| # taz.de -- Naziaufmarsch beim CSD in Brandenburg: Und dann fühle ich etwas, d… | |
| > Unsere Autorin war mit ihrem Kind auf einem CSD in Brandenburg. Während | |
| > ihr dort immer mulmiger wird, fragt sie sich, wie es so weit kommen | |
| > konnte. | |
| Bild: CSD in Brandenburg im Jahr 2025 bedeutet nicht bloß Menschen mit bunten … | |
| Wir stehen uns ratlos gegenüber auf dem nassen Asphalt einer | |
| brandenburgischen Stadt in der Nähe meines Wohnortes. Sie, die Polizistin, | |
| die von außerhalb angereist ist, [1][um den CSD zu schützen]. Und ich, die | |
| Demonstrierende, ein durchnässtes siebenjähriges Kind an der Hand, das | |
| jetzt gern wieder ins Warme würde, aber nicht kann. „Da würde ich jetzt | |
| wirklich nicht durchgehen an Ihrer Stelle“, sagt die Polizistin. Denn „da�… | |
| da sind die Nazis. | |
| Weil ein CSD in Brandenburg im Jahr 2025 eben nicht bloß Menschen mit | |
| bunten Regenschirmen bedeutet, sondern auch eine Gegendemo von etwa 40 | |
| meist jugendlichen Neonazis, die uns mit großem Abstand folgt. Man wolle | |
| „den Kinderfickern mal zeigen, wer hier der Herr im Hause ist“, sagt ein | |
| Einheizer dort zu Beginn. | |
| Ich bin im Mecklenburg der Neunziger Jahre aufgewachsen und natürlich bin | |
| ich nicht überrascht, dass es Nazis gibt. Ich wohne seit mehr als fünf | |
| Jahren in einem Landkreis in Brandenburg, in dem die Landtagsabgeordnete | |
| [2][im Wahlkampf Kubotans mit AfD-Aufdruck verschenkte]. Trotzdem stehe ich | |
| an diesem Tag im Regen auf der Straße und fühle etwas, das ich schon länger | |
| nicht mehr gefühlt habe: Angst. Angst vor dem, was ist. Und Angst vor dem, | |
| was noch kommt. | |
| Letztes Jahr, da roch der CSD nach Sonnencreme und Softeis. Wir fuhren | |
| gemeinsam mit mehreren Kindern im Zug in die Nachbarstadt, wir waren spät | |
| dran. Nie wären wir auf die Idee gekommen, zu beratschlagen, ob der Demo | |
| hinterherzulaufen gefährlich werden könnte und mit wem wir im Notfall | |
| zusammenbleiben. CSD, das war ein politisches Familienfest und im Anschluss | |
| gingen wir auf den Spielplatz. | |
| Natürlich waren die neuen queeren Feste in Brandenburg auch Reaktion auf | |
| etwas, das sich veränderte – in den Schulklassen, in den Fußballvereinen. | |
| Auch damals gab es bei den Feiern schon Vorfälle. Sticker, Rufe, | |
| Hitlergrüße. Wahrscheinlich habe ich die Angst verdrängt, solange das noch | |
| irgendwie ging – bis zu diesem Tag. | |
| ## Vorfreude beim Malen des Regenbogenplakats | |
| Den ganzen Vormittag hat mein Kind an seinem Regenbogenplakat gearbeitet, | |
| Wasserfarben gemischt, es vorfreudig durch die Wohnung getragen. Wir | |
| schnitten dicke Streifen Tesa ab und umwickelten die Pappe, damit der Regen | |
| dem Regenbogen nichts anhaben konnte. | |
| Noch bevor wir am Bahnhof Demoteilnehmende entdecken, sehen wir die ersten | |
| jungen Männer mit Kurzhaarschnitt und schwarzer Kleidung. „Deutsche Jugend | |
| voran“ heißt die Organisation, die zur Gegendemo aufgerufen hat. Ich denke: | |
| Fuck, ich hätte mein Kind nicht mitbringen sollen. Und dann: Fuck, wie weit | |
| ist es gekommen, wenn man auf einen CSD keine Kinder mehr mitbringen kann? | |
| Wir warten unter der S-Bahnbrücke, der trans Chor singt, muss dann aber | |
| abbrechen, denn wir müssen los, damit sich Demo und Gegendemo nicht | |
| begegnen. Wir laufen durch den Regen und sind froh über die bunten Schirme, | |
| denn ein rechtsextremer Streamer hat seine Kamera auf einen langen Stab | |
| montiert, um uns zu filmen. | |
| „Ich dachte, es gibt nur Für-Demos und keine Gegendemos“, sagt mein Kind. | |
| ## Wie kann innerhalb von wenigen Monaten so viel verrutschen? | |
| Als die Füße nass sind und wir nach Hause wollen, aber nicht können, weil | |
| die Nazis die Straße hinter uns blockieren, halten zwei Polizisten den | |
| Verkehr an, damit wir auf einen Trampelpfad gelangen. Kein Mensch, | |
| nirgends. Mir wird immer mulmiger. Bloß weg hier. In diesem Moment kommt | |
| mir ein komisches Wort in den Kopf: Zeitenwende. Wie kann innerhalb von | |
| wenigen Monaten so viel verrutschen? Ich lege eine Jacke über das Plakat | |
| und schäme mich für den Versuch, mich unsichtbar zu machen. | |
| Als wir dann doch nach Hause kommen und später einkaufen gehen, steht am | |
| Supermarkt eine Gruppe Jugendlicher, schwarze Klamotten, lautes Lachen, | |
| Bierflaschen in der Hand. Sie reden über den CSD. Ich habe sie hier noch | |
| nie gesehen. | |
| Am Abend nimmt mein Kind sein Plakat nochmal in die Hand und läuft damit | |
| durch die Küche. „Ge-gen-de-mo“, ruft es. Ich schaue verwirrt genug, um | |
| eine Erklärung zu bekommen. „Ich mache eine [3][Gegendemo] gegen die | |
| Gegendemo.“ Die Schuhe sind schließlich schon fast wieder trocken. | |
| 18 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Luise Strothmann | |
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