# taz.de -- Revolutionäre 1.-Mai-Demo in Berlin: Am Ende fliegen Flaschen | |
> Die 18-Uhr-Demo erreicht ohne große Zwischenfälle ihr Ziel in Kreuzberg. | |
> Die Beteiligung ist enorm: Etwa 20.000 Menschen laufen mit. | |
Bild: Die 18 Uhr-Demo, kurz vor dem Endpunkt am Kottbusser Tor | |
BERLIN taz | Die [1][Revolutionäre 1. Mai-Demonstration] hat ihr Ziel am | |
Oranienplatz ohne große Zwischenfälle erreicht. Der riesige Zug füllte die | |
Sonnenallee auf beiden Seiten über hunderte Meter und kam mehr als zwei | |
Stunden nach dem Start in Neukölln in Kreuzberg an. Nach Schätzungen der | |
taz beteiligten sich eher mehr als die 20.000 Teilnehmer:innen des | |
vergangenen Jahres an der Demo. Die Polizei nannte die Zahl 14.000. | |
Zwischendurch kam es an der Polizeiwache an der Erkstraße zu einzelnen | |
Böllerwürfen aus dem etwa 300 Personen starken anarchistischen schwarzen | |
Block. Auch ganz am Ende der Demonstration am Oranienplatz flogen nochmals | |
einige Flaschen, als Polizeitrupps sich mit großem Tempo durch den | |
überfüllten und zu allen Seiten abgesperrten Platz bewegten. Die Polizei | |
setzte Tränengas ein. | |
Polizeipräsidentin Barbara Slowik bilanzierte, die Demo sei „weitgehend | |
friedlich verlaufen“; sie sei „soweit zufrieden“. Zahlen über Festnahmen | |
und Verletzte lagen am späten Abend noch nicht vor. | |
Gestartet war die Demo gegen 18.45 Uhr am Hertzbergplatz in einem selten | |
gemächlichen Tempo. Hinter dem Fronttranspi „No war but class war“ folgte | |
wie schon im vergangenen Jahr ein Block der Migrantifa und weiterer | |
migrantischer Gruppen, alle ausgestattet mit einheitlichen roten | |
Mund-Nasen-Masken. | |
Noch etwas höher als im Vorjahr war die Zahl der palästinensischen | |
Demonstrant:innen. Polizeisprecher Thilo Cablitz hatte direkt am | |
Hertzbergplatz angekündigt, dass Staatsschutzbeamte mögliche antisemitische | |
Parolen beobachten und die Polizei einschreiten werde. „Es ist möglich, den | |
Staat Israel zu kritisieren und infrage zu stellen, ohne antisemitisch zu | |
sein“, sagte eine Rednerin von Migrantifa vom Lautsprecherwagen. | |
Beobachter:innen berichteten von Parolen, die Israel das Existenzrecht | |
absprachen. | |
Vertreten waren aber auch viele weitere migrantische Linke, ob von den | |
Philippinen, aus Kolumbien oder Afghanistan. Formiert hatte sich zudem ein | |
einheitlich in Schwarz auftretender anarchistischer Block. | |
Schon eine Stunde vor dem Start hatten sich die ersten Blöcke aufgestellt, | |
ganz so, als könnten sie es kaum erwarten, loszugehen. Viele derjenigen, | |
die gekommen waren, verbreiteten unterdessen eine gelöste | |
Feiertagsatmosphäre in Neukölln. Bevor es losging, gab es vom | |
Lautsprecherwagen erneut die Ansage: „Trinkt keinen Alkohol, das ist hier | |
eine politische Veranstaltung und kein Sauffest!“ | |
## Protest gegen Waffenlieferungen | |
Im Gegensatz zu einem Fest, das parallel auf dem Hermannplatz stattfand, | |
war der politische Charakter auf der Kundgebung auf dem Hertzbergplatz aber | |
unübersehbar. In Redebeiträgen wurde sich gegen Waffenlieferungen | |
ausgesprochen und die Profitorientierung im Gesundheitswesen kritisiert. | |
Zum Tag der Arbeit berichtete das Gorillas Workers Collective von den | |
schlechten Arbeitsbedingungen bei dem Lebensmittel-Lieferdienst, bei dem | |
überwiegend Migrant*innen beschäftigt sind. „Wir sind die neue | |
Arbeiterklasse, ohne Raum, überall und nirgends, wir sind die neuen | |
‚Gastarbeiter‘“, rief eine Kurierin den Menschen auf Deutsch und Türkisch | |
zu. | |
Im Gegensatz zum vorderen Teil der Demonstration gab es im anarchistischen | |
Block keine Nationalflaggen, hier dominierten schwarze und rote Fahnen. Nur | |
langsam ging es voran, die Sonnenallee war voller Menschen, immer wieder | |
stoppte der Demonstrationszug. Rauchtöpfe wurden gezündet – auch sie | |
schwarz und rot. „Ganz Berlin hasst die Polizei“, schallte es durch die | |
Sonnenallee. Die hielt sich trotzdem eher im Hintergrund. | |
Aus den Boxen klang lauter Punkrock, die Stimmung war gut. Ein Anwohner | |
hatte eine Box ans Fenster gestellt, spielte die Internationale; die | |
vorbeiziehenden Demonstrant*innen klatschten begeistert mit. | |
## Streit um die Route | |
Im Vorfeld hatte [2][es Streit um die Route gegeben]. Aufgrund zweier vom | |
Bezirksamt Neukölln initiierter Straßenfeste wurde dem Demobündnis die | |
angemeldete Strecke über den Hermannplatz untersagt. Stattdessen verfügte | |
die Versammlungsbehörde eine Alternativroute durch Neuköllner Nebenstraßen. | |
Bei den Organisator:innen löste das die Sorge aus, dass die Polizei | |
die Demonstration wie bereits im vergangenen Jahr „angreifen und auflösen | |
könnte“. Ein Redner auf der Demo sagte, die Behörden hätten ihr | |
„Sicherheitskonzept torpediert“. | |
Der geplante Endpunkt am Kottbusser Tor dürfte bei den Sicherheitsbehörden | |
zumindest Unruhe ausgelöst haben. Die hier von Innensenatorin Iris Spranger | |
(SPD) gegen alle Widerstände geplante Polizeiwache auf der Galerie über der | |
Adalbertstraße ist für die linke Szene derzeit ein Reizthema. Am Samstag | |
hatte das Bündnis „Kotti für alle“ erneut gegen die Errichtung einer | |
dauerhaften Polizeiwache demonstriert. Diese stelle „keine Lösung, sondern | |
ein weiteres Problem, wenn nicht sogar eine Bedrohung“ dar, wie es in einer | |
Mitteilung hieß. Am Sonntag passierte die Demo den heiklen Ort ohne | |
Zwischenfälle. Etwa 6.000 Polizist*innen waren über den Tag verteilt im | |
Einsatz, rund 1.000 mehr, als Spranger noch am Dienstag angekündigt hatte. | |
Gegen neun Uhr erreichte die Demo dann den Oranienplatz, vereinzelt wurden | |
Flaschen und Böller auf die Polizei geworfen. Die drang immer wieder in die | |
Menschenmenge ein, es kam zu Rangeleien und Pfefferspray-Einsätzen. Die | |
Veranstalter lösten die Demonstration schließlich auf. „Passt auf euch auf | |
und lasst euch nicht provozieren“, gaben sie den Menschen noch mit auf den | |
Weg. | |
1 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Marie Frank | |
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