# taz.de -- Protestbündnis „Heizung, Brot, Frieden“: „Es ist ein Kampf u… | |
> Uwe Hiksch von den Naturfreunden will bei Sozialprotesten | |
> Russlandunterstützer und Schwurbler mitnehmen. Vor allzu linksradikalem | |
> Auftreten warnt er. | |
Bild: Friedensbewegt vor der grünen Parteizentrale | |
Taz: Herr Hiksch, Sie sind Gründungsmitglied vom Berliner | |
Sozialprotestbündnis „Heizung, Brot und Frieden“. Warum? | |
Uwe Hiksch: Die politische Linke darf nicht zulassen, dass Millionen von | |
Menschen ihre Heizkosten, ihre Wohnung und ihre Lebensmittel nicht mehr | |
bezahlen können und deshalb zum Beispiel zur Tafel gehen müssen. Es ist | |
eine ureigene linke Aufgabe, Sozialprotesten eine Stimme zu geben – und | |
diese nicht den Rechten zu überlassen. Dass das zu ganz schlimmen | |
Entwicklungen führen kann, können wir schon aus der deutschen Geschichte | |
der 1920er Jahre nachvollziehen. | |
Auf dem ersten Protest Ihres Bündnisses in der vergangenen Woche vor der | |
Grünen-Parteizentrale haben auch Coronaleugner:innen teilgenommen – | |
bis diese von Antifas aus der Demo gedrängt wurden. Wie lautet angesichts | |
dessen ihr Resümee? | |
Mein Eindruck ist äußerst positiv. Im Vorfeld haben wir auf 300 | |
Teilnehmende gehofft, es kamen aber über 1.000 Menschen. Wir hatten eine | |
sehr vielfältige Zusammensetzung, unterschiedliche Redner:innen haben | |
von unterschiedlichen Menschen Applaus erhalten. Leider haben auch einige | |
rechtsoffene Gruppen versucht, die Demo für ihre Zwecke zu nutzen. Ich als | |
Anmelder habe die Anhänger:innen von der „Freien Linken“ und „Die | |
Basis“ (Organisationen aus dem Querdenken-Spektrum, Anm. d. R.) von der | |
Demo verwiesen. | |
Gegenüber dem Neuen Deutschland haben sie gesagt, beim nächsten Protest am | |
3. Oktober auf dem Alexanderplatz dürften auch Menschen teilnehmen, die | |
gegen die Coronamaßnahmen protestiert haben. Fahnen von | |
Querdenken-Organisationen dürfe es aber nicht geben. Wie passt das | |
zusammen? | |
Wenn Menschen zu Coronamaßnahmen andere Auffassungen haben, ist das für | |
mich kein Grund, sie von Sozialprotesten auszuschließen. Ich persönlich | |
habe die Coronamaßnahmen sehr konsequent eingehalten, bei den NaturFreunden | |
(einem linken Umweltverein, dessen stellv. Vorsitzender Hiksch ist, Anm. d. | |
R.) haben wir konsequent 2G umgesetzt. | |
Alle Funktionär:innen und Fahnen von Gruppen aus diesem Spektrum, die | |
mit dem 3. Weg, der NPD oder der AfD auf die Straße gegangen sind, werden | |
bei uns nicht geduldet. Aber wir wollen Menschen überzeugen, dass der | |
demokratisch-linke der richtige Weg ist. Alle, die sich wehren wollen, sind | |
willkommen – wenn sie nicht rassistisch oder homophob oder dergleichen | |
sind. | |
Viele antifaschistische Gruppierungen werden das anders sehen und | |
entsprechende Forderungen auch nicht dulden. Wie soll da die von Ihnen | |
angestrebte breite Zusammenarbeit linker Gruppen funktionieren? | |
Wir erwarten von allen Gruppen eine gewisse Grundtoleranz. Die eigene | |
Position ist wichtig und soll auch auf Fahnen, Plakaten und Reden zum | |
Ausdruck kommen. Das gilt aber auch für andere Meinungen. Auch die Antifa | |
wird sehen, dass wir die Straße nicht den Rechten überlassen dürfen. Und | |
das heißt, die Menschen, die sich noch nicht klar in eine Richtung | |
politisiert haben, abzuholen. | |
Wir haben jetzt einen Kampf um die Straße, wo in den nächsten Monaten | |
entschieden wird, ob er sich nach rechts oder links entwickelt. Die linken | |
Spaltungstendenzen halte ich da für eine ganz schreckliche Sache. | |
Widersprüche müssen ausgehalten werden, dafür werbe ich seit 30 Jahren in | |
der politischen Linken. | |
Es geht ja nicht nur um Querdenker:innen. Auf der Demo wurde auch prominent | |
gefordert, alle Sanktionen gegen Russland aufzuheben oder Nord Stream 2 zu | |
öffnen. Was ist daran überhaupt links? | |
Wir haben uns als Bündnis geeinigt, dass Menschen unterschiedliche | |
Positionen in Bezug auf den Ukrainekrieg und Russland haben. Alle sollen in | |
Reden die Chance haben, ihren Positionen Ausdruck zu verleihen. Wir bitten | |
aber alle, sich in dieser spaltenden Frage zurückzuhalten. Die Frage nach | |
Nord Stream 2 trifft nicht den Kern von Sozialprotesten, wo es um den | |
täglichen Existenzkampf von Menschen geht. | |
Aber wo sieht das Bündnis die Ursachen der aktuellen Krise? In der | |
Abhängigkeit von fossilen Energien und Diktatoren, in Putins Angriffskrieg | |
– oder doch in den Sanktionen? | |
Als Klimaaktivist bringe ich die Position ein, das fossiles Gas ein | |
umweltzerstörendes Produkt ist, das aus der Energiegewinnung möglichst | |
schnell verschwinden muss. Die NaturFreunde verurteilen auch Putins | |
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wir als Protestbündnis | |
sollten uns aber nicht an der Frage zerstreiten, woher das Gas in den | |
nächsten Jahren kommt, sondern verhindern, dass Menschen aus ihren | |
Wohnungen fliegen oder dass ihnen Strom und Gas abgeknapst werden. Wenn wir | |
ein neues Entlastungspaket erkämpfen, das diesen Namen auch verdient, haben | |
wir schon viel erreicht. | |
Aus der Klimabewegung wird davor gewarnt, dass Sozialproteste die | |
Interessen der nationalen Bevölkerung gegen die der Menschen anderswo | |
gegeneinander ausspielen könnten – passiert nicht genau das, wenn das Ende | |
aller Sanktionen gefordert wird? | |
Tatsächlich sind wir mit unseren Forderungen bisher eher national | |
ausgerichtet, das werden wir ändern und in Zukunft die internationale Frage | |
stärker in den Mittelpunkt stellen. Ein Protest, der soziale Gerechtigkeit | |
durchsetzen will, kann nicht nur national ausgelegt sein. Das ist auch ein | |
Grund, warum die AfD überhaupt nicht in der Lage sein kann, solidarische | |
Proteste auf die Beine zu stellen. | |
Was die Ukraine angeht, so sind die Positionen nun mal unterschiedlich. Ein | |
Drittel unsere Gruppierungen unterschreibt sofort „Stand Up for Ukraine“, | |
ein Drittel hat zu dieser Frage eine offene Meinung, ein Drittel steht | |
aufgrund ihrer traditionellen Herangehensweise eher aufseiten Russlands. | |
Auch dass ein Ende der Russlandsanktionen den globalen Gaspreis senken und | |
die Länder des globalen Südens entlasten könnte, ist ja eine valide | |
Position. | |
Ist das Ziel des Bündnis die Bekämpfung der aktuellen Probleme oder eine | |
andere Gesellschaft? | |
Für das Gesamtbündnis würde ich sagen: die Bekämpfung der aktuellen | |
Probleme. Für mich ist das ein Teil davon, eine andere Gesellschaft zu | |
schaffen, für die ich auch noch den Begriff des Sozialismus gebrauche. Ein | |
breites Bündnis braucht aber auch die Sozialverbände und Gewerkschaften, | |
die ja auch mehr Gerechtigkeit wollen, meist aber innerhalb der bestehenden | |
Gesellschaftsformation. Wenn wir beides zusammenführen, können wir was auf | |
die Beine stellen. | |
Droht die Bewegung so nicht, lediglich aktuelle Symptome, nicht aber die | |
systemischen Ursachen zu bekämpfen? | |
Wenn wir den Fokus auf die kapitalistischen Ursachen der Krise legen, kann | |
ich Ihnen aus 45 Jahren Erfahrung in der politischen Linken sagen, das | |
werden sehr kleine Demonstrationen. Persönlich habe ich immer versucht, die | |
Frage des kapitalistischen Systems und dessen Auswirkungen auf Mensch und | |
Umwelt in den Mittelpunkt zu stellen, ich muss aber feststellen: Das | |
alleine bringt keine Massen auf die Straße. | |
Die Kapitalismusfrage soll ausgeklammert werden? | |
Nicht ausgeklammert, Vertreter:innen linker Organisationen werden diese | |
Thematik ansprechen, aber das kann nicht das Hauptziel dieser Proteste | |
sein. Wie in der Corona- und in der Friedensfrage appelliere ich dafür, | |
nicht allzu linksradikal aufzutreten, um die Menschen nicht abzuschrecken. | |
Ein Großteil wird nicht kommen, um den Kapitalismus abzuschaffen, sondern | |
um gegen den drohenden sozialen Abstieg zu demonstrieren. | |
Letzte Frage: Warum wird die politische Linke den Kampf um die Straße, wie | |
Sie sagen, gewinnen? | |
Ich antworte ausdifferenziert: In den Großstädten wird das klappen, da | |
haben wir die nötigen Menschen und Organisationen. Da werden wir die Straße | |
links besetzen können. Die eigentliche schwierige Auseinandersetzung werden | |
die ländlichen Regionen. In Sachsen gibt es ja schon fast eine rechte | |
Hegemonie in diesen Fragen. Wir müssen es trotzdem probieren und auch mit | |
den starken die schwachen Strukturen unterstützen. Der Kampf muss | |
aufgenommen werden. | |
15 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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