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# taz.de -- Aktivistin über Grenzregion zu Polen: „Die Leute sind radikaler …
> Katarzyna Werth engagiert sich für das deutsch-polnische Miteinander. Auf
> die Landratswahl in Vorpommern-Greifswald blickt sie mit Sorge.
Bild: Brückenbauerin zwischen Polen und Deutschland: Katarzyna Werth im Gutsha…
taz: Frau Werth, wir treffen uns im Gutshaus Ramin [1][bei Löcknitz]. Warum
haben Sie diesen Ort für unser Gespräch vorgeschlagen?
Katarzyna Werth: Ich verbringe viel Zeit hier. Aufgrund meines Engagements,
aber auch privat. Mit den beiden Gutsbesitzern bin ich befreundet. Die
kommen ursprünglich aus Stettin, haben aber lange in Kiel gelebt.
taz: Nun haben die beiden das alte Gutshaus in privater Initiative saniert
und [2][zu einer Begegnungsstätte ausgebaut]. Was findet hier statt?
Werth: Jugendworkshops zum Beispiel. Yoga. Es ist außerdem ein Zentrum des
deutsch-polnischen Lebens in Vorpommern. Zur Zeit sind im Rahmen des
europäischen Austauschs zwei Ehrenamtliche aus Rumänien und Spanien da.
taz: Was ist Ihre Aufgabe dabei?
Werth: Ich bin die Vorsitzende des Fördervereins. Meine Aufgabe ist es, das
Gutshaus nach außen zu repräsentieren, Leute zusammenzubringen und Projekte
zu gestalten. Ich mache hier auch ein Frauencafé.
taz: Sie sind in vielen Organisationen aktiv. In der deutsch-polnischen
Gesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, Sie haben den Verein für Kultur und
Integration geleitet, für die Stadt Pasewalk haben Sie die
deutsch-polnische Zusammenarbeit organisiert. Wie dürfen wir Sie unseren
Leserinnen und Lesern vorstellen? Als das polnisch-deutsche Gesicht
Vorpommerns? Als Brückenbauerin auf beiden Seiten der Oder? Als Aktivistin?
Werth: Vielleicht von allem etwas. Als Brückenbauerin bin ich aber nicht
nur zwischen Deutschland und Polen unterwegs, sondern versuche auch, die
Leute hier miteinander in Kontakt zu bringen. Ich versuche, die Themen
ehrenamtliche Arbeit, Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement
stark zu machen, damit sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen können. Da
sind seit der Pandemie viele Sachen weggebrochen.
taz: Trotzdem haben Sie mal gesagt, Sie haben das Gefühl, hier noch immer
nicht angekommen zu sein. Dabei habe Sie schon ihr Abitur in Deutschland
gemacht. Ist das auch ein Grund dafür, auf so vielen verschiedenen
Hochzeiten zu tanzen? Müssen Sie jemandem etwas beweisen, dass Sie hierher
gehören?
Werth: Vielleicht will ich damit zeigen, dass ich das kann. Dass ich das
Recht habe, hierher zu gehören. Und gleichzeitig frage ich mich, warum die
aufnehmende Gesellschaft dies immer wieder verlangt. Das alles ist mir aber
erst bewusst geworden, als ich meine deutsch-polnische Blase verlassen
habe. In dieser Blase war alles in Ordnung.
taz: Müssen Sie als Polin mehr Anstrengungen unternehmen, um akzeptiert zu
werden als jemand, der aus Berlin nach Vorpommern zieht?
Werth: Die Berliner haben es genauso schwer wie die Polen.
taz: Sie selbst kommen aus Stettin.
Werth: Da bin ich 1979 geboren, weil es da das einzige Krankenhaus weit und
breit gab. Aufgewachsen bin ich in Nowe Warpno am Neuwarper See am
Stettiner Haff.
taz: In Löcknitz sind Sie dann auf das deutsch-polnische Gymnasium
gegangen.
Werth: Ich war da eine der ersten Absolventinnen. 1995 habe ich angefangen,
und ich habe gleich zweimal das Abitur gemacht. Einmal das deutsche, und
dann auch das polnische. Das war damals Pflicht. Danach habe ich in
Stralsund Betriebswirtschaftslehre studiert.
taz: In Löcknitz hat jeder fünfte einen polnischen Pass. Ist die Region
inzwischen schon ein Region, in der die Grenzen fließend sind?
Werth: An optimistischen Tagen denke ich, ja. Dann aber habe ich wieder den
Eindruck, dass wir immer noch auf dem Weg dahin sind – und das schon seit
vielen Jahren. Dass wir uns im Kreis bewegen. Das war auch der Grund, warum
ich meinen Job als Beauftragte für deutsch-polnische Angelegenheiten in der
Stadtverwaltung Pasewalk aufgegeben habe. Vielleicht wollte ich zu viel.
taz: Sie hatten den Eindruck, gegen eine Wand gelaufen zu sein?
Werth: Ja. Vielleicht auch, weil ich festgestellt habe, dass ich mich
verändert habe, die Region aber immer noch die gleiche ist. Die Leute sind
oft so frustriert, ich frage mich immer, was ihnen eigentlich fehlt. Es
gibt hier so viele Möglichkeiten, aktiv zu werden. Stattdessen wird
gemeckert und gejammert. Durch meine Aktivitäten begegne ich aber Leuten,
die die Sachen selbst in die Hand nehmen und für die Region kämpfen. Dies
beispielsweise in dem neu entstanden Politischen Frauenstammtisch. Das
motiviert.
taz: Haben Sie Ihr Ausscheiden in Pasewalk als Scheitern empfunden?
Werth: Ja, es frustriert mich immer noch. Für alles braucht man richtige
Leute, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das wird immer weniger.
taz: Vorpommern ist, noch mehr als die brandenburgische Uckermark von
Abwanderung geprägt. Auf der anderen Seite der Grenze ist die boomende
Metropole Stettin. Weil dort Mieten und Preise für Wohnungen steigen, zieht
es immer mehr polnische Familien auf die deutsche Seite der Grenze. In der
Uckermark wird das inzwischen als Bereicherung empfunden, weil mit den
Zuzüglern auch Arztpraxen wieder öffnen und neue Klassenzüge starten. Wie
ist das in Vorpommern?
Werth: Auf deutscher Seite gibt es viele, die noch nie in Stettin waren.
Die haben manchmal auch nicht das Geld dafür. Dann kommen die
gutverdienenden Stettiner nach Vorpommern. Da treffen Welten aufeinander.
Die Stimmung ist nicht gut. Dabei gäbe es ohne polnische Ärzte und
Pflegekräfte das Krankenhaus in Pasewalk nicht mehr.
taz: Eigentlich müssten die Menschen dankbar sein.
Werth: Ich frage mich selbst, warum es anders gekommen ist. Neulich hat mir
jemand erzählt, dass im Wartezimmer eines polnischen Arztes zwei Deutsche
gesagt haben, man könne jetzt nicht mal mehr zum Arzt gehen, überall seien
nur noch Polen.
taz: Wäre es denen lieber, gar keine Arztpraxis zu haben als eine, in der
ein polnischer Arzt praktiziert?
Werth: Ja. Völlig irrational.
taz: Ist das Neid? Weil die Polen in der Region erfolgreicher sind? Weil
sie als Gewinner der EU-Erweiterung gesehen werden?
Werth: Neid und Missgunst und auch ein Stückchen Minderwertigkeitsgefühl.
Den Leuten geht es ja nicht schlecht, aber die saugen alles auf, was in den
sozialen Medien an Nachrichten aufkommt. Mit manchen kann man sich gar
nicht mehr unterhalten. Das hat mit der Pandemie begonnen. Die Leute sind
radikaler geworden.
taz: Und Sie?
Werth: Ich bin auch radikaler geworden. Ich lasse mir nicht mehr alles
gefallen.
taz: Für die einen ist sie eine von uns, für die anderen wird sie immer
eine Polin bleiben. So hieß es in einem polnischen Medium über Sie vor den
letzten Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Mit uns war gemeint, eine
aus Löcknitz. Sie haben dort bei den Wahlen für das Amt der Bürgermeisterin
kandidiert. War das für manche auch eine Provokation?
Werth: Das kann ich mir gut vorstellen. Manche haben gesagt, was nimmt die
sich heraus. Andere meinten, toll, dass du den Mut hast. Ich hab es im
Nachhinein nicht bereut. Das war eine Art europäischer Test für so einen
kleinen Ort. Der demokratische Wettbewerb tut solchen Orten immer gut. Da
werden endlich Sachen angepackt, die jahrelang unberührt blieben. Das ist
eine Chance, diese Orte aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Alle
profitieren davon.
taz: Ist es etwas anderes, wenn in Rostock ein Däne Oberbürgermeister wird
und in Löcknitz eine Polin kandidiert.
Werth: Das sind andere Dimensionen. Rostock ist eine Universitätsstadt. Und
dann ist Skandinavien für viele Deutsche sehr positiv besetzt. Anders als
Polen.
taz: Sie sind auf Platz drei gelandet und nicht in die Stichwahl gekommen.
Löcknitz hat den europäischen Test also nicht bestanden.
Werth: Es hat aber was mit dem Ort gemacht, die Politik beginnt sich nun zu
bewegen. Sie wissen, dass sie sich anstrengen müssen. Das ist etwas
Positives.
taz: Bei den jüngsten Bundestagswahlen hat mehr als die Hälfte ihrer
Nachbarn [3][die AfD gewählt]. Wie groß war der Schock?
Werth: Das sitzt immer noch tief. Davon kann ich mich nicht so schnell
erholen.
taz: Kam das überraschend für Sie?
Werth: Es war natürlich schon vorher zu spüren, dass sich die Gesellschaft
zunehmend polarisiert. Dass immer mehr Menschen auch die Positionen der AfD
übernehmen. Auch im persönlichen Gespräch wird da viel aufgeschnappt. Und
was man alles im WhatsApp-Status sehen kann.
taz: Was zum Beispiel?
Werth: Da wurden Videos von Alice Weidel geteilt. Oder Angriffe auf die
Bundesregierung. Ich erinnere mich noch gut, als vor vielen Jahren hier die
NPD zum Volkstrauertag mit Pauken und Fackeln marschierte. Es war niemand
auf der Straße, der dagegen protestiert hätte. Jetzt sehen wir: Die sind
nicht verschwunden.
taz: Die NPD hat damals sehr mit antipolnischen Parolen auf sich aufmerksam
gemacht. Wie ist das bei der AfD?
Werth: Sie nutzen eine andere Sprache. Sie sagen nicht Polen, sondern
Migration. Aber im Grunde geht es ihnen um dasselbe, auch wenn sie es
anders verpacken. Darauf fallen auch einige hier lebende Polen herein.
Allerdings teilen sie nicht die prorussische Haltung der AfD.
taz: Was heißt das für den Alltag? Auch bei Ihnen auf dem Dorf, in dem sie
leben?
Werth: Man grüßt sich. Manche grüßen auch nicht. Manchmal ist auch ein
Kontakt, von dem ich dachte, dass er gut sei, abgekühlt. Ich rede auch
nicht mehr über Politik, das würde mir den Tag vermiesen. Das hat auch mit
dem russischen Krieg gegen die Ukraine zu tun. Die prorussische Stimmung
hier ist aggressiver geworden. Die Räume, in denen man sich offen
austauschen kann, gibt es kaum noch.
taz: Dass der Riss mitten durch die Dörfer und teilweise durch die Familien
geht, ist auch eine Erfahrung, die in Polen gemacht wird. Ist das
vergleichbar.
Werth: Die Gesellschaft hier ist polarisierter als in Polen. In Polen gibt
es noch die Familie. Die steht an erster Stelle. Das hat etwas
Ausgleichendes. Diesen Ausgleich gibt es in Deutschland nicht. Hier denken
viele Familien ohnehin das gleiche.
taz: Wie wird im Präventionsrat des Amtes Löcknitz-Penkum, in dem Sie
sitzen, über diese Themen gesprochen?
Werth: Letztes Jahr im Sommer gab es [4][diese Aktion mit den weißen
Puppen], denen ein Messer in der Brust steckte und bei denen das Blut
rauslief. Dazu stand: Migration tötet. Das habe ich angesprochen. Aber man
will nicht wirklich damit umgehen.
taz: Man schaut weg? Sogar diejenigen, die das eigentlich genauso kritisch
sehen wie Sie?
Werth: Es heißt dann, wir seien nur beratend tätig. Es sind auch nur noch
zwei Bürgermeister im Präventionsrat. Gegründet wurde er, als es 2014 zu
einer Einbruchsserie kam. Schnell hieß es, die Täter seien Polen. Der
Präventionsrat war dann die Antwort auf eine Bürgerwehr, die am Entstehen
war.
taz: Was sagt die Polizei zu den Puppen mit dem Messer in der Brust?
Werth: Es ist nur eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat.
taz: In Brandenburg hingen oft nachgebaute Ampeln an Galgen. Aber das mit
den Puppen ist bedrohlicher, oder?
Werth: Ja. Am Anfang dachte ich, das richtet sich nur gegen dunkelhäutige
Migranten, aus Afrika oder aus den arabischen Ländern. Wir als Polen haben
uns lange, weil wir EU-Bürger sind, geschützt gefühlt. Inzwischen weiß ich,
dass auch wir da als Polen damit gemeint sind.
taz: Während der Pandemie haben Sie Demonstrationen gegen die
Grenzschließungen organisiert. Da kamen auch Lehrerinnen, die plötzlich
nicht mehr an ihre Schule durften, Ärzte, die sich entscheiden mussten, in
Deutschland bei der Arbeit zu bleiben, ohne zu wissen, wann sie wieder nach
Polen zu ihrer Familie dürfen. Plötzlich wurde deutlich, wie sehr die
Grenzregion auch von Pendlern lebt, wie sehr sie wirtschaftlich von der
offenen Grenze profitiert. Das war doch auch etwas Positives?
Werth: Wir haben drei Demonstrationen organisiert. Ich hatte bis dahin null
Erfahrung damit. Aber ich war so sauer auf die Regierung in Warschau, die
plötzlich alles dicht gemacht hat. Wir wollten, dass Warschau erfährt, wie
sehr wir hier von der offenen Grenze profitieren. Das war ein großer
Erfolg.
taz: Im kommenden Jahr sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Wie
sehr macht Ihnen das Angst?
Werth: Davor sind schon in diesem Jahr am 11. Mai Landratswahlen. Das macht
mir schon Sorge. Das wird ein Testlauf dafür sein, wie es 2026 ausgeht.
taz: Was würde es bedeuten, wenn die AfD in Vorpommern-Greifswald den
zweiten Landrat in Deutschland stellen würde?
Werth: Mir fehlt ein wenig die Vorstellungskraft. [5][Andererseits ist das
so real], dass wir es eigentlich genau wissen, was da kommt. Ich hab Angst
um die polnische Community. Ich frage mich, inwieweit wir als
Zivilgesellschaft weiter aktiv sein können. Welche geschützten Räume es
noch geben wird. Ich würde mir wünschen, dass sich die Polen hier mehr
einmischen.
taz: Haben Sie von manchen Polen schon gehört, dass sie wieder zurück in
ihr Land wollen, wenn der Landkreis an die AfD geht? Oder wenn die AfD
nächstes Jahr in Mecklenburg-Vorpommern mitregiert?
Werth: Es gibt da eher Diskussionen, noch weiter wegzugehen. Denn nicht nur
die AfD bedroht uns, sondern auch Russland.
10 May 2025
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