# taz.de -- Junge Wähler*innen im Osten: „Auf jeden Fall Blau“ | |
> Viele junge Menschen wählen die AfD. Drei Gespräche entlang der | |
> deutsch-polnischen Grenze mit jungen Brandenburger*innen vor der | |
> Landtagswahl. | |
Bild: Bei den Jugendlichen dank Tiktok ein Superstar: AfDler Maximilian Krah be… | |
## Eisenhüttenstadt | |
Über die Straße der Republik ist Darius, 21, auf dem Weg zu seinen | |
Freunden. Eisenhüttenstadt ist sein Zuhause. Beim Stahlwerk hat er seine | |
Ausbildung zum Schlosser gemacht, jetzt arbeitet er hier. Auf jeden Fall | |
will er Blau wählen, sagt der junge Mann mit Hoodie und Kopfhörern. Viele | |
beim EKO, wie das ehemalige Eisenhüttenkombinat Ost in der Stadt noch immer | |
genannt wird, wählten die AfD. | |
„Im Vergleich zu den anderen Parteien kannst du ja nur die wählen. Grün und | |
Rot haben das Land in den letzten vier Jahren komplett an die Wand | |
gefahren. Ich arbeite hier in der Schwerindustrie. Der Industriestrompreis, | |
den kannst du nicht bezahlen. Allgemein Strom. So was wie Russland | |
verurteilen und dann Israel unterstützen, das macht auch keinen Sinn. Das | |
Wahlprogramm von der AfD finde ich da überzeugender. Und man sollte jedem | |
[1][Mal ’ne Chance geben].“ | |
Viele Jugendliche und junge Erwachsene denken so wie Darius. Bei den | |
Landtagswahlen in Thüringen wählten 38 Prozent der [2][unter 25-Jährigen | |
die AfD], vor fünf Jahren waren es noch 22 Prozent. In Sachsen kam die AfD | |
bei den Jungen auf 31 Prozent. Die Altersgruppe wählte damit etwas häufiger | |
AfD als die gesamte Bevölkerung. | |
Die Landtagswahlen bestätigen damit einen Trend, den Forschende seit | |
mehreren Jahren ausmachen: Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene | |
wählen rechtsextrem oder [3][haben vor, es zu tun]. So war es jüngst bei | |
der Europawahl, und das zeigte auch die im April veröffentlichte Studie | |
[4][„Jugend in Deutschland“]. Demnach würden 22 Prozent der 14- bis | |
29-Jährigen, die wählen wollen und sich für eine Partei entschieden haben, | |
der AfD ihre Stimme geben. | |
## Forst | |
Ein paar Kilometer südlich von Forst packt Anton seine Angelausrüstung | |
zusammen. „War nicht so erfolgreich heute“, sagt der 15-Jährige in | |
orangefarbener Signaljacke. „Wir haben leider nichts gefangen.“ An guten | |
Tagen angeln Anton und seine Freunde vor den Toren der Stadt, wo das Wasser | |
der Neiße gestaut ist, Hecht und Zander. In Forst, wo Fabrikgebäude | |
verfallen und Bäume auf den Balkonen von unbewohnten Villen wachsen, geht | |
er zur Schule. | |
„[5][Bei den U16-Wahlen] an unserer Schule haben 58 Prozent für die AfD | |
gestimmt. Ich habe gehört, dass viele das aus Spaß gemacht haben sollen, es | |
hat ja keinen Effekt. Viele sind auch genervt von solchen | |
Vielfalt-Projekten, die wir jetzt machen sollen. Zum Beispiel sollten wir | |
in T-Shirts mit unterschiedlichen Farben einen Regenbogen nachstellen. Ich | |
glaube auch, dass viele junge Leute von der Bildungspolitik frustriert | |
sind. Bei uns am Gymnasium geht es noch, aber an anderen Schulen hier in | |
der Gegend ist die Ausstattung richtig schlecht. Aber da ist es meiner | |
Meinung nach auch keine Lösung, die AfD zu wählen. | |
Es gibt hier in der Gegend schon viele extreme Leute. Im Angelverein zum | |
Beispiel hab ich schon Hakenkreuze an den Wänden gesehen. Parteien wie CDU | |
und SPD werden da eher für Lügner gehalten. Und es ist teils auch so, dass | |
diese Gedanken von der älteren Generation auf die jüngere Generation | |
übertragen werden. Zumindest sehe ich das so bei Leuten um mich herum.“ | |
Es gibt mehrere Ansätze, um das Wahlverhalten der Jugendlichen zu erklären, | |
sagt Ina Weigelt, die am Deutschen Jugendinstitut unter anderem zu | |
politischen Einstellungen von jungen Menschen forscht. „Eine These ist, | |
dass die Erstwähler die Kinder derer sind, die in der | |
Rechtsextremismuswelle der 90er Jahre politisch geprägt wurden.“ | |
In den sogenannten Baseballschlägerjahren hatten Rechtsextreme vielerorts | |
das Sagen und machten Jagd auf alternative Jugendliche und Migrant*innen. | |
Nun räche sich, dass die Jahre nie richtig aufgearbeitet wurden. „Ein | |
Negativbeispiel dafür, wie politische Orientierungen weitergegeben werden“, | |
nennt Soziologin Weigelt, was Anton beobachtet. Hinzu komme, dass die AfD | |
es besser als alle anderen Parteien verstehe, Jugendliche [6][auf Tiktok | |
mit ihren Angeboten zu erreichen]. | |
## Neuzelle | |
Lena, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, arbeitet in | |
der Küche einer Gaststätte in Neuzelle. Über dem kleinen Ort thront eine | |
barocke Klosteranlage, sie bringt Tourismus ins Dorf. Es gibt eine | |
Brauerei, mehrere Cafés und ein Kosmetikstudio. Doch viele von Lenas | |
Freund*innen sind längst aus Neuzelle weggegangen. | |
„In meinem Alter sagen viele: Ich will hier nicht wohnen. Sobald ich mit | |
der Schule fertig bin, gehe ich weg. Hier in Neuzelle geht es noch, aber in | |
den Dörfern drum herum, wo ich wohne, machen die Geschäfte eher zu als auf. | |
Es gibt zwar noch ein Schwimmbad, aber da willst du auch nicht jeden Tag | |
hin. Irgendwann fragst du dich: Warum bin ich eigentlich noch hier? | |
Viele meiner Kollegen in der Küche gehen bald in Ruhestand. Wie sie dann | |
die Miete bezahlen sollen, wissen sie noch nicht. Die Arbeit in der Küche | |
ist körperlich schwer, da kann man nicht einfach noch ein paar Jahre | |
dranhängen. Als ich noch in der Schule war, ist mal der Bürgermeister zu | |
Besuch gekommen und hat mit uns geredet. Geändert hat sich danach nichts. | |
Man hat hier das Gefühl, dass die Politik nichts für uns tut und man nicht | |
wirklich mitbestimmen kann, selbst wenn man wählen geht. Die machen am Ende | |
eh nur, was sie persönlich wichtig finden. Ich vertraue der AfD nicht | |
wirklich. Ich denke, die wollen eher andere Dinge umsetzen, die sie jetzt | |
nicht zugeben. Aber die anderen Parteien halten auch nicht, was sie | |
versprechen.“ | |
Lena, 21, will bei der Landtagswahl für die AfD stimmen – oder sich | |
enthalten. | |
Für fast alle Landkreise an der Grenze zu Polen werden sinkende | |
Bevölkerungszahlen bis 2045 prognostiziert – im Landkreis Spree-Neiße, zu | |
dem auch Forst gehört, sind es in etwa minus 20 Prozent. Im | |
deutschlandweiten Vergleich sind die mittleren Einkommen in der Grenzregion | |
unterdurchschnittlich – so auch im Landkreis Oder-Spree, wo Neuzelle liegt. | |
„Wenn ich als Jugendliche in einer brandenburgischen Kleinstadt sitzen | |
würde, hätte ich wahrscheinlich auch dieses Gefühl, dass für alle was | |
gemacht wird, außer für uns“, sagt Forscherin Weigelt. Die Krisen der | |
vergangenen Jahre könnten ein weiterer Ansatz sein, um das Wahlverhalten zu | |
erklären: „Viele haben nach der Pandemie Sorgen vor der eigenen Zukunft | |
entwickelt, oft verbunden mit einem Vertrauensverlust in politische | |
Institutionen.“ In dieser als unsicher wahrgenommenen Situation entschieden | |
sie sich häufiger gegen progressive Parteien, „übrigens auch verstärkt für | |
die CDU“. | |
Ob die Zukunftssorgen der Jugendlichen begründet sind oder nicht, spiele | |
dabei keine Rolle. Auch nicht, dass die AfD „keine besseren Antworten“ für | |
die [7][strukturschwachen Regionen] hat. Solange die Jugendlichen die Krise | |
subjektiv wahrnähmen, kann der Trend weitergehen, so Weigelt. „Wenn die | |
einzigen Angebote für Jugendliche, die vermeintlich gemacht werden, von der | |
AfD kommen, ist das sehr gefährlich.“ Es brauche „echte | |
Beteiligungsformate, also keine fiktiven Planspiele und auch keine | |
gespielten Jugendparlamente, die am Ende doch nichts entscheiden dürfen“. | |
Weigelt ist dennoch optimistisch, dass sich der Pro-AfD-Trend unter den | |
jungen Menschen [8][umkehren kann], wenn anstatt Migration wieder Themen | |
wie der Klimaschutz ins Zentrum der politischen Debatte rücken. Die jungen | |
Menschen seien noch nicht so stark an Parteien gebunden. Außerdem entschied | |
sich der Großteil der Jugendlichen auch bei den Wahlen in Thüringen und | |
Sachsen für demokratische Parteien. | |
21 Sep 2024 | |
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[1] /Moegliche-AfD-Regierung-in-Thueringen/!6032580 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Schindler | |
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