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# taz.de -- 1. Mai in Berlin: Alles nur noch Tradition
> Erst Wedding und Flinta, dann DGB und Revolution: Neue Ideen für den Tag
> der Arbeit sind nicht in Sicht. Einzig „MyGruni“ gibt Anlass zur
> Hoffnung.
Bild: Fahrraddemo in den „Problembezirk“ Grunewald am 1. Mai 2022
Berlin taz | Der Tag der Arbeit steht in diesem Jahr unter besonderen
Vorzeichen: Die Rekordinflation hält an und treibt immer mehr Menschen in
die Armut, während die FDP weiter Klientelpolitik für die Profiteure
durchsetzt. Gleichzeitig erleben die Gewerkschaften ein Hoch mit so vielen
Streiks und Neueintritten wie seit Jahren nicht. Der Krieg in der Ukraine
dauert an und birgt lange nicht gekannte Erfahrungen auch für das Leben
hierzulande. Die Dramatik der Klimakrise nimmt weiter zu und stellt unsere
bisherige Lebensweise infrage. Zugenommen hat aber vor allem die Schärfe in
der gesellschaftlichen Debatte um Klimaaktivismus.
Dazu kommt: In Berlin droht der gesellschaftspolitische Rückschritt mit
einer konservativen, CDU-geführten Regierung, deren Vorhaben weder den
Anforderungen der sozialen Notlage auf dem Wohnungsmarkt noch der
Klimakrise entsprechen. Und in Ostdeutschland hat die AfD inzwischen in der
Fläche Umfragewerte von 25 Prozent und mehr und strebt zunehmend nach der
Macht.
Trotz der brisanten politischen Entwicklungen hält die gesellschaftliche
Linke der Stadt an ihren altbekannten Konzepten, Demos und Themen fest.
Tradition statt neuer Impulse. Der Protestfahrplan sieht damit aus wie eine
Kopie des vergangenen Jahres, und – mit Einschränkungen durch Corona – der
Jahre zuvor. Antikapitalistische Demo im Wedding und Flinta-Demo zur
Walpurgisnacht, DGB und Grunewald-Demo tagsüber am Tag des 1. Mai. Und
abends: heraus zum Revolutionären 1. Mai.
Zu einer Reaktivierung des MyFestes in Kreuzberg nach der erzwungenen
Pandemiepause kommt es auch nicht. Ein Antrag der privaten Organisatoren
zur Durchführung des von vielen geliebten Straßenfests rund um die
Oranienstraße liege dem Bezirk nicht vor, teilte dieser auf taz-Anfrage
mit.
## Trutschiger DGB
Es sind nicht nur dieselben Proteste, oftmals mit zeitlos schönen Aufrufen,
die wenig mit den aktuellen Entwicklungen zu tun haben, es sind auch die
immer selben Akteure. Vorneweg der DGB, der schon in seinem Motto
„Ungebrochen solidarisch“ auf Kontinuität statt Aufbruch setzt. Neue
Akzente, wie sie sich etwa in der jüngsten Kooperation von Verdi mit
Fridays for Future zeigte oder der Versuch, auch jene Arbeiter:innen
einzubinden, die sich in direktem Kampf gegen ihre Ausbeutungsverhältnisse
etwa bei den Lieferdiensten befinden, sucht man vergebens.
Aber anderes ist wohl auch nicht zu erwarten von einem
Gewerkschaftsdachverband, der in Person ihrer Vorsitzenden in
Berlin-Brandenburg, Katja Karger, im schwarz-roten Koalitionsvertrag eine
Chance erkannte, dass Berlin zur „Hauptstadt der guten Arbeit“ werde. Und
von einem DGB, der unverdrossen Redner:innen wie Bundeskanzler Olaf
Scholz einlädt, der dieses Jahr in Koblenz sprechen wird.
Doch neue Akteure oder Akzente sucht man auch in der radikalen Linken
vergebens. Die tragenden Gruppen der Proteste sind überwiegend nicht jene,
die den Ton des Protestgeschehens im restlichen Jahr vorgeben. Beim Blick
auf die aufrufenden Gruppen der [1][18-Uhr-Demo] findet sich außer der
Migrantifa keine Gruppe, die normalerweise über eine enge
kommunistisch-antiimperialistiche Blase hinaus mobilisierungsfähig wäre.
Die Gestaltung dieser Demo, die ein Angebot für die ganze radikale Linke
sein soll, überlässt die Szene einem Milieu, das selbst in der Szene ein
Außenseiterdasein fristet.
An Anziehungskraft verloren hat schon in den vergangenen Jahren die Demo
von Hände weg vom Wedding, auch wenn die lokale Organisierung der Gruppe
lobenswert ist. Doch in einer Event-Gesellschaft gilt auch für die Linke:
Ohne neue Ideen ist es schwierig, Menschen bei der Stange zu halten. Warum
da so wenig kommt, ob aus Überlastung, Selbstbeschäftigung oder
Ideenlosigkeit, ist die große Frage.
## Neue Bündnisse Fehlanzeige
Dabei gäbe es Möglichkeiten genug: Wo bleibt der Schulterschluss mit
Arbeiter:innen und Gewerkschaften, etwa in einer Parade der Arbeit, auf
der jene Tätigkeiten auf den Schild gehoben werden, die wirklich relevant
für die Gesellschaft sind? Wo bleiben kreative Spendenaktionen für
Streikkassen hierzulande oder auch in Frankreich? Und warum trägt man nicht
den Protest zur entstehenden Bundeszentrale der AfD nach Wittenau?
Der letzte inhaltliche Schwung für den 1. Mai in Berlin feiert derweil sein
fünfjähriges Bestehen: die Bespielung des Grunewalds durch die
Hedonistische Internationale. Und die hat sich Mühe gemacht mit einem
gänzlich neuen Framing: MyGruni nennt sich nun „Reichtum wird enteignet“
(RWE). Für ein [2][Werbevideo] hat man sich bei Logo und Werbemittel des
gleichnamigen Kohlekonzerns bedient. Dieser erwirkte, sich in seiner Marke
verletzt sehend, eine Löschung auf Instragram.
Zu sehen ist das beanstandete Video auf den verschiedenen Kanälen von
[3][MyGruni] dennoch. Zu Bildern von Bergarbeitern und einem Kraftwerk
heißt es da: „Jahrhundertelang haben wir die falsche Kohle abgebaggert. Das
hat uns und der Umwelt geschadet.“ Auf Kohleabbau müsse man jedoch nicht
verzichten; vielmehr gelte es die „klimaschädlichen Kohlevorkommen“ im
Grunewald abzubaggern.
Die reale Grundlage der satirisch aufbereiteten Aktion: der exzessive
Lebensstil der Superreichen mit Villen, Jachten und Privatjets, der dazu
führt, dass das reichste Prozent der Menschen mehr als doppelt so viel CO2
freisetzt als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Der Versuch der thematischen Verbindung von Klassenkampf und Klimapolitik
ist zumindest ein Hoffnungsschimmer, dass der 1. Mai das Potential hat sich
– bei aller berechtigten Tradition – neu zu erfinden. Auch wenn es in
diesem Jahr noch nicht so weit ist.
24 Apr 2023
## LINKS
[1] /Bilanz-des-Revolutionaeren-1-Mai/!5844543
[2] https://www.youtube.com/watch?v=GKwTvikNuA4
[3] https://mygruni.de/
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
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8. Mai 1945
Polizei Berlin
Arbeitnehmer
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