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# taz.de -- Proteste am 1. Mai in Berlin: Grunewald kommt unters Rad
> Tausende Menschen demonstrieren mit einer Radtour für Umverteilung,
> Vergesellschaftung und gegen Verdrängung. Ziel ist das Villenviertel
> Grunewald.
Bild: Auf ins Villenviertel: Demoteilnehmer*innen am Sonntag in Berlin
Berlin taz | Eine Frau mit kurzen blondierten Haaren steht in der
Laskerstraße am Ostkreuz vor einem Lautsprecherwagen und ruft ins Mikro:
„Schön, dass ihr da seid, um in den schlimmsten Problembezirk der Stadt zu
fahren. Viele von uns sind nach zwei Jahren Pandemie am Limit:
Pflegekräfte, Geringverdiener, Arbeiter*innen. Für die Reichsten aber waren
es fette Jahre.“ Die nämlich hätten ihre Vermögen während Corona um ein
Drittel gesteigert.
Die trotz Krieg steigenden Dividenden landeten in Villenvierteln, sagt die
Frau, die als Gigi vom Bündnis MyGruni vorgestellt wird. „Wir fahren nach
Grunewald, um zu sagen, es geht so nicht weiter: Wir brauchen Umverteilung
von oben nach unten und nicht andersrum!“ Die Reichen müssten Teil der
Lösung werden und nicht weiter Teil des Problems sein.
Während am Vortag vorübergehend [1][ein Hotel besetzt worden war], um
daraus Wohnraum für Geflüchtete zu machen, und am Abend die
[2][queerfeministische Take-Back-The-Night-Demo kämpferisch durch
Prenzlauer Berg und Mitte zog], startet am Sonntagvormittag der
gemütlichere und eventähnlichste Teil des aktionistischen Wochenendes rund
um den 1. Mai: die [3][hedonistische Fahrraddemo], die sich selbst als
[4][„diskursive Einstiegsdroge in die Beschäftigung mit der Klassenfrage“]
sieht.
Oder, wie das MyGruni-Bündnis es nennt: „Das Quartiersmanagement Grunewald
lädt auch in diesem Jahr ein, den sozial verwahrlosten Problembezirk aus
seinem dornigen Schlaf wach zu küssen.“ Doch eine Technodemo dort wie vor
Corona ist nicht erlaubt. Stattdessen ist der Weg das Ziel, und so fahren
aus ganz Berlin Mitglieder und Unterstützer*innen linker Gruppen
Richtung Südosten – und zurück.
Der Ort, an dem Gigi spricht, ist nicht zufällig gewählt: Im
Friedrichshainer Laskerkiez gibt es – wie an vielen Berliner Orten –
Investoren-Großprojekte, die die prekäre Lage in den ohnehin schon von
Verdrängung betroffenen umliegenden Kiezen noch mal verschärft.
Ein Redner vom Bündnis Laskerkiez gibt den Überblick: Um die Ecke soll
statt sozialem Wohnraum ein „International Campus“ entstehen mit
Mikroappartements für Studierende, deren 17 Quadratmeter voraussichtlich
700 Euro Miete monatlich kosten werden; auf der anderen Seite entstehe ein
Bürokomplex mit dem – Werbetexter-Höhöhö – Namen Alasker. Hinzu kommt d…
Ostkreuz-Campus vom Investor Pandion, der Amazon-Tower, und auch die
Rummelsburger Bucht ist nicht weit, wo Hotels mit Aquarium Förderung des
Landes bekommen.
## Lokale Gruppen wehren sich gegen Verdrängung
Dagegen stehen lokale Initiativen, die bleiben wollen und sich gegen
Aufwertung wehren: Clubs wie das about:blank oder die Wilde Renate und das
Kulturzentrum Zukunft am Ostkreuz, dem gekündigt wurde (und wo man am
Samstag feierte und protestierte).
In diesem Sinne fahren aus dem Laskerkiez mehrere hundert Menschen auf dem
Rad erst mal in Richtung Stadtzentrum. Unterwegs schließen sich weitere
Protestierende an. Sie klingeln und jubeln, verteilen vom Fahrrad aus Flyer
an Passant*innen. Begleitet wird dieser sogenannte „Zukunftsfinger Ost“ von
einer Staffel der Fahrradpolizei.
Am Roten Rathaus treffen auch die anderen beiden Finger ein: der
„Mittelfinger“ aus dem Wedding und Pankow sowie den „Umverteilungsultras�…
aus Neukölln und Treptow. Redebeiträgen verschiedener linker Bündnisse –
dabei sind etwa das Gorillas Workers Collective, die Berliner
Krankenhausbewegung, die Vermögendeninitiative „Tax me now“ – werden per
Fahrradklingel Zustimmung signalisiert.
Die Stimmung ist gut, obwohl die Zahl der Teilnehmenden zu diesem Zeitpunkt
noch gering ist: Anfangs hat die Fahrraddemo mit 1.000 Teilnehmenden
deutlich weniger Zulauf als im Vorjahr; aber im Laufe des Tages wächst der
Zug auf mehrere tausend Teilnehmende. Schon auf der Mitte der Strecke
dauert es knapp 20 Minuten, bis die gesamte Fahrrad-Demo vorüber gefahren
ist.
## DJs auf Radanhängern
Unterwegs gibt es Umverteilungssprechchöre auf dem Ku’damm zwischen
Juwelieren und Luxus-Boutiquen. Es fahren mobile Soli-Bars mit; ein DJ legt
auf einem Fahrradanhänger Musik auf und bekommt während der Fahrt Drinks
gereicht. Aus den Lautsprecherwagen gibt es vorbereitete Redebeiträge. Die
Stimmung bleibt gut.
Nach etwa anderthalbstündiger Fahrt kommt die Demo am Johannaplatz in
Grunewald an. Vor Ort läuft ein Volksfest für die Grunewalder*innen
mit einem Programm zwischen anarchistischer Jodelmusik und
Enteignungs-Beatbox. Die Jalousien der Villen ringsum sind größtenteils
zugezogen. Einzelne Bewohner*innen winken aber freundlich. Auf dem
Platz stehen kleine Grüppchen von Polizist*innen, die grimmig dreinschauen,
aber ihre Helme nicht benötigen. Allerdings traut die Polizei der
friedlichen Stimmung nicht: Jede noch so kleine Zufahrt und Querstraße
jenseits der Route ist abgeriegelt. Überall stehen kleine Gruppen
Polizist*innen hinter Hamburger Gittern und vor den Grundstücken der
Vermögenden.
Die Fahrraddemo wird an dem Platz nur für ein kleines „Zusammenstößchen“
vorbeigeschleust – und fährt wieder Richtung Neukölln. Zurück geht’s für
die meisten über die gesperrte A100 zur [5][Revolutionären 18-Uhr-Demo.]
1 May 2022
## LINKS
[1] /Besetzung-vor-dem-1-Mai-in-Berlin/!5851618
[2] /Feministische-Take-back-the-night-Demo/!5851638
[3] /Das-kommt-am-1-Mai-in-Berlin/!5847376
[4] https://www.jungewelt.de/artikel/425349.heraus-zum-1-mai-das-kann-man-nicht…
[5] /Der-Tag-der-Arbeit-und-seine-Rituale/!5849314
## AUTOREN
Gareth Joswig
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