| # taz.de -- Aktivisten über die Letzte Generation: „Stören“ oder „Organ… | |
| > Die Letzte Generation will Berlin lahmlegen. Ist das richtig? Und welche | |
| > Alternativen hat die Klimabewegung? Ein Gespräch zwischen zwei | |
| > Aktivisten. | |
| Bild: Wo geht's lang zu einer erfolgreichen Klimabewegung? Die Aktivisten Tadzi… | |
| wochentaz: [1][Berlin stehen die vielleicht größten Straßenblockaden der | |
| Protestgeschichte] bevor. Werden wir in dieser Woche dem Klimaschutz | |
| näherkommen? | |
| Tadzio Müller: Das zu glauben, wäre naiv. Die Aktionen sind aber wichtig | |
| als Machtdemonstration. Wir zeigen: Die Klimabewegung ist nicht nur ein | |
| Haufen nerviger Spinner, sondern wir sind in der Lage, die Hauptstadt zum | |
| Verkehrskollaps zu bringen. Je mehr Macht die Bewegung hat, desto | |
| wahrscheinlicher wird Klimaschutz. | |
| Janus Petznik: Für die Bewegung ist es vor allem ein Test, wie | |
| unterschiedliche Strömungen zueinander stehen, ob die einen kritikfähig | |
| sind und die anderen sich von der herrschenden Klasse einspannen lassen. | |
| Und ob überhaupt noch gesellschaftliche Mehrheiten möglich sind. | |
| Berlin lahmzulegen, um das herauszufinden, scheint etwas übertrieben. | |
| Müller: Wir müssen den fossilen Normalwahnsinn unterbrechen, damit die | |
| Leute darüber nachdenken, dass man für Klimaschutz die Normalität ändern | |
| muss. Der Großteil der Gesellschaft überlässt die Klimadebatte der | |
| radikalen Klimabewegung, Autofahrern und Journalist*innen. Die Mitte der | |
| Gesellschaft, zum Beispiel der Alpenverein oder die Landfrauen, | |
| positionieren sich nicht. Um sie dazu zu zwingen und gesellschaftliche | |
| Klarheit zu produzieren – dafür ist es gut. | |
| Sie finden es gut, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen? | |
| Petznik: Ich finde das falsch. Wenn wir gesellschaftliche Mehrheiten | |
| erreichen wollen, brauchen wir keine Gegenpositionierung vom Deutschen | |
| Alpenverein zur Letzten Generation, sondern wir müssen den Deutschen | |
| Alpenverein mitnehmen. Und das sehe ich nicht. | |
| Müller: Wir vertiefen die gesellschaftliche Spaltung nicht, sondern wir | |
| zeigen auf, dass es einen Konflikt gibt. Vor der Besetzung des Hambacher | |
| Forstes und vor Ende Gelände war Deutschland nicht klar, dass es einen | |
| Konflikt um die Kohle gibt. | |
| Petznik: Die Leute zu zwingen, Stellung zu beziehen, und dadurch | |
| aufzuzeigen, wir sind die Guten und das sind die Schlechten – das bringt | |
| uns nicht weiter. Der Effekt ist, dass die ganze Zeit über das | |
| „Klima-Kleben“ geredet wird, und dass jetzt irgendein „Brummi-Bryan“, d… | |
| gegen die gepöbelt hat, einen Ballermann-Schlager daraus gemacht hat. | |
| Deshalb halte ich die Aktionen für strategisch falsch. | |
| Was würde uns weiterbringen? | |
| Petznik: Die Klimabewegung muss auf lokaler Ebene Räume schaffen, wo man | |
| sich mit Empathie auf Augenhöhe begegnet und guckt: Wo sind die Probleme in | |
| der Nachbarschaft? Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter | |
| auseinander. Wir müssen die soziale Frage mit der Klimafrage verbinden. | |
| Überschätzen Sie nicht die Bereitschaft, sich für soziale Anliegen | |
| einzusetzen? Es gibt keinen Aufstand gegen ungleiche Vermögensverteilung | |
| und keinen für das Klima. Wenn man beide Bereiche zusammenlegt – was soll | |
| das nützen? | |
| Petznik: Wir müssen es versuchen. Community Organizing funktioniert in | |
| vielen Bereichen, Deutsche Wohnen & Co enteignen ist ein gutes Beispiel | |
| dafür. Ich glaube, wir haben als Klimabewegung eine Riesenangst, mit der | |
| Gesellschaft in den Dialog zu treten, weil wir dann eine Realitätsklatsche | |
| bekämen: Wir sind unglaublich unbedeutend in einem Diskurs, obwohl wir uns | |
| 2019 mit Fridays for Future noch sehr mächtig gefühlt haben. | |
| Müller: Die Realitätsklatsche habe ich mir schon selbst geholt. Wir sind | |
| nicht nur marginalisiert, sondern wir sind der Feind, wir werden | |
| kriminalisiert. Die Klimabewegung ist weitgehend handlungsunfähig, der | |
| einzige Teil, der was reißt, ist die Letzte Generation. Aber das reicht | |
| nicht. Wir müssen den Menschen auch inspirierende Angebote machen, wie in | |
| Lützerath, wo wir zeigen konnten: „Das ist die Klimabewegung und es ist | |
| geil, was wir machen!“ Aber momentan hat niemand gute Angebote. | |
| Warum nicht? | |
| Müller: Realistische Pfade zu einer guten Zukunft zu finden ist schwer. Die | |
| meisten Zukunftsszenarien sind dunkel, alles andere ist Verdrängung. | |
| Petznik: Wir müssen weg davon, immer wieder zum nächsten globalen Streik | |
| oder Klimagipfel zu mobilisieren. Sonst gehen die Leute nach dem Event nach | |
| Hause und hoffen, dass alles besser wird. Stattdessen müssen wir sie in die | |
| Lage versetzen, die Situation bei ihnen zu Hause zu verbessern. Das | |
| bedeutet Basisorganisierung statt Eventmobilisierung. Wir müssen eine | |
| langfristige Gegenmacht aufbauen. Ich glaube, das geht nur über den Dialog. | |
| Müller: Da muss ich widersprechen. Die Gesellschaft hat sich bislang kaum | |
| damit auseinandergesetzt, was die Klimakatastrophe an Verzicht bedeutet. | |
| Wir haben 2016 vom Klimacamp im Rheinland aus Gespräche mit den Arbeitern | |
| geführt. Da wurde mir klar, wie stark die Abwehr ist. Sobald es um den | |
| Verlust von Privilegien geht, gibt es keine Mehrheit für Klimaschutz. Die | |
| Gesellschaft hat keinen Bock, darüber zu reden, weil sie die Ängste, die | |
| Schuld und die Scham, die das auslösen würde, verdrängen will. | |
| Was ist die Alternative – kann man die Gesellschaft zum Klimaschutz | |
| zwingen? | |
| Müller: Man kann ein verdrängendes Subjekt nicht durch mehr Druck dazu | |
| bringen, nicht zu verdrängen. Stattdessen braucht man eine Form | |
| therapeutischen Prozesses. Vielleicht brauchen wir einen gesellschaftlichen | |
| Trauerprozess, um uns von unseren Privilegien zu verabschieden. | |
| Trauer ist unattraktiv. Wir alle nutzen Strategien, Trauer zu verdrängen, | |
| teils auch zerstörerische. | |
| Müller: Das ist das Problem. Sich mit düsteren Zukunftsszenarien zu | |
| konfrontieren, löst auf der einen Seite Dissoziation aus, und auf der | |
| anderen Dummheit und Brutalität. In dem Moment, wo Olaf Scholz einen | |
| Zwischenruf von einem Aktivisten bekommt, wird er total dumm und kontert | |
| mit einem Nazivergleich. Der Klimadiskurs hat die Sphäre des Rationalen | |
| verlassen, er wird geleitet von Schuld, Scham und Angst. | |
| Die Letzte Generation und Extinction Rebellion arbeiten mit diesen | |
| Emotionen. Kann das produktiv sein? | |
| Petznik: Angst ist kein gutes Narrativ. Der Faschismus nährt sich vor allem | |
| aus Angst. Hoffnung ist das, was wir dem als linke Bewegungen | |
| entgegensetzen müssen. | |
| Woher nehmen Sie die Hoffnung auf so tiefgreifende Veränderungen, wie es | |
| der Klimaschutz erfordert? | |
| Petznik: Der Hambacher Forst ist ein Beispiel. Wir haben die Leute | |
| mobilisiert, in den Wald zu kommen. Sie haben sich dort organisiert und den | |
| Wald verteidigt. Es ist ein großer Unterschied, heute Tausende | |
| unorganisierte Menschen auf die Straße zu bringen, die morgen wieder ihren | |
| Kram machen – oder deutschlandweit resiliente Strukturen aufzubauen, die | |
| die Macht hätten, Sachen zu verändern. | |
| Müller: Leider bevorzugen es aber die meisten Menschen, sich nicht zu | |
| positionieren oder gar zu organisieren. Sie bleiben am liebsten passiv. | |
| Wenn wir die Wahl haben zwischen kollektivem Suizid oder kollektivem | |
| Handeln, ist der kollektive Suizid die wahrscheinlichere Option. Deshalb | |
| brauchen wir Strategien zur Aktivierung. Die Klimabewegung ist da aber | |
| nicht der richtige Ansprechpartner, weil wir eben Schuld, Scham und Angst | |
| triggern. | |
| Und da soll der Deutsche Alpenverein einspringen? | |
| Müller: Es sind viele andere Strategien gescheitert oder haben sich zu Tode | |
| gelaufen. Aber wie wir den Alpenverein oder die Landfrauen dazu bringen | |
| sollen, weiß ich auch nicht. Wenn eine Bewegung mit vernünftigen | |
| Forderungen sich transformationsunwilligen Eliten oder Gesellschaften | |
| gegenübersieht, ist die Störung einer der letzten Hebel, der bleibt. Den | |
| setzt die Letzte Generation ein. Es ist aber kein attraktiver Hebel. | |
| Petznik: Weil es die schiere Verzweiflung zeigt. | |
| Müller: Außerdem birgt es die Möglichkeit eines brutalen Backlashs. Ein | |
| verdrängendes Subjekt, das ständig unter Druck ist, flippt irgendwann aus. | |
| Sie fürchten staatliche Repression. Davon hat sich die Letzte Generation | |
| bislang nicht einschüchtern lassen. | |
| Petznik: Die zunehmende Repression kann ein zermürbender Prozess sein. | |
| Müller: Mir macht eher die gesellschaftliche Repression Angst: die | |
| Brutalität der Autofahrer. Es ist die Aufgabe der gesamten Bewegung, dafür | |
| zu sorgen, dass die Angriffe auf die Letzte Generation nicht brutal werden | |
| – indem wir uns solidarisieren. Solange wir keine Mehrheiten haben, müssen | |
| wir als Minderheiten zusammenstehen. | |
| Haben Sie es aufgegeben, um Mehrheiten für das Klima zu kämpfen? | |
| Müller: Was mir noch Hoffnung gibt, ist, dass die deutsche Gesellschaft den | |
| illusorischen Anspruch hat, eine moralisch Gute sein zu wollen. Wenn die | |
| Letzte Generation zeigt: Der fossile Kapitalismus baggert nicht nur | |
| Lützerath ab, sondern verprügelt Klimaaktivist*innen auf der Straße, | |
| könnte das einige dazu bringen, sich zu positionieren. | |
| Petznik: Ich sehe schwarz, wenn ich die Gesellschaft dazu zwingen soll, | |
| dass sie sich entscheidet, auf der Seite der Guten zu stehen. Ich glaube, | |
| dass den Leuten scheißegal ist, ob sie die Guten sind. | |
| Müller: Und ich sehe schwarz, wenn wir anfangen sollen, die Gesellschaft zu | |
| organisieren. Weil sie keinen Bock hat, sich zu organisieren, sie will | |
| einfach weitermachen, wie sie ist. | |
| Petznik: Es gibt noch andere linke Bewegungen und Akteur*innen, die | |
| Basisorganisierung machen. Die Streiks im öffentlichen Dienst, die | |
| Krankenhausbewegung oder Gewerkschaften sind Beispiele, wie das | |
| funktionieren kann. Die Klimabewegung muss nicht das Rad neu erfinden. Wenn | |
| wir soziale Gerechtigkeit stärker mit Klimaschutz verbinden, kann das | |
| gelingen. | |
| 22 Apr 2023 | |
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| Katharina Schipkowski | |
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