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# taz.de -- Regierungserklärung von Friedrich Merz: Schön langweilig im Bunde…
> Der neue Kanzler zeigt sich in seiner ersten Regierungserklärung
> versöhnlich und staatstragend. Spannungen in der Koalition sind dennoch
> zu erwarten.
Bild: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht am Mittwoch bei seiner Regieru…
Berlin taz | Das Amt verändert den Menschen schneller als der Mensch das
Amt, sagte einst der Grüne Joschka Fischer. Da hatte er wohl recht. Die
Verwandlung des Friedrich Merz vom scharfzüngigen, angriffslustigen
Oppositionsanführer zum staatstragenden Regierungschef dauerte nach seiner
etwas holperigen Wahl zum Bundeskanzler am 6. Mai genau acht Tage.
Am Mittwoch gab Merz seine erste Regierungserklärung im Bundestag ab. Die
Erwartungen waren hoch: Würde er liefern, rhetorisch und inhaltlich? Eine
Regierungserklärung ist mehr als eine Vorstellungsrede im Bundestag. Sie
liefert traditionell auch eine Erzählung für die Legislatur, eine Art
Überbau für das Klein-Klein des Regierungshandelns. Helmut Kohl kündigte
1982 seine geistig-moralische Wende an, Angela Merkel hatte 2005 den
Anspruch, eine neue Begründung für Europa zu formulieren. Und Friedrich
Merz der zehnte Bundeskanzler?
Der nahm kurz nach ein Uhr mittags zum ersten Mal auf dem Sessel mit der
erhöhten Rückenlehne, ganz vorn links auf der Regierungsbank Platz.
Wechselte ein paar Worte mit Vizekanzler Lars Klingbeil, trat nach einer
Schweigeminute für [1][die verstorbene Margot Friedländer] ans Rednerpult.
Und sprach fast eine Stunde, die Kernsätze seiner Erklärung fielen fast am
Ende: „Wir streben kein ideologisches Großprojekt zur Veränderung unserer
Gesellschaft an. Wir wollen einen guten Rahmen setzen für das Zusammenleben
der Menschen in Deutschland.“
Also keine radikale Wende, wie er sie noch im Wahlkampf angekündigt hatte.
Stattdessen versprach der Neue im Kanzleramt: „Wir bleiben verlässlich“.
Die erste halbe Stunde im Bundestag herrschte eine andächtige, fast
langweilige Stimmung, ohne Zwischenrufe oder Gelächter. Aber in Zeiten
einer polarisierten Gesellschaft und, wie Merz es nannte, „einer Welt in
Aufruhr“ ist etwas Langeweile nicht zu verachten.
## Dank an Olaf Scholz
Merz rief zum Zusammenhalt auf, dankte seinem Vorgänger Olaf Scholz, der in
der zweiten Reihe der SPD-Fraktion Platz genommen hatte. „Ihre Reaktion auf
den russischen Angriffskrieg war wegweisend und historisch“, streckte Merz
demjenigen die Hand aus, [2][den er von gleicher Stelle einst als „Klempner
der Macht“ bezeichnet] hatte.
Kontinuität zeichnet sich auch bei der Außenpolitik ab. Merz versprach
ähnlich wie sein Vorgänger, dass Deutschland nicht Kriegspartei werde aber
ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine stehe und keinen Diktatfrieden
akzeptieren werde. Die Forderung nach Lieferung von
Taurus-Marschflugkörpern, die der Oppositionsführer Merz vor sich her
getragen hatte, wiederholte der Kanzler Merz nicht. Stattdessen lobte er
sich für seine gelungene Reisediplomatie – die Reisen nach Paris, Warschau,
Brüssel und zuletzt nach Kyjiw gemeinsam mit den Staatschefs von
Frankreich, Polen und Großbritannien. Ob der Aufschlag erfolgreich ist und
Merz mehr erreicht als Scholz, wird sich erst noch zeigen.
Auch beim Thema Israel wandelte Merz in den Spuren seines Vorgängers: Man
stehe unverbrüchlich an der Seite Israels. Sehe aber das Leid der
Palästinenser. In den Reihen der Linkspartei klatschte nur Gregor Gysi.
Dass „Merz ein Kanzler der Linken“ sei, wie AfD-Fraktionschefin Alice
Weidel höhnte, zeichnet sich nicht ab.
## Anleihe bei Helmut Kohl
Messen lassen wird sich Merz vor allem daran, ob seine Regierung wie
versprochen eine Wirtschaftswende schafft. Man werde alles daran setzen
versprach der Kanzler im Bundestag – und stellte im Folgenden den im
Koalitionsvertrag vereinbarten Instrumentenkasten vor: Superabschreibungen,
Steuerentlastungen, Mehrarbeit. Denn „Leistung muss sich wieder lohnen“,
nahm Merz denn doch Anleihe bei Helmut Kohl. Besonders beim letzten Punkt
kühlte die Begeisterung in den Reihen der SPD-Fraktion merklich ab.
Die Friktionen in der künftigen Koalition sind denn auch spürbar. Ob
Mehrarbeit wirklich sinnvoll sei, stellt Noch-SPD-Chefin Saskia Esken in
einem taz-Interview in Frage. Auf die Frage, wie die
Sozialversicherungssysteme demografiefest gemacht werden, haben Union und
SPD unterschiedliche Antworten. Und auch beim Thema Migration ist immer
noch nicht klar, ob Deutschland Asylsuchende an den Grenzen zurückweisen
wird oder nicht. Gemäß seiner markigen Ankündigung vom Januar wollte Merz
als Kanzler sofort ein „faktisches Einreiseverbot auch für Menschen mit
Schutzanspruch“ veranlassen.
Nun erklärte er im Bundestag deutlich defensiver, man werde im Einklang mit
europäischem Recht und den Nachbarn handeln. Für die Abteilung Attacke ist
bei der Union jetzt Jens Spahn als neuer Fraktionschef verantwortlich. Der
verteidigte Grenzkontrollen, diese seien mit den Nachbarn abgesprochen.
## Koalitionspartner möchte streiten
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch antwortete für einen Koalitionspartner
ziemlich kritisch auf den Kanzler. Die SPD-Fraktion werde die
Regierungsarbeit „selbstbewusst“ begleiten, kündigte er an. „Streit per …
sei auch nichts Schlechtes, nur zielgerichtet müsse er sein.
Er kritisierte Merz für dessen Mahnung, der Klimaschutz dürfe die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht gefährden.
Vertragstreue forderte er von der Union bezüglich einer Reform der
Schuldenbremse. Im Koalitionsvertrag waren Gespräche darüber noch dieses
Jahr vereinbart, die CSU stellte das jüngst in Frage. Die Verhandlungen
gehörten „schnell auf die Tagesordnung“, mahnte Miersch.
## Kritik aus der Opposition
Nur auf der Regierungsbank sitzen Union und SPD einträchtig Seite an Seite,
in der Parlamentssitzordnung sind beide Fraktionen noch durch die Grünen
getrennt.
Deren Fraktionschefin Katharina Dröge, angekommen in der Rolle als
Oppositionspolitikerin, kritisierte das „vergiftete Antrittsgeschenk“, das
die neue Koalition mit unabgesprochenen Grenzkontrollen an Polen gemacht
habe und die forsche Forderung in Brüssel, das dort „gerade erst
beschlossene Lieferkettengesetz“ wieder abzuschaffen. „Was war das für ein
Signal an Europa?“, fragte Dröge.
Laut Linken-Fraktionschef Sören Pellmann stehe Merz' neue, „tiefschwarze
und blass rosa-rote Koalition“ für Hoffnungslosigkeit. Es gebe „keine
Visionen und keine Entschlossenheit“ für sozialen Ausgleich.
Dröge wünschte Merz zwar viel Erfolg. Dass dieser vergangene Woche [3][in
der ersten Runde der Kanzlerwahl durchgefallen war], sei aber „keine
Kleinigkeit“. Die neue Koalition sei „deutlich instabiler, als ich es Ihnen
gewünscht hätte“, so Dröge. Sie könnte recht behalten.
14 May 2025
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Margot-Friedlaender/!6087431
[2] /Streit-um-den-Bundeshaushalt/!5973742
[3] /Kanzlerwahl-von-Friedrich-Merz/!6086558
## AUTOREN
Anna Lehmann
Tobias Schulze
Alice von Lenthe
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