Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linke Initiativen in Berlin: Allein im Viertel der Reichen
> In Berlin organisieren linke Initiativen Demos gegen die Krise. Doch wenn
> es gegen Villenbewohner und Konzerne geht, wollen nur wenige mitlaufen.
Bild: So geht Protest: Protestaktion der Initiative MyGruni im Villenviertel Be…
Berlin taz | Mit einer mannshohen, leuchtenden Torte ziehen
Demonstrant:innen durch das abendliche Villenviertel im Grunewald.
Symbolisch steht die Torte für den Reichtum am oberen Ende der
Klassengesellschaft. Das Vermögen der unteren 50 Prozent hat eine Rednerin
auf der Kundgebung zuvor auch präsentiert: Es ist nicht größer als ein
normales Tortenstück. Gesellschaftsanalyse kann auch anschaulich sein.
Etwa 250 Menschen sind dem Aufruf zu einem Laternenumzug in Berlins
Schickimicki-Bezirk am vergangenen Sonntag gefolgt. Auf selbst gebastelten
Laternen erstrahlen Sprüche wie „eat the rich“ oder „Villa ciao“. Weil…
Beheizen privater Pools diesen Winter zwar verboten ist, aber wohl eher
nicht kontrolliert wird, haben sich einige Teilnehmer:innen Bademäntel
übergezogen – bereit zur Poolkontrolle. Eine Rednerin des Bündnisses
„[1][Wer hat, der gibt]“ spricht von der „Chance, den Millionär:innen
einen Grundkurs im Teilen zu geben“, die Protestierenden singen: „Laterne,
Laterne, enteignet die Konzerne“.
Organisiert hat den satirisch angehauchte Protest das
[2][Quartiersmanagement Grunewald], eine Initiative aus Kreisen der
Hedonistischen Internationalen, die bereits seit 2018 am 1. Mai durch den
Grunewald zieht. Im diesem heißen Herbst, der auf linker Seite bislang nur
ein lauwarmer ist, gehören das QM Grunewald und das Umverteilungsbündnis zu
jenen Akteuren, die das Thema der sozialen Schieflage der Gesellschaft
schon länger besetzen. Doch die Massen bleiben an diesem Abend zu Hause.
Überall in der Linken wird derzeit versucht, passende Angebote für die
erwarteten Sozialproteste zu organisieren. Allein in Berlin sind es ein
halbes Dutzend Akteure, die seit Monaten versuchen, den Protesten Namen und
Form zu geben. Gefühlt jeden zweiten Tag kommt es zu Bündnistreffen, en
masse werden Aufrufe erstellt – und zerredet, Social-Media-Kanäle
eingerichtet, wird über die richtige Strategie für die Abgrenzung nach
rechts diskutiert.
## Kleine Fahneninseln dominieren
Mit einem Auftakt Anfang September gehörte „[3][Heizung, Brot & Frieden]“
zu den ersten auf der Straße. Am Tag nach der Grunewald-Umzug hat das
Bündnis zu seinem zweiten Protest auf den Potsdamer Platz gerufen. Zwischen
den 800 Teilnehmer:innen dominieren kleine Fahneninseln: Hier eine
Handvoll von der DKP, da von der Föderation demokratischer Arbeitervereine.
Zeitschriften der 4., 5. oder 6. Internationale werden verteilt und die
Junge Welt, die hier auf ihre treuen, zumeist älteren und vor allem
USA-kritischen Leser:innen trifft.
Immer wieder wird von der Bühne aus darauf verwiesen, dass man ein linker
und kein rechter Protest sei, werden Personen aus dem
verschwörungsideologischen Spektrum zum Gehen aufgefordert.
Auffallend ist jedoch der einseitige Blick auf internationale Politik: Auf
Schildern und Transparenten ist von der „Nato-Ukraine“ die Rede, Russlands
Rolle als Aggressor wird nicht erwähnt. Das Thema Krieg dominiert, auch in
dem Redebeitrag von Ines Schwerdtner, der Chefredakteurin des
[4][Jacobin-Magazins] und Initiatorin von „[5][Genug ist Genug]“, einer
Protestplattform, die bundesweit linke Sozial- und Gewerkschaftsproteste
anschieben will.
Sie verliest einen Text von Christian Baron, Autor des Buches [6][„Ein Mann
seiner Klasse]“, mit Sätzen wie: „Was sind das für Zeiten, in denen der
Wunsch nach Frieden fast ein Verbrechen ist?“ Auch die Feststellung, dass
nur jene nach Waffen und Sanktionen rufen würden, die ihre „Schäfchen
bereits im Trockenen“ hätten, stößt beim Publikum auf Zustimmung.
Der Auftritt Schwerdtners überrascht, hatte sie gegenüber der taz nach der
ersten Kundgebung von „Heizung, Brot & Frieden“ noch kritisch angemerkt,
dass eine Distanzierung von rechts in den Fragen, die das Verhältnis zu
Russland betreffen, „besonders schwer zu erreichen“ sei. Während am Rande
Antifas und Mitglieder der verschwörungsideologischen, rechtsoffenen
„Freien Linken“ aneinandergeraten, geht der Demozug langsam und schweigend
los. Das Gefühl einer lebendigen Bewegung stellt sich nicht ein.
## Den Linken fehlt es an Durchschlagskraft
Das ist momentan die Bilanz überall im Land. Zwar sind in Dutzenden Städten
neue Bündnisse aufgeploppt, vom „[7][Krisenbündnis Greifswald]“ über
„[8][Ebbe langts]“ in Frankfurt am Main bis „[9][Halle zusammen]“, doch
keinem ist es bislang gelungen, nennenswert jene Menschen zu organisieren,
die an der aktuellen Preiskrise zu leiden haben. Der Linken fehlt es nicht
nur an Einigkeit, sondern auch an Durchschlagskraft.
Noch allerdings stehen die großen Bündnisse in den Startlöchern. Sowohl in
Berlin als auch in Hamburg haben sich unter maßgeblicher Beteiligung von
„Wer hat, der gibt“ die wichtigsten Akteure der linken bis linksradikalen
Zivilgesellschaft zusammengefunden. In Hamburg sind es mehr als 50 Gruppen,
von der Initiative #IchBinArmutsbetroffen über die IG Metall bis zur
Seebrücke, die gemeinsam [10][„Solidarisch aus der Krise“] finden wollen
und am 29. Oktober auf die Straße gehen.
Zwei Wochen später heißt es in Berlin [11][„Umverteilen“], und mit
„[12][Deutsche Wohnen & Co enteignen]“ oder „[13][Fridays for Future]“ …
jene Akteur:innen dabei, die zuletzt am meisten Menschen mobilisieren
konnten. Und schon am 22. Oktober ruft der Mainstream aus Gewerkschaften,
Wohltätigkeitsorganisationen und Umweltverbände in mehreren großen Städten
zu Demos auf.
9 Oct 2022
## LINKS
[1] /Wer-hat-der-gibt/!t5715088
[2] https://mygruni.de/
[3] https://www.sozialismus.info/event/heizung-brot-frieden-protestieren-statt-…
[4] https://jacobin.de/
[5] https://www.wirsagengenug.de/
[6] /Debuetroman-von-Christian-Baron/!5656381
[7] https://katapult-mv.de/artikel/krisenbuendnis-fuer-einen-protest-ohne-nazis
[8] https://www.frankfurter-info.org/news/ebbe-langts-kundgebung-gegen-inflatio…
[9] https://dubisthalle.de/halle-zusammen-demo-zieht-durch-halle
[10] https://solidarischausderkrise.noblogs.org/
[11] https://www.umverteilen.jetzt/de/
[12] https://www.dwenteignen.de/
[13] https://fridaysforfuture.berlin/
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Sozialproteste
Radikale Linke
taz Bewegung – die Kolumne
Wannsee
Umverteilung
Energiekrise
Sozialproteste
taz Bewegung – die Kolumne
Sozialproteste
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
MyGruni-Demonstration am Wannsee: Umverteilung auf Schwanenwerder
Satirisch unterwegs auf Schwanenwerder: Nach den Grunewaldvillen nehmen
MyGruni-Aktivisten den Reichtum auf Insellage in den Blick.
Umverteilungs-Guerilla im Villenviertel: „Bares sonst gibt's Saures“
An Halloween erschrecken Aktivist:innen Reiche im Villenviertel
Grunewald. Damit klagen sie die ungerechte Verteilung von Vermögen an.
Bündnis ruft zu Energie-Protest auf: Alle durch die Krise bringen
Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis ruft für Samstag zu
bundesweiten Energiepreisprotesten auf. Rechte sind dabei aber nicht
erwünscht.
Protest vor dem Kanzleramt in Berlin: Ein anderes Bild von Armut
Erstmals geht die Bewegung von #Ichbinarmutsbetroffen auf die Straße. Die
Beteiligung ist überschaubar; doch auch die Regierung ließ sich nicht
blicken.
Linke Sozialprotestbündnisse in Berlin: Choose your Fighter
Viele Bündnisse rufen zu Protesten für gerechte Teilhabe und Umverteilung
auf. Wie massentauglich, antikapitalistisch oder hedonistisch darf es sein?
Protestbündnis „Heizung, Brot, Frieden“: „Es ist ein Kampf um die Straß…
Uwe Hiksch von den Naturfreunden will bei Sozialprotesten
Russlandunterstützer und Schwurbler mitnehmen. Vor allzu linksradikalem
Auftreten warnt er.
Proteste am 1. Mai in Berlin: Grunewald kommt unters Rad
Tausende Menschen demonstrieren mit einer Radtour für Umverteilung,
Vergesellschaftung und gegen Verdrängung. Ziel ist das Villenviertel
Grunewald.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.