# taz.de -- Vor der Wahl in Brandenburg: „Wir sind keine Politprofis“ | |
> Die Listenvereinigung Plus Brandenburg will mit Pragmatismus und | |
> Bürgernähe bei den Wahlen punkten. Ein Gespräch über Probleme und | |
> „frische“ Politik. | |
Bild: V. l. n. r. Thomas Bennühr, André Preylowski und Thomas Löb in Potsdam… | |
taz: Herr Löb, Herr Bennühr, Herr Preylowski, Ihre Parteien haben sich für | |
die Brandenburg-Wahl zur Listenvereinigung Plus Brandenburg | |
zusammengeschlossen, um die 5-Prozent-Hürde zu knacken. Für wie realistisch | |
halten Sie das? | |
André Preylowski: Bei der Europawahl haben wir allein mit Volt in Oberhavel | |
zum Beispiel 2 Prozent geholt, in Potsdam 5,3. Da ist es relativ | |
realistisch, mit der Liste 6 bis 7 Prozent zu holen. | |
Thomas Bennühr: Es gibt ja immer 30 bis 40 Prozent Wähler*innen, die bis | |
zum Schluss nicht genau wissen, wem sie ihre Stimme geben sollen. Die | |
Hoffnung ist, dass viele von den Unentschlossenen oder jenen, die im Moment | |
noch aus Protest ganz links oder ganz rechts wählen wollen, erkennen, dass | |
die einen – BSW – gar kein Programm haben und die anderen – AfD – ein | |
Programm, das eine soziale Katastrophe ist. Und dass Plus Brandenburg gute | |
Lösungsansätze für viele Probleme hat. | |
Thomas Löb: Der Vorteil an unserem Zusammenschluss ist auch, dass wir uns | |
räumlich ergänzen. Meine Partei ÖPD kommt vor allem aus Oder-Spree, Erkner, | |
Müllrose, Grünheide, aber auch aus Potsdam-Mittelmark. Volt ist gut | |
aufgestellt in Potsdam, Luckau, Spreewald, Cottbus und Oberhavel – und die | |
Piraten in Oberhavel und der Prignitz. | |
taz: Was sind die wichtigsten Probleme in Brandenburg? | |
Bennühr: Was die Menschen wirklich bewegt, ist nicht das, worüber die große | |
Politik die ganze Zeit redet, vor allem Migration und Flüchtlinge. Wichtig | |
für die Menschen ist: Bildung, Wohnen, öffentlicher Nahverkehr – und | |
Demokratie. Die Leute wollen beteiligt werden an Entscheidungen. Aber nicht | |
so wie in Grünheide, wo man eine Bürgerbefragung zu Tesla macht – und am | |
Ende entscheidet die Politik doch anders. Wichtig ist auch Umwelt, | |
Wirtschaftsförderung, Bürokratieabbau. | |
taz: Den wollen ja alle! | |
Bennühr: Ja, aber die anderen sagen nicht, wie. Man kann natürlich eine | |
Expertenrunde im Ministerium machen, aber da wird nichts bei rauskommen. | |
Man muss in die Betriebe gehen, zu den Handwerkern, den bäuerlichen | |
Betrieben und sie fragen, wo habt ihr ein Problem mit eurer Bürokratie. Wir | |
wollen die Leute anhören und gemeinsam Lösungen entwickeln. | |
taz: Nehmen wir das Thema Wohnungsnot. Wie würden Sie das angehen? | |
Löb: Das Land muss mehr öffentlichen Wohnungsbau fördern. In Potsdam etwa | |
kann man sich ja mit einem normalen Beruf keine Wohnung mehr leisten. Auch | |
durch bestimmte große Industrieansiedlungen, die man so ein bisschen | |
ungeplant ins Land reingeholt hat … | |
taz: Stichwort Grünheide | |
Löb: … Ja, zum Beispiel. Aber auch in Brandenburg an der Havel sollen | |
riesengroße Gewerbegebiete entstehen, übrigens zumeist auf Waldflächen. All | |
die neuen Beschäftigten müssen wohnen, dadurch steigen die Bodenpreise, die | |
Mieten. Oder in Senftenberg: Da gibt es ein großes Klinikum, aber zu wenig | |
Ärzte. Wie kriegt man sie da hin? Man braucht Wohnungen, aber auch Schulen, | |
Infrastruktur, Kultur. | |
Bennühr: Das Problem ist: Kommunaler Wohnungsbau kostet Millionen. Und wir | |
sehen es als Aufgabe des Landes, das zu finanzieren – entweder über die | |
Landesbank oder über andere Fördermöglichkeiten, etwa langfristige Kredite | |
mit 30 bis 50 Jahren Laufzeit. Die Kommunen oder die Genossenschaften | |
können die Kredite nehmen, bauen und günstig Wohnung anbieten. | |
taz: Mehr sozialen Wohnungsbau fordert auch die Linke. Warum sollte ich | |
dafür Plus wählen? | |
Bennühr: Die Linke ist ja schon sehr lange in Brandenburg unterwegs, und | |
die sozialen Errungenschaften in diesem Bereich sind, ich sage mal, | |
übersichtlich. Wenn wir ins Parlament kommen, können wir denjenigen, die | |
eine Regierung bilden wollen, sagen: Mit uns gerne, aber unter folgenden | |
Bedingungen. Und das wird dann durchgezogen! Wir koalieren nicht um jeden | |
Preis, denn wir wollen keine Posten, wir machen das nicht für unsere Partei | |
– wir machen das für Brandenburg. | |
taz: Herr Preylowski, wenn ich liberal denke, warum sollte ich Plus wählen | |
und nicht FDP? | |
Preylowski: Die Frage ist vielleicht eher, wie liberal ist die FDP heute | |
noch. Für uns schließen sich links und liberal auch nicht aus. Wenn wir uns | |
um die Bevölkerung kümmern wollen und jedem die Chance geben wollen, gut in | |
diesem Land zu leben, dann gehört Wohnungsbau einfach dazu. Bezahlbare | |
Mieten gehören dazu und ein gewisser sozialer Standard. Was uns „voltiger“ | |
macht, ist, dass wir die Sache europäisch betrachten. Wir glauben nicht, | |
dass man Probleme alleine in Brandenburg oder in Deutschland lösen kann. | |
Wenn wir zum Beispiel an der Wasserversorgung in Brandenburg etwas ändern | |
wollen, dann müssen wir wissen, was in Polen passiert. | |
taz: Herr Löb, wenn mir Naturschutz wichtig ist, warum sollte ich Plus | |
wählen und nicht die Grünen? | |
Löb: Erstens ist die ÖDP nicht nur eine ökologische Partei, auch das | |
Soziale wird bei uns groß geschrieben. Zudem sind die Grünen schon lange | |
nicht mehr richtig grün. Sie gehen mehr auf Umwelttechnik, Solarparks, | |
Windräder – und meinen, dass das die Lösung ist. Für diese Ideologie werden | |
Landschaftsschutzgebiete aufgegeben, obwohl man um jeden Baum kämpfen | |
müsste. | |
Bennühr: Die Grünen waren zu ihren Anfängen eine große Protestbewegung. | |
Aber mittlerweile sind sie sehr professionalisiert. Wir als Plus | |
Brandenburg sind keine Politprofis, wir sind sehr, sehr frisch. | |
Wahrscheinlich, wenn es uns länger geben sollte, werden wir auch verkrusten | |
wie die etablierten Parteien – dann brauchen wir wieder neue Parteien mit | |
frischen Ideen. | |
taz: Frisch heißt was? | |
Bennühr: An der Sache orientiert, nicht am Machterhalt. | |
taz: Kommen wir auf Grünheide und Tesla zurück: Wie würden Sie den | |
Widerspruch zwischen Umweltschutz und Industrieansiedlung auflösen? | |
Löb: Wenn ich als Regierung irgendwo eine Firma ansiedle oder fördere, dann | |
muss ich einen langfristigen Plan haben. Wie lange kommen da Leute zum | |
Arbeiten hin, wo können sie wohnen, wie ist die Infrastruktur? Man muss es | |
nachhaltig machen. Deswegen ist es auch wichtiger, Firmen zu unterstützen – | |
egal ob klein oder groß oder ganz groß –, die mit dem Standort verwurzelt | |
sind und wirklich ein Interesse an Brandenburg haben. | |
Preylowski: Wir möchten, dass Brandenburg ein Industrieland bleibt, aber | |
mit Verstand. Es gibt genug Großprojekte, die gescheitert sind wie die | |
Cargolifter-Halle, wo mal Luftschiffe gebaut werden sollten. Heute ist da | |
das Schiwmmbad Tropical Islands. Darum möchten wir auch mehr Transparenz – | |
und die Einbeziehung der Bürger. Es darf sich nicht alles an irgendeinem | |
Konzerninteresse ausrichten. | |
taz: Ein Thema, das nicht in Ihrem Kurzprogramm vorkommt, ist Migration. | |
Haben Sie dazu nichts zu sagen? | |
Bennühr: Wir haben bei dem Thema einen sehr einfachen Lösungsansatz. Es | |
wird gesagt, „die Flüchtlinge“ liegen dem Staat auf der Tasche, sie kriegen | |
alle Sozialleistungen. Aber warum ist das so? Weil sie nicht arbeiten | |
dürfen! In den großen Flüchtlingsheimen in Brandenburg sitzen so viele | |
Menschen, die gezwungen sind, Däumchen zu drehen. Andererseits brauchen wir | |
in vielen Bereichen Arbeitskräfte. | |
Löb: Bei den Ukrainern gibt es massenhaft Hochqualifizierte, die nicht | |
arbeiten dürfen, weil ihre Ausbildungen nicht anerkannt sind. Es gibt 3.000 | |
Ärzte, die gezwungenermaßen untätig zu Hause sitzen, weil die Behörden aus | |
Personalmangel nicht hinterherkommen. Das ist ein Armutszeugnis! | |
taz: Das Gerede über Migration ist also eine Scheindebatte? | |
Preylowski: Wenn die Leute hierher kommen und neun Monate in irgendeiner | |
Unterkunft sitzen, keine Chance bekommen, Deutsch zu lernen, und wenn das | |
Heim am Rande eines Ortes liegt, wo nicht einmal der Bus hinfährt, dann | |
geben wir die Leute schon auf, sobald sie hier ankommen. Dabei haben wir | |
genug Arbeit. Wenn wir sie hierüber integrieren, dann fühlen sie sich bald | |
als Teil der Gesellschaft. | |
taz: Das klingt schön und gut, aber wie wollen Sie das anstellen? | |
Löb: In Bayern zum Beispiel gibt es eine Kommune, da bekommt jeder | |
Flüchtling einen Paten aus dem Dorf, der ihm erklärt, wie hier alles läuft: | |
wie man die Wäsche aufhängt zum Beispiel. Und jeder Flüchtling bekommt | |
gleich einen Job. Das ist natürlich Arbeit. Aber wenn man davor | |
zurückweicht, kommen die AfD und die anderen schlimmen Parteien und greifen | |
das auf – und machen es noch größer. | |
taz: Was ist mit dem BSW? Warum ist das so erfolgreich? | |
Bennühr: Ja, warum identifizieren sich Leute mit einer Frau, die die DDR | |
bis zur Wende für das tollste System überhaupt hielt und heute in einer | |
schicken Villa lebt? Ihr Bündnis hat nicht einmal ein Programm für | |
Brandenburg! Ich kann mir den Erfolg nur mit Protest erklären: Die anderen | |
Parteien haben es nicht geschafft, jetzt wählen wir einfach andere, ob AfD | |
oder BSW ist egal. | |
Preylowski: Meine Mutter war früher in der SED, jetzt ist sie ein großer | |
Anhänger vom BSW. Aber sie schickt mir manchmal auch Nachrichten von der | |
AfD. Ich denke, viele ältere Leute können gar nicht mehr unterscheiden | |
zwischen diesen Partien, da ist einfach nur die Idee, aus Protest irgendwas | |
zu wählen. Und weil man einer DDR hinterhertrauert, in der viele Sachen | |
viel leichter zu verstehen waren und sie viel weniger Probleme hatten. Zum | |
Glück denkt nicht jeder so. Ich habe viele ältere Leute gesprochen, die | |
sehr reflektiert waren und im Gegenteil sagen: Wir wollen nichts | |
wiederauferstehen lassen, wir wollen an der Demokratie festhalten. | |
18 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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