die insgeheim oder weniger geheim einen Schlussstrich unter | |
die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, mit der Verantwortung, die sich | |
daraus in die Gegenwart und Zukunft ergibt, ziehen wollen, fühlen: Passt | |
scho! Wenn sogar ein Vize-Landeschef vielleicht schon mal Auschwitz-Witze | |
machen konnte und am Ende als triumphierendes Opfer einer Kampagne dasteht, | |
müssen wir uns auch nicht immer so zusammenreißen. In jedem Fall rufen die | |
Beteiligten, hier also auch Söder, all denjenigen, deren Familien Opfer | |
waren, zu: Sorry, ihr gehört nicht dazu. Was sagbar ist, bestimmen immer | |
noch wir! Und: die Befindlichkeiten bestimmter Bürger sind uns wichtiger | |
als eure Würde. | |
Die Taktik, den Rechten ja keinen Grund zu liefern, sich als Opfer zu | |
fühlen, verhöhnt also nicht nur die realen Opfer des Holocaust, es hat die | |
Rechten, guckt man auf die AfD-Umfragewerte, bislang nur gestärkt. | |
5 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Soeders-Aiwanger-Treue/!5954907 | |
[2] /Hubert-Aiwangers-Flugblattaffaere/!5954766 | |
[3] /Aiwangers-Entschuldigung/!5957454 | |
## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
## TAGS | |
Hubert Aiwanger | |
Landtagswahl Bayern | |
Markus Söder | |
Antisemitisch | |
Martin Walser | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schlagloch | |
Hubert Aiwanger | |
Hubert Aiwanger | |
Kolumne Die Woche | |
Markus Söder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umgang mit dem Fall Aiwanger: Neue Wurschtigkeit | |
Antisemitismus ist kein Tabu mehr. Der Fall Aiwanger ist eine Zäsur: 20 | |
Jahre nach der Hohmann-Affäre weicht die Union den Konsens auf. | |
Nach dem Aiwanger-Skandal: Zeit der Monster | |
Der Konservativismus in Bayern schreddert gerade unsere ökologischen | |
Lebensgrundlagen und das demokratische Fundament. Wir müssen dagegenhalten. | |
Das Aiwanger-Problem: Normal nur unter Rechten | |
Wie kommt Aiwanger dazu, das Flugblatt als Jugendsünde zu verkaufen? Wir | |
haben uns das Märchen von der Erinnerungskultur selbstverliebt erzählt. | |
Aiwanger soll KZ-Gedenkstätte besuchen: Hier gibt es keine Persilscheine | |
KZ-Gedenkstätten sollen rechtsextremen Haltungen vorbeugen. Von Hubert | |
Aiwanger wird nun ein Besuch in Dachau erwartet: ein falsches Signal. | |
Volksfest Gillamoos: Aiwanger sieht Demokratie in Gefahr | |
Auf dem Gillamoos kübeln Söder, Merz und Aiwanger gegen die Bundespolitik. | |
In der Flugblatt-Affäre wittern die Freien Wähler weiterhin eine Kampagne. | |
Faire Noten, durchsichtige Tricks: Söders Flugblatt | |
Das Aiwanger-Pamphlet und seine Bedeutung nach 35 Jahren mag man | |
unterschiedlich bewerten. Für viele haben Söder und Aiwanger es frisch | |
gedruckt. | |
Söders Aiwanger-Treue: Es geht um Macht, nicht um Moral | |
Söder hält am Freie-Wähler-Chef fest, weil er ihn nach der Bayernwahl | |
braucht. Um die Sache ging es bei der Flugblatt-Affäre längst nicht mehr. |