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# taz.de -- Rechtsextremismus-Bericht in Neukölln: Antifaschismus, aber bitte …
> Im Berliner Bezirk Neukölln wird ein Bericht zum Rechtsextremismus
> zurückgezogen – wohl aus Angst vor CDU und AfD. Dann veröffentlicht ihn
> eben die taz.
Bild: Mahnwache im Februar 2025. Die Forderung: Konsequenzen
Berlin taz | Es waren klare Worte, die Sarah Nagel am 20. März verlor. Das
Neuköllner Bezirksamt nehme „Rechtsextremismus als reale und aktuelle
Gefahr nach wie vor sehr ernst“, erklärte die Jugendstadträtin und
Linken-Politikerin, die in dem Berliner Bezirk auch Beauftragte für
Strategien gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist. Rechte
Propaganda und Gewalttaten seien in Neukölln „leider alltäglich“. Der
Bezirk werde seine Gegenstrategien weiterentwickeln.
Die Worte fielen bei einer Premiere: der Vorstellung des ersten Berichts
des Bezirks zu rechtsextremen Aktivitäten in Neukölln. Die
Bezirksverordnetenversammlung hatte diesen bereits 2017 erbeten –
[1][nachdem Rechtsextreme eine Serie von Straftaten losgetreten hatten],
die auch bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Den Bericht verantwortete nun
Stadträtin Nagel, er listet auf 60 Seiten rechtsextreme Straftaten und
Netzwerke im Bezirk auf.
Doch die Verbreitung des Reports währte nur wenige Tage. Keine Woche später
verschwand dieser klammheimlich wieder und ist seitdem online nicht mehr
aufrufbar. Stattdessen gibt es nun Streit im Bezirksamt, grundsätzlichen.
Dabei fand auch der Bericht deutliche Worte. Zwar fokussierte sich dieser
auf das Jahr 2023 und stellte für den Zeitraum 208 rechte Straftaten fest,
welche die Polizei zählte, und 400 Delikte, die das unabhängige Register
Neukölln notierte. Aber er betonte: Es gebe „langjährige Kontinuitäten“ …
heute. „Neonazis sind weiterhin verankert und eine Gefahr im Bezirk“, heißt
es im Vorwort. „Rechtsextrem motivierte Straftaten und Vorfälle sind immer
noch Alltag in Neukölln.“ Und: „Die Aufarbeitung ist keinesfalls
abgeschlossen.“ Der Bericht solle fortgeschrieben werden.
## Bericht lobt Zivilgesellschaft
Tatsächlich hatte sich die Lage in Berlin-Neukölln seit 2016 zugespitzt.
[2][Autos von Linken brannten], Reifen wurden zerstochen, Fensterscheiben
eingeworfen, Graffitis mit Drohungen gesprüht. Auch ein bis heute
unaufgeklärter Mord geschah im Bezirk, [3][begangen 2012 am 22-jährigen
Burak Bektaş]. Erst im Oktober 2024 waren erneut die Autoreifen des
Buchhändlers Heinz Ostermann, der sich gegen Rechtsextreme engagiert,
zerstochen worden.
Im Dezember wurden dann in einem Berufungsprozess zwei Neonazis zu
[4][Haftstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren für Taten aus der Neuköllner
Anschlagsserie verurteilt] – einer von ihnen war früher für die AfD aktiv.
Im Berliner Abgeordnetenhaus läuft zudem seit 2022 ein
[5][Untersuchungsausschuss zum Ermittlungsvorgehen], das lange zu wenig
Ergebnissen führte.
All dies fasst der Bericht zusammen, lässt auch Betroffene und Initiativen
wie die Mobile Beratung oder Reachout zu Wort kommen sowie Gruppen, die
sich vor Ort gegen die Rechtsextremen engagieren. Der Zivilgesellschaft sei
es zu verdanken, „dass die Gefahr durch Rechtsextremisten immer wieder
öffentlich ins Gedächtnis gerufen und Druck in Richtung umfassender
Aufklärung gemacht wird“, heißt es lobend im Bericht. Und: Das Bezirksamt
sei „sich der Problemlagen in Neukölln bewusst und nimmt die Prävention und
die Bekämpfung von Rechtsextremismus sehr ernst“.
Nun aber ist der Bericht unbemerkt wieder einkassiert. Das Bezirksamt unter
SPD-Bürgermeister Martin Hikel, in dem auch Vertreter*innen von CDU,
Grünen und der Linken sitzen, nahm ihn aus dem Internet. Nach
taz-Informationen stecken dahinter rechtliche Bedenken, ob es mit dem
staatlichen Neutralitätsgebot vereinbar ist, dass die AfD in dem Bericht
genannt wird – Bedenken, die aber nicht alle im Bezirksamt teilen. Zum
anderen kritisiert die CDU, dass der Bericht „linksextreme Forderungen“
enthalte und auch „konservative Akteure“ als Problem benenne.
## CDU beantragt Sondersitzung des Parlaments
Inzwischen ist über den Bericht heftiger Streit im Bezirksamt ausgebrochen.
Die CDU stellte sogar einen Missbilligungsantrag gegen Stadträtin Nagel –
auch weil der Bericht vor der Veröffentlichung nicht im Bezirksamt
abgestimmt gewesen sei. Am 14. Mai soll auf Antrag der CDU eine
Sondersitzung des Bezirksparlaments wegen des Berichts stattfinden.
In dem Streit geht es auch um eine Grundsatzfrage: Wie deutlich darf eine
öffentliche Verwaltung beim Thema Rechtsextremismus werden? Wie darf es
dabei mit der AfD umgehen?
Bürgermeister Martin Hikel, der auch Berliner SPD-Chef ist, gibt sich
zugeknöpft. Er lässt seinen Sprecher lediglich ausrichten, dass der Bericht
derzeit „überarbeitet“ werde. Jugendstadträtin Sarah Nagel wiederum räumt
„Differenzen“ über den Bericht im Bezirksamt ein. Die Linkenpolitikerin
betont, dass ihr Bericht einem Auftrag der Bezirksverordnetenversammlung
folgte. Und dass dieser rechtsextreme Aktivitäten benennen müsse, wenn dies
der Arbeitsauftrag sei. „Egal, woher er kommt.“
Tatsächlich wird im Bericht dabei auch die AfD benannt. In der Einleitung
des Bezirksamts ist von einer „in Teilen rechtsextremen Partei AfD“ die
Rede. Und auch: „Die teilweise rassistischen Äußerungen und Positionen von
Mitgliedern der Partei sind besonders in einem vielfältigen Bezirk wie
Neukölln für viele Bürger:innen besorgniserregend.“ Ein Vertreter des
„Bündnisses Neukölln“ schildert später im Bericht, das Besondere in
Neukölln sei, dass dort „Neonazis eingebunden und vernetzt sind in ein
rechtes bürgerliches Milieu, besonders in AfD-Strukturen“. Dieses Milieu
umfasse „Nazis, Fußball-Hooligans, AfD’ler bis hin zu konservativen
Akteuren“.
Von der AfD selbst sind bisher noch keine rechtlichen Schritte gegen den
Bericht bekannt. Aber der Bezirk scheint in Sorge, weil die Partei schon
einmal die Auseinandersetzung mit ihm suchte: Bereits 2019 klagte sie gegen
[6][eine Ausstellung im Rathaus Neukölln über die „Extreme Rechte“],
organisiert von den Vereinen apabiz und Aktives Museum, in der auch die AfD
auftauchte. Tatsächlich wurden damals zwischenzeitlich zwei Stelltafeln
entfernt. Am Ende allerdings gewann der Bezirk die rechtliche
Auseinandersetzung vor Gericht. Das Berliner Verwaltungsgericht sah nicht,
dass die Ausstellung als amtliche Äußerung des Bezirksamts zu verstehen
sei, nur weil diese im Rathaus stattfand.
## Für die Jugendstadträtin geht es um eine Grundsatzfrage
Stadträtin Nagel dagegen verteidigt die Nennung der AfD im aktuellen
Bericht. „Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme Partei, die in Neukölln
Kontakte in die rechtsextreme Szene hat. Es ist daher schwer vorstellbar,
einen Bericht zu Rechtsextremismus in Neukölln zu machen und die AfD nicht
zu erwähnen.“ Zudem, so Nagel, seien die Verquickungen in Beiträgen von
zivilgesellschaftlichen Gruppen benannt worden. „Denen können wir ja kaum
vorschreiben, dass sie diese AfD-Verbindungen nicht benennen dürfen.“
Für Nagel geht es eben auch um eine Grundsatzfrage. „Auch ein Bezirksamt
muss rechtsextreme Gefahren benennen, wenn diese vorliegen. Und wenn diese
von der AfD ausgehen, dann darf auch das nicht verschwiegen werden.“
Tatsächlich sucht die AfD immer wieder den Rechtsstreit, wenn sie der
Ansicht ist, dass staatliche Vertreter*innen ihre Neutralitätspflicht
verletzten. So klagte die Partei schon 2015 gegen die damalige
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), weil diese in einer
Pressemitteilung von einer „Rote[n] Karte für die AfD“ schrieb. Das
Bundesverfassungsgericht wertete dies tatsächlich als Verletzung der
staatlichen Neutralitätspflicht.
Erfolgreich war dagegen zuletzt Malu Dreyer (SPD), frühere
Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Sie hatte an einer Kundgebung
„Zeichen gegen rechts“ teilgenommen und auf ihrem Instagram-Account die AfD
wegen ihrer „Remigrationspläne“ kritisiert. Dies hielt der
Verfassungsgerichtshof des Landes zum Schutz der demokratischen
Grundordnung für gerechtfertigt. Die Äußerungen seien sachlich gewesen und
das Land müsse als wehrhafte Demokratie nicht neutral gegenüber seinen
Gegnern sein.
Diese Position teilt auch Vasili Franco (Grüne), Vorsitzender des
Untersuchungsausschusses Neukölln im Berliner Abgeordnetenhaus. „Wenn der
Bezirk einen Bericht zu Rechtsextremismus in Neukölln in Auftrag gibt und
es dort Verbindungen der AfD zu Neonazis gibt, dann muss das natürlich
benannt werden.“ Auch im Untersuchungsausschuss seien diese Verbindungen
„zweifelsfrei belegt“ worden. Es müsse daher auch einem Bezirksamt möglich
sein, rechtsextreme Gefahren zu benennen, so Franco. „Zuallererst wäre es
doch an der AfD selbst, gegen rechtsextreme Aktivitäten in der eigenen
Partei einzuschreiten. Wer daran kein Interesse zeigt, darf sich über
Kritik nicht beschweren.“
## CDU sieht „unanständige Angriffe“ auf die Polizei
Die Neuköllner CDU übt aber noch weitere Kritik an dem Bericht – und
fordert, diesen nicht zu überarbeiten, sondern gänzlich und endgültig
zurückziehen. Der Bericht enthalte „methodische Mängel“ und „völlig
inakzeptable Forderungen nach Abschaffung der Sicherheitsbehörden“ sowie
„unanständige Angriffe“ auf die Polizei, kritisiert CDU-Kreischef Falko
Liecke. Nagel wirft er mit dem Bericht einen Alleingang vor, sie
missbrauche ihr Amt für „politische Agitation“. Die CDU fühlt sich offenb…
mitangesprochen und stößt sich vor allem daran, dass in dem Bericht das
zivilgesellschaftliche Bündnis Neukölln mit dem Satz zitiert wird, dass es
im Bezirk ein Milieu von „Nazis“ bis „konservativen Akteuren“ gebe. „…
solch ein Bild unseres Bezirks hat, darf keine Verantwortung für ihn
tragen“, kritisiert Liecke Richtung Nagel.
Das Bündnis Neukölln hat die CDU schon länger auf dem Kieker, weil dort
auch die Interventionische Linke mitmacht, die vom Verfassungsschutz
beobachtet wird. „Ein Bezirksamt kann aber doch keinen Bericht mit
extremistischen Akteuren verfassen und sich deren Argumente zu eigen
machen“, kritisiert Liecke. „Das überschreitet alle Grenzen.“ Auch desha…
habe man den Missbilligungsantrag gegen Nagel gestellt und den Antrag auf
die Sondersitzung des Bezirksparlaments.
Tatsächlich üben einige der Initiativen, die im Bericht zu Wort kommen,
deutliche Kritik an der Aufklärung der Neuköllner Anschlagsserie. Das
Berliner Register spricht von „Skandalen und Ungereimtheiten in der
Ermittlungsarbeit“. Die Initiative Burak Bektaş kritisiert die Ermittlungen
zum Mord an Bektaş als „chaotisch, halbherzig, schlecht dokumentiert“. Von
ihr kommt auch die Forderung nach einer „radikalen Reduktion des
Polizeiapparates“ und der Abschaffung des Verfassungsschutzes. Reachout
kritisiert Neukölln als Bezirk, „in dem Menschen besonders stark
rassistischer Kriminalisierung ausgesetzt sind“.
Nagel hält der CDU-Kritik entgegen, dass die Aussagen der Initiativen klar
als solche erkennbar seien. Es sei der Auftrag gewesen, die Initiativen
selbst zu Wort kommen zu lassen. „Wir können diese ja schlecht im Bericht
zensieren.“ Dem Missbilligungsantrag und der Sondersitzung sehe sie
gelassen entgegen. „Ich bin nur meinen Aufgaben nachgekommen.“
## „Opfer werden zu Tätern“
Auch hier bekommt Nagel Unterstützung vom Grünen Vasili Franco. Die
Äußerungen der Bezirks-CDU nennt er „ziemlich irritierend“. „Dort schei…
man vollkommen zu ignorieren, dass in Neukölln seit Jahrzehnten eine
gefestigte Naziszene besteht, die antifaschistisches Engagement gewaltsam
bedroht und einschüchtert. Stattdessen werden Opfer zu Tätern.“
Auch bei den Neuköllner Initiativen wird man über das Vorgehen der CDU und
des Bezirksamts nicht erbaut sein. Im Bericht selbst wird ein Vertreter des
Bündnis Neukölln zitiiert, als hätte er etwas geahnt: „Manchmal würde man
sich ein bisschen mehr Haltung, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein
wünschen, was den Umgang mit irgendwelchen Klagen von beispielsweise der
AfD angeht.“
Das Bezirksamt Neukölln will den Rechtsextremismus-Bericht nicht
veröffentlichen. Die taz schon: [7][taz.de/neukoellnbericht]
Hinweis: In einer ersten Version des Textes stand, dass das Bezirksamt
Neukölln eine frühere rechtliche Auseinandersetzung mit der AfD, im Jahr
2019 über eine Ausstellung im Rathaus, verlor. Das Verwaltungsgericht gab
dem Bezirk am Ende aber Recht. Wir haben dies im Text korrigiert.
29 Apr 2025
## LINKS
[1] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550
[2] /Brandanschlaege-in-Berlin-Neukoelln/!5479336
[3] /Mord-an-Burak-Bekta/!6069241
[4] /Neonazi-Prozess-in-Berlin/!6051397
[5] /U-Ausschuss-zum-Neukoelln-Komplex/!6077210
[6] https://www.apabiz.de/2019/immer-wieder-zensurversuche-der-berliner-afd-ger…
[7] /neukoellnbericht
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Rechter Terror in Berlin-Neukölln
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