| # taz.de -- Linke Sozialprotestbündnisse in Berlin: Choose your Fighter | |
| > Viele Bündnisse rufen zu Protesten für gerechte Teilhabe und Umverteilung | |
| > auf. Wie massentauglich, antikapitalistisch oder hedonistisch darf es | |
| > sein? | |
| Bild: Mit Molli oder Megafon – für jeden was dabei | |
| Quartiersmanagement Grunewald | |
| Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Also ziehen | |
| die [1][Hedonist:innen von MyGruni] erstmals [2][außerhalb des Tages | |
| der Arbeit] ins Villenviertel. Und wie immer: Es wird spaßig. Angekündigt | |
| ist ein Punkrock-Lampionumzug, der „Licht in die dunklen Ecken des | |
| Energieverbrauch-Hot-Spots“ bringen soll. Titel: Rabimmel, Rabammel, Rabumm | |
| – einen passenden Mitgrölsong haben „The Erbschleichers“ bereits | |
| aufgenommen. Die Fragen, die an die Reichen gestellt werden sollen: „Wie | |
| die Gasrechnung, wie die Pommes, [3][wie das Monatsticket] zahlen?“ Die | |
| Themen Energie, Lebensmittel und Mobilität werden sich dabei auch in der | |
| Blockstruktur widerspiegeln. So soll es einen Bademantel-Block geben, der | |
| die Einhaltung der | |
| Kurzfristenergieversorgungssicherheitsmaßnahmenverordnung kontrollieren | |
| möchte, die das Beheizen von privaten Schwimmbecken mit Gas oder Strom aus | |
| dem Stromnetz untersagt. Sollte sich dennoch ein heißer Pool finden, wollen | |
| die Teilnehmer:innen gern mal reinspringen. | |
| Demo: 2. 10., 17 Uhr; Hagenplatz, Grunewald, | |
| Heizung, Brot und Frieden | |
| Richtungskämpfe und Abspalterei gehören ja bekanntlich zu den | |
| Lieblingsbeschäftigungen von Linken. [4][Hier ist das Bündnis], das sich | |
| die Herkulesaufgabe zu eigen gemacht hat, diesen Spaß bis zum Ende | |
| auszuhalten. Um alle dabeizubehalten, ist zunächst alles erlaubt, wenn es | |
| zumindest nicht offensichtlich rechts oder sonst menschenfeindlich ist. Bei | |
| einer [5][ersten Demo Anfang September] führte dies dazu, dass man sich so | |
| viel darüber in den Haaren lag, ob die Nato nun abgeschafft gehört oder | |
| Waffen liefern soll, dass über die eigentlichen Forderungen hinterher kaum | |
| gesprochen wurde: Höhere Löhne, Preisdeckel, Krisengewinne besteuern, | |
| Vergesellschaftung von Energieunternehmen. Beim Protest am Tag der | |
| Deutschen Einheit soll das alles anders werden. Pandemieleugnende und | |
| Rechte, die beim letzten Mal noch von Antifas aus der Demo gedrängt werden | |
| mussten, würden konsequent ausgeschlossen, heißt es. Für pro-russische | |
| Positionen gilt das aber explizit nicht. Aus dem Bündnis heißt es, für die | |
| kommende Zeit würden wöchentliche Montagsdemos geplant. | |
| Demo, 3. Oktober, 14 Uhr, Potsdamer Platz | |
| Die Linke | |
| Wenn es doch eine linke Partei gäbe, die in Zeiten von Abstiegsängsten und | |
| massenhafter Verarmung die Klassenfrage neu stellen und aus der Opposition | |
| ordentlichen Druck auf die Regierung entfalten könnte. Ach ja, es gibt da | |
| noch die Linke, die, soviel sei ihr zugestanden, die Zeichen der Zeit | |
| erkannt hat. Quer durch die zerstrittene Partei sieht man in Protesten | |
| eines heißen Herbstes den Strohhalm, den es zu ergreifen gilt, um aus dem | |
| Tief hinauszukommen. Die Forderungen der Partei decken sich dabei im großen | |
| Teil mit jenen der außerparlamentarischen Akteure. Das hilft der Linken | |
| aber nur bedingt, denn nicht überall sind sie als Bündnispartner gern | |
| gesehen und vor allem wollen sie auch selbst als zentraler Akteur | |
| wahrgenommen werden. Vorerst versucht es die Partei in Berlin mit kleinen | |
| Kundgebungen bislang ohne großen Zulauf. | |
| Kundgebungen: 1. Oktober, 13.30 Uhr Eastgate, 14 Uhr Alfred-Scholz-Platz, | |
| 15 Uhr Leopoldplatz | |
| Genug ist genug | |
| Der ambitionierte Versuch, den Protesten einen Rahmen zu geben, stößt auf | |
| reges Interesse. Schnell sind die [6][Social-Media-Kanäle der Kampagne] aus | |
| dem [7][Umfeld der Zeitschrift Jacobin]explodiert, an einem bundesweiten | |
| Online-Treffen am Mittwoch beteiligten sich mehr als 400 Menschen, in | |
| einigen Städten haben sich bereits Gruppen unter dem Namen | |
| zusammengefunden. Nach dem Vorbild der britischen Protestinitiative „Enough | |
| is enough“ geht es um die Organisierung und Einbindung möglichst vieler und | |
| die praktische Unterstützung von Arbeitskämpfen. Die Interessierten, die | |
| auf der Website ein Kontaktformular ausgefüllt haben, sollen bald zu großen | |
| Saalveranstaltungen eingeladen werden. Auf der Straße sollen Rallyes | |
| organisiert werden, Kundgebungen mit Vernetzungscharakter, auf denen vor | |
| allem die Krisenbetroffenen selbst zu Wort kommen. Inwiefern sich der | |
| Onlinewind dann zu einem realen Sturm ausbreiten kann, steht aber noch in | |
| den Sternen. | |
| Rallye: 13. Oktober, Neukölln | |
| #Ichbinarmutsbetroffen | |
| Mit der Armut ist es so eine Sache. Oft wird über sie gesprochen, [8][nur | |
| selten kommen die Betroffenen selbst zu Wort]. Dabei gibt es in Deutschland | |
| 13,8 Millionen arme Menschen, [9][so die offizielle Statistik]. Seit dem | |
| Frühjahr brechen die Armutsbetroffenen das Schweigen und [10][erzählen ihre | |
| Geschichten unter #Ichbinarmutsbetroffen auf Twitter]. Während der | |
| Porscheminister sich über „Gratismentalität“ echauffiert, sagen sie, dass | |
| Geldmangel kein schambehaftetes Versagen, sondern per Gesetz geschaffen | |
| wird. Unmissverständlich warnt die Initiative: „Wenn die Regierung keinen | |
| Rettungsfallschirm schickt, werden Menschen in Deutschland verhungern.“ | |
| Seit Monaten machen die Aktivist:innen darauf alle zwei Wochen auf dem | |
| Alexanderplatz aufmerksam. Nun wollen sie einen größeren Protest auf die | |
| Beine stellen, mit dem Chancengleichheit, die Besteuerung von Reichtum, | |
| eine Wohnraum- und Energiegarantie gefordert werden. Linke, die es ernst | |
| damit meinen, die Verdammten dieser Erde zu vertreten, sollten sich darum | |
| reißen, den Protest zu unterstützen. | |
| Kundgebung: 15. Oktober, 13 Uhr, Kanzleramt | |
| Solidarisch durch die Krise | |
| Die größte soziale Krise seit Jahrzehnten, aber die Gewerkschaften sind | |
| abgetaucht. Fast, denn immerhin ist Verdi Teil dieses neuen | |
| [11][sozial-ökologischen Zusammenschlusses von Großorganisationen] wie der | |
| Bewegungsplattform Campact, dem BUND oder dem Paritätischen Gesamtverband. | |
| Gefordert wird eine „Gesamtstrategie für eine nachhaltige, bezahlbare | |
| Grundversorgung sowie massive Investitionen im Bereich der erneuerbaren | |
| Energien und Energieeinsparungen“. Auch die kleine NGO „[12][Bürgerbewegung | |
| Finanzwende“] und das einst große Attac sind dabei – und verkörpern die | |
| Idee, wie das alles bezahlt werden soll: durch die [13][Abschöpfung von | |
| Übergewinnen und der Besteuerung von großen Vermögen]. Nach der | |
| [14][Auflösung von Unteilbar] könnte der Zusammenschluss die Lücke der | |
| links-bürgerlichen Großmobiliserung füllen und der erste sein, der Massen | |
| auf die Straße bringt. Denn Verdi und Campact bringen mit, was den meisten | |
| linken Gruppen fehlt: ein ansprechbares Zielpublikum außerhalb der | |
| begrenzten linken Bubble. Gespannt darf man sein, wie bratwurstmäßig die | |
| geplanten Demos riechen werden oder ob auch ein Hauch von Widerstand in der | |
| Luft liegen wird. | |
| Demo: 22. Oktober in Berlin und weiteren Städten | |
| Umverteilen | |
| Mit einem breiten Forderungskatalog ist das neu gegründete Bündnis | |
| Umverteilen an die Öffentlichkeit gegangen: Dieser reicht von einem | |
| Preisdeckel für Strom, Heizkosten und Mieten über die Vergesellschaftung | |
| von Immobilien- und Energiezahlungen bis zu einem Spekulationsverbot samt | |
| Preisbindung für Nahrungsmittel. Mit dem Bündnis ist es gelungen, die | |
| großen Bewegungsakteure der Stadt zusammenzubringen: die | |
| [15][Mietenbewegung um Deutsche Wohnen & Co enteignen], [16][Fridays for | |
| Future] oder [17][das Umverteilungsbündnis „Wer hat, der gibt“]. | |
| Angeschlossen hat sich auch das während Corona gegründete Netzwerk „Nicht | |
| auf unserem Rücken“, das [18][klassenkämpferische Akteure wie „Hände weg | |
| vom Wedding“] umfasst. Erwartet werden darf eine klassische linke | |
| Bündnisdemo, zu der sich die Einzelorganisationen wie Puzzleteile | |
| zusammenfügen. Wie gut es außerparlamentarischen Linken gelingen kann, | |
| [19][über ihre eigene Szene hinaus] Menschen anzusprechen dürfte sich hier | |
| entscheiden. | |
| Demo: 12. November; Infos zu Ort und Zeit auf [20][umverteilen.jetzt] | |
| Der Preis ist heiß! | |
| Sie organisieren sich in einer öffentlich zugänglichen Versammlung und | |
| wollen keine Reformen, sondern die Revolution: Unter dem Motto „Der Preis | |
| ist heiß“ ist am 23. September erstmals ein loser Zusammenschluss von | |
| Autonomen und Anarchist:innen durch Kreuzberg gezogen. Forderungen an | |
| die Regierung wurden dort nicht gestellt – vom kapitalistischen Staat | |
| erwartet man nichts, außer sein Ende. Die Devise lautet Selbsthilfe und | |
| Basisorganisation. Beim Protest schloss man sich deshalb der derzeit auch | |
| bei Politiker:innen beliebten Mode an, Tipps zum Umgang mit der | |
| sozialen Krise zu geben. „Leute lasst das Shoppen sein, steckt die Sachen | |
| einfach ein!“, schallte es zum Beispiel über Kreuzbergs Straßen. Der | |
| Anarchismus besticht mit Simplizität: Wer keine Wohnung hat, der soll | |
| besetzen, wer kein Essen hat, der soll doch plündern. In der Offenen | |
| Versammlung soll eine Vernetzung an der Basis ermöglicht werden, „ohne die | |
| Einflussnahme von politischen Parteien oder Institutionen des Staats“, wie | |
| es auf auf Indymedia hieß. Mit kommenden Aktionen ist zu rechnen. | |
| Offene Versammlung: Jeden Sonntag um 14 Uhr, Bethanien, Kreuzberg | |
| 1 Oct 2022 | |
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