# taz.de -- 1.-Mai-Demo in Berlin-Kreuzberg: Revolutionärer Abendspaziergang | |
> Rund 15.000 Menschen ziehen am Abend durch Neukölln und Kreuzberg. Die | |
> Atmosphäre ist entspannt, die Demo endet früher als gedacht. | |
Bild: Keine Revolution ohne Feuer: auf der 18-Uhr-Demo am Montag | |
BERLIN taz | Straff organisiert geht es im ersten Block der | |
[1][Revolutionären 1. Mai-Demo] zu. Hier, am U-Bahnhof Boddinstraße in | |
Neukölln, haben die Organisator:innen von der Migrantifa und | |
verschiedenen kommunistischen Gruppen schon frühzeitig Aufstellung | |
genommen; einheitlich sind die Demonstrant:innen mit roten Halstüchern | |
ausgestattet. Schon wenige Minuten nach 18 Uhr setzt sich der durch | |
Transparente abgeriegelte Block in Bewegung. „Kein Frieden mit dem Krieg“, | |
so die zentral vor sich hergetragene Parole. | |
Als die Demospitze wenig später gemählich den Hermannplatz erreicht, ist | |
die Stimmung trotz kämpferischer Parolen wenig aufgeheizt. Auch die | |
voranschreitenden Polizist:innen lassen ihre Helme zunächst am Gürtel | |
baumeln und reagieren nicht auf vereinzelte Pyrotechnik. Es dauert fast | |
eine halbe Stunde, bis auch die hinteren Blöcke, darunter ein | |
anarchistischer Black Block mit etwa 700 Teilnehmer:innen, die erste Kurve | |
auf die Karl-Marx-Straße erreichen. | |
Mit nach taz-Schätzungen etwa 15.000 Teilnehmer:innen ist die Demo | |
erneut [2][die größte des Tages]. Das überrascht, schließlich war die | |
Mobilisierung im Vorfeld kaum wahrnehmbar und das Vorbereitungsbündniss auf | |
wenige irrelevante Gruppen verkleinert. Sogar die üblichen aufgebrachten | |
Boulevardblatt-Debatten im Vorfeld blieben aus, abgesehen von der | |
Thematisierung eines gezielten Aufrufs an Neuköllner Jugendliche für ein | |
„Silvester 2.0“. | |
Aus der Demospitze brandet zwischen nicht abreißenden Sprechchören Applaus | |
auf, als gar eine Teilnehmer:innenzahl von 20.000 durchgesagt wird. | |
Die Zuschauer*innen am Straßenrand werden aufgefordert, sich der Demo | |
anzuschließen. Aus einem Fenster an der großen Kreuzung am Landwehrkanal | |
tönt die Internationale, gesungen von Hannes Wader. Darunter ein | |
Transparent mit dem Slogan „Es lebe der Streik!“ | |
Auf dem Weg durch Neukölln steigt die Anspannung ein bisschen. | |
Polizist*innen setzen ihre Helme auf. „Ganz Berlin hasst die | |
Polizei“-Rufe sind zu hören. Die Seitenstraßen an der Demoroute sind | |
konsequent abgeriegelt mit behelmten Polizist*innen, ebenso laufen | |
Einsatzkräfte in voller Montur neben vorderem und schwarzem Block. Ingesamt | |
6.300 Polizist:innen sind an diesem Tag im Einsatz – noch mehr als im | |
vergangenen Jahr. | |
Die zentrale Parole vieler Reden auf der Auftaktkundgebung lautete | |
Klassenkampf. „Schaffen wir eine kommunistische Kampfpartei!“, sagte ein | |
Redner vom kommunistischen Aufbau, bevor die Demo loslief. Man wolle | |
zerstrittene kommunistische Kräfte bündeln durch „eine straffe | |
Organisation“. | |
Es sei Zeit für eine kommunistische Partei, die den Namen verdiene, sagte | |
eine Rednerin vom Bund der Kommunist:innen kurz darauf. Sie beendete | |
ihre Rede mit dem Ruf: „Straße frei der Roten Jugend“. Der Applaus blieb | |
eher verhalten. | |
Auch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde thematisiert – | |
zumindest mit der Parole „Gegen Putin. Gegen die NATO“. Während Reden die | |
„Kriegstreiber der Bundesregierung“ thematisierten, beteiligte sich auch | |
ein kleiner dezidiert proukrainischer Block. | |
## Die Kottiwache war eine Festung | |
„Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit!“ und „Wo wart ihr Hanau?!“ … | |
die Demospitze, als sie am Kotti ankommt. Danach „keine Bullenwache am | |
Kottbusser Tor!“ Doch auch hier bleibt es friedlich. Die [3][im Februar | |
eröffnete, viel kritisierte Wache] gleicht an diesem Abend einer Festung, | |
die Demoroute war schon am Nachmittag mit Gittern abgesperrt worden. | |
Kurz vor dem Ziel am Oranienplatz bleibt der Demozug stehen, weil die | |
Polizei sämtliche Straßen um den Platz abgesperrt hat. „Wir leben in einer | |
Demokratie, sind auf einer angemeldeten Demo. Wir weigern uns, in einer | |
vorbereiteten Kessel zu laufen! Macht Platz!“, heißt es vom | |
Lautsprecherwagen. Dann lösen die Organisatoren die Demo kurzerhand auf. | |
Der schwarze Blick bleibt im Stau noch vor dem Kotti stecken, ehe auch nur | |
eine erste Flasche oder ein erster Stein geflogen ist. Die Demo schließt | |
sich damit [4][nahtlos an jene des vergangenen Jahres an], deren Bilanz die | |
Polizei in die Formel packte: Der „friedlichsten 1. Mai seit Jahrzehnten“. | |
Bis zum Hereinbrechen der Dunkelheit gilt diese Bilanz für dieses Jahr umso | |
mehr. | |
Nach Beendigung der Demo verhindert die Polizei lange das Abfließen der | |
ehemaligen Demoteilnehmer:innen. Als diese den Weg zurück zum Kotti suchen | |
und Polizeieinheiten sich ihren Weg durch die Menge bahnen, kommt es doch | |
noch zu Reibereien. Wiederholt werfen Festnahmeeinheiten Menschen zu Boden, | |
mehrere Menschen werden abgeführt. | |
1 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Gareth Joswig | |
Jonas Wahmkow | |
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