| # taz.de -- 1.-Mai-Protest im Berliner Grunewald: Satirisch verpackte Ansagen | |
| > Bei der Demo durchs Villenviertel bindet das Bündnis erstmals | |
| > Klimagerechtigkeitsbewegungen ein. Die Polizei ist mit einem | |
| > Großaufgebot vor Ort. | |
| Bild: Nur Geld im schwarzen Koffer – da kann die Polizei drüber wegsehen | |
| Berlin taz | Die Umverteilung von Reichtum ist keine leichte Aufgabe. Die | |
| Organisator:innen der [1][diesjährigen Grunewald-Demo] haben dafür | |
| extra einen auf einem Anhänger montierten Schaufelradbagger in das | |
| Villenviertel gebracht. „Lasst uns die Oberschicht im großen Stil | |
| abbaggern!“, kündigt der in einem pinken Overall gekleidete [2][Dadaist | |
| Pastor Leumund] auf der Auftaktkundgebung auf dem Johannaplatz am | |
| Montagmittag an. | |
| Die zum fünften Mal stattfindende Grunewald-Demo hat sich für dieses Jahr | |
| neu aufgestellt: [3][Aus dem Quartiersmanagement MyGruni ist dieses Jahr | |
| RWE geworden] – Reichtum Wird Enteignet. Und aus einem satirisch verpackten | |
| Hilfsangebot an die gesellschaftlich isolierten Reichen ist eine satirisch | |
| verpackte Ansage geworden, die zugleich auf die Verantwortung der | |
| Wohlhabenden für die Klimakrise hinweist. | |
| Die rhetorische Volte zieht: Die Beteiligung ist deutlich höher [4][als in | |
| den Vorjahren]. Schon vor Beginn der Demo ist der Platz fast komplett | |
| gefüllt, die Veranstalter:innen sprechen wenig später von 7.000 | |
| Teilnehmer:innen, die mit Techno-Bässen, Sekt und glitzernden Outfits durch | |
| das Villenviertel ziehen. An der Zubringer-Fahrraddemo, die um 11 Uhr vom | |
| Brandenburger Tor startete und über den Kurfürstendamm in den Grunewald | |
| führte, nahmen mehr als 1.000 Menschen teil. | |
| ## Privatjets und Yachten im Visier | |
| Die riesigen Villen und Pools müssten auch beheizt werden, sagt ein Redner | |
| während der Auftaktkundgebung, der sich als „Andi Schippe“ vorstellt. Mit | |
| ihren Privatjets, Luxusyachten und Sportwägen würde das reichste 1 Prozent | |
| der Weltbevölkerung so viel CO2 ausstoßen wie die ärmste Hälfte. „Wir | |
| können uns die Reichen nicht mehr leisten“, ruft Schippe. | |
| Mit ihrer Forderung „Reichtum abbaggern“ bewerben die | |
| Organisator:innen aus dem Umfeld der „Hedonistischen Internationale“ | |
| Umverteilung als Lösung für die Klimakrise. „Wärmepumpen zu finanzieren ist | |
| kein Problem, wenn man die Kohle der Reichen abbaggert“, sagt Schippe, der | |
| wie viele andere in einem Blaumann und Bergarbeiterhelm gekleidet ist. | |
| Das Motto ist dabei nicht nur ein Titel auf Papier, sondern zieht sich ganz | |
| praktisch durch die Demo. Die Organisator:innen der Hedonistischen | |
| Internationale haben neben einem Bagger, den sie nach dem | |
| Vergesellschaftungsparagrafen „Umverteiler 129a“ nennen, weiteres | |
| Bergbaugerät und in Blaumänner gekleidete Arbeiter:innen mit Spaten und | |
| Spitzhacken mitgebracht. Auch das Umverteilungsbündnis „Wer hat, der gibt“ | |
| ist mit einem selbst gebauten goldenen, auf ein Lastenrad montierten Bagger | |
| unterwegs. | |
| Pastor Leumund erzählt zur Weihung des Baggers, wie ihn Polizist:innen | |
| bei der Vorkontrolle fragten: „Wollen Sie zur Spaßdemo?“ Er fragt das | |
| Publikum: „Sind wir zum Spaß hier?“ Die Reaktionen sind uneinheitlich: „… | |
| und „Nein“ schallt es ihm entgegen, womit der Charakter der Demo umfassend | |
| geklärt ist. | |
| Nachdem Pyrorauch den Johannaplatz einnebelt, singen die | |
| Demonstrant:innen das Lied der Autonomen Bergarbeiter:innen: „Glück | |
| auf! Kohle raus!“ im Anschluss setzt sich der Zug in Bewegung. | |
| Während die meisten Anwohner:innen die Demo aus ihren Villen skeptisch | |
| beäugen, sorgt eine Gruppe chic gekleideter vermeintlicher | |
| Gegendemonstrant:innen für Stimmung. Immer wieder unterbrechen sie | |
| die Veranstaltung und rufen: „Gruni bleibt“ oder „Wir trinken Schampus, i… | |
| trinkt Bier. Unsere Kohle, die bleibt hier.“ | |
| ## Polizei macht Jagd auf Sticker | |
| Die Polizei begleitet die Demo mit einem Großaufgebot und positioniert sich | |
| schützend vor den Hauseingängen, obwohl der Demo-Charakter eher spaßbetont | |
| als aggressiv ist und es in den vergangen Jahren kaum zu Zwischenfällen | |
| gekommen ist. Im Vorfeld der Demo sorgte die Ankündigung der Polizei, | |
| Vorkontrollen durchführen zu wollen, um dabei Sticker zu beschlagnahmen, | |
| bei den Veranstalter:innen für Unmut. | |
| Mehr als in den Vorjahren sind Klimagerechtigkeitsgruppen eingebunden, von | |
| Debt for Climate über Extinction Rebellion und der Letzten Generation bis | |
| zu Initiativen gegen die A100 oder für das Tempelhofer Feld. | |
| „Die Bewegungen müssen sich zusammenschließen“, fordert der | |
| [5][Klimaaktivist Tadzio Müller] in einem Redebeitrag. Angesichts der | |
| Schwarz-Rot-Koalition sei gesellschaftlicher Fortschritt in Berlin von der | |
| Politik nicht mehr erwartbar. Mieten-, Umverteilungs, Verkehrswende- und | |
| Migrationsbewegung müssten nun zusammenstehen, um Projekte wie den | |
| Weiterbau der A100 oder die Randbebauung des Tempelhofer Felds zu | |
| verhindern. Traditionstermine wie der 1. Mai seien als Auftakt zu | |
| verstehen, für das, was die Bewegungen im Rest des Jahres leisten müssen. | |
| Mit einem Verkehrswendeblock ist auch der 9-Euro-Fonds auf der Demo | |
| vertreten – das Motto: „Grunewalder Porsches zu Straßenbahnen | |
| einschmelzen“. Die Initiative, die eine Versicherung für Menschen ohne | |
| Ticket ist, will am Tag, an dem auch das bundesweite Deutschland-Ticket | |
| startet, darauf hinweisen, dass „das Geld für den sozialökologischen Umbau | |
| der Mobilität schon längst da ist“, wie Sprecher Leo Maurer der taz sagt. | |
| „Volker Wissing möchte sein schlechtes Image aufpolieren und sich als | |
| Verkehrswendeminister darstellen“, so Maurer. Er kritisiert, dass „das | |
| Ticket durch das Fehlen eines bundesweiten Sozialtarifs arme Menschen | |
| ausschließt“, und bezweifelt zudem dessen Klimawirkung“, weil bei dem Preis | |
| kaum jemand vom Auto auf den ÖPNV umsteigt“. | |
| ## Aktionstag des 9-Euro-Fonds | |
| Der im September vergangenen Jahres nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets | |
| gestartete [6][9-Euro-Fonds], der inzwischen unter Obhut der Satire-Partei | |
| Die Partei läuft, begeht den 1. Mai daher als Aktionstag. In ganz Berlin | |
| habe man Plakate mit der Kritik am Deutschland-Ticket geklebt, dazu einen | |
| Spot im U-Bahn-Fernsehen geschaltet, so Maurer. Mehr als 9.000 Menschen | |
| hätten sich bislang über die Initiative gegen das Schwarzfahren versichert; | |
| 1.600 erhöhte Beförderungsentgelte seien übernommen worden. | |
| Knapp zwei Stunden nach ihrem Start trifft die Demospitze nach einer | |
| Rundtour durch das Villenviertel ohne weitere Zwischenfälle wieder auf dem | |
| Johannaplatz ein. Kohle zum Abbaggern wird es auch noch nach diesem Tag im | |
| Villenviertel geben. Für viele Demoteilnehmer:innen geht es an diesem | |
| Tag erst mal weiter nach Neukölln – zur revolutionären Abenddemo. | |
| 1 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
| Jonas Wahmkow | |
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