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# taz.de -- Klimacamp in Brandenburg: „Die Kollapsbewegung gibt mir Antrieb“
> Ein Camp in Brandenburg soll auf Klimakrisen vorbereiten. Es geht um den
> Aufbau solidarischer Netzwerke, sagt Aktivistin Cyndi Peter.
Bild: Von Krisen lernen: Zum Kollapscamp kommen auch Freiwillige der Aufräumar…
taz: Frau Peter, Sie veranstalten am kommenden Wochenende mit einigen
Mitstreiter*innen ein „Kollapscamp“. In Kuhlmühle im Nordwesten
Brandenburg wollen Sie Menschen darauf vorbereiten, sich selbst zu
schützen, wenn der Kollaps kommt. Tut er das denn?
Cindy Peter: Mit „Kollaps“ meinen wir, dass die stetige Verschlechterung
des bekannten Alltags zum Dauerzustand wird. Es gibt auch eine Zunahme von
verschiedenen Katastrophen infolge der Klimakrise, seien es Waldbrände,
seien es Dürren, seien es Überflutungen. Hinzu kommen aber auch andere
Krisen, steigende Kosten für Lebensmittel oder Mieten und vor allem eine
zunehmende Faschisierung. Es gibt immer mehr Menschen, die zum Beispiel
einen Migrationshintergrund haben oder queer sind, die sich nicht nur
bedroht fühlen, sondern bei denen Bedrohungen real werden.
taz: Sie meinen also keine Katastrophenerzählungen über das mögliche
Aussterben der Menschheit?
Peter: Genau. Es geht nicht darum, dass wir an einen Punkt kommen, an dem
der komplette Zusammenbruch da ist, und dann ist alles vorbei. Das Leben,
wie wir es in unseren Breitengraden lange als einigermaßen stabil kannten,
wird aber so nicht mehr möglich sein, und das meint nicht nur die
klimatischen Veränderungen und Naturkatastrophen. Darauf müssen wir uns
vorbereiten.
taz: Sie wollen also [1][preppen]? Das kennt man ja sonst mehr von rechten
Netzwerken mit Waffenschrank und Bunker.
Peter: Der gravierende Unterschied ist: Wir wollen nicht, dass jeder für
sich irgendwo sitzt und seine zehn Tüten Reis und 50 Liter Wasser gebunkert
hat. Vom Waffenschrank ganz zu schweigen. Wir wollen Strukturen schaffen
und Räume öffnen, in denen Menschen sich gegenseitig helfen.
taz: Kann man sich nicht auf die staatlichen Stellen verlassen?
Peter: Natürlich gibt es das Technische Hilfswerk, die Feuerwehr und auch
viele andere Institutionen. Wir sehen uns nicht als Ersatz dafür, sondern
im besten Fall als Ergänzung. Aber erstens gibt es nicht für alles
Angebote. Wenn es einer Oma während einer Hitzewelle im Dachgeschoss zu
heiß wird, kommt keine staatliche Stelle. Wenn es aber eine organisierte
und solidarische Nachbarschaft gibt, die diese Oma auf dem Schirm hat,
guckt vielleicht mal jemand nach und hilft.
taz: Und zweitens?
Peter: Gucken Sie sich die Debatten um den Bundeshaushalt 2025 an, der
wahrscheinlich im September final verabschiedet wird. Gestrichen wird als
Erstes bei sozialen Projekten und Leistungen. Die Probleme werden größer
und vielfältiger, gleichzeitig werden mehr Menschen hilfsbedürftig – aber
den staatlichen Stellen, die helfen sollen, fehlt auch das Geld. Deshalb
glaube ich nicht, dass man sich bei allem immer auf den Staat verlassen
kann und sollte. Oder nehmen Sie das Beispiel Feuerwehr: Viele freiwillige
Feuerwehren suchen händeringend Leute. Das wird natürlich noch
problematischer, wenn es nicht nur an einem Ort brennt, sondern an zehn.
taz: Was lernt man beim Kollapscamp?
Peter: Zum Beispiel kann man lernen, welche Lebensmittel sich gut auf dem
Balkon anbauen lassen, wie man sich selbst mit Strom versorgt oder wie man
kommuniziert, falls das Internet ausfällt. Wir haben vor Ort Menschen, die
von der Flut im Ahrtal betroffen waren und berichten, was damals hilfreich
war und was ihnen gefehlt hat. Es gibt Erste-Hilfe-Kurse und auch welche
zur Selbstverteidigung. Eine linke Sicherheitsfirma hat sich bei uns
gemeldet und zeigt uns, wie man Räume schützt – damit es gar nicht erst zum
Selbstverteidigungsfall kommen muss.
taz: Wofür?
Peter: Es geht uns zum Beispiel darum, Veranstaltungen wie [2][den
Christopher Street Day vor rechten Angriffen] zu schützen. Wir beschäftigen
uns auch damit, wie man nachbarschaftliche Netzwerke aufbaut. Und es gibt
Angebote zur emotionalen Verarbeitung der vielen Krisen auf der Welt.
Insgesamt sind es mehr als 100 Veranstaltungen.
taz: Gibt es Interesse daran?
Peter: Auf jeden Fall. Wir haben quasi keine Öffentlichkeitsarbeit oder
Werbung gemacht, aber sind schon seit Wochen ausverkauft. 600 Leute kommen
als Teilnehmer*innen. Mit allen Workshop-Leiter*innen, Sanitäter*innen
und einem Awareness-Team, das Unterstützung gegen Diskriminierung,
übergriffiges Verhalten und sexualisierte Belästigung bieten soll, werden
so 900 Leute vor Ort sein.
taz: Kostenpflichtige Tickets kennt man von politischen Camps sonst eher
nicht, wie teuer ist denn die Teilnahme?
Peter: Wir haben darüber lange gesprochen, aber Workshops auf dem Level
wären anders nicht möglich gewesen. Das reguläre Ticket hat 60 Euro
gekostet für drei Tage mit Workshops und veganem Essen. Zelt und Schlafsack
müssen die Leute noch selbst mitbringen. Manche haben auch 80 oder 100 Euro
gezahlt. So konnten wir anderen wiederum Tickets für 30 Euro oder kostenlos
anbieten, die es sich sonst nicht hätten leisten können. Wir bekommen auch
immer noch ständig E-Mails mit der Frage, ob wir nicht doch noch jemanden
unterbringen könnten.
taz: Was sind das für Leute, die am Kollapscamp teilnehmen wollen?
Peter: Wir haben da natürlich keinen Hintergrundcheck gemacht. Wir
Organisator*innen kommen größtenteils aus der
[3][Klimagerechtigkeitsbewegung], und da gibt es unter den Angemeldeten
schon auch bekannte Gesichter, aber nicht nur. Ich habe das Gefühl, dass
wir aus der Blase rauskommen. Das merkt man an den Fragen, die die Leute
haben: Wie werden wir untergebracht? Muss ich mein eigenes Essen
mitbringen? Das fragen nicht die Leute, die schon an zehn Klimacamps und
fünf System Change Camps teilgenommen haben. Altersmäßig sind wir auch sehr
gemischt.
taz: Wie fühlt sich das an, sich plötzlich mit solchen Fragen wie Erster
Hilfe und Selbstverteidigung zu befassen?
Peter: Für mich ist das spannend. Ich wohne jetzt wieder in einer
thüringischen Kleinstadt. Man sieht mir an, dass ich politisch links stehe.
Die rechten Montagsdemos hier laufen direkt bei mir vorbei, die Leute rufen
mir Parolen zu. Bei linken Demos kommen 20 oder 30 Leute. Da ist das Thema
sehr präsent, wie wir danach nach Hause kommen, wer wen begleitet. Ich hab
mich schon mal gefragt, ob ich nicht Selbstverteidigung lernen sollte. Aber
wenn ich sehe, wer hier im Sportstudio Kampfsport-Trainer – bewusst
ungegendert – ist, dann will ich da nicht reingehen.
taz: Ist es frustrierend für Sie, ständig an den möglichen Kollaps zu
denken?
Peter: Im Gegenteil. Ich bin endlich wieder motiviert. Ich hatte eher
vorher Phasen, in denen ich dachte: Was bringt das alles? Ich war bei so
vielen Klimaprotesten und Waldbesetzungen dabei. Eigentlich bin ich
Ägyptologin und das war mein Traumjob. Aber ich konnte es irgendwann
einfach nicht mehr mit mir vereinbaren, mehrmals im Jahr zu irgendwelchen
Ausgrabungen zu fliegen. Da hab ich meine Doktorarbeit geschmissen. Ich
trauere der Sache wirklich noch hinterher. Vor allem, wenn die Erfolge bei
unseren politischen Kämpfen ausbleiben, obwohl wir alles geben, ganze
Lebensentwürfe über den Haufen werfen. Was wir jetzt in der Kollapsbewegung
machen, gibt mir Antrieb: Ja, die Situation ist schlimm, aber wir können
solidarisch dagegenhalten und sie verbessern.
24 Aug 2025
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## AUTOREN
Susanne Schwarz
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