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# taz.de -- Wahlkampf der Kleinparteien: Bloß nicht unter die Räder kommen
> Die vorgezogene Bundestagswahl stellt die Klein- und Kleinstparteien vor
> Probleme. Wie gehen sie damit um?
Bild: Immer auf die Kleinen: Die Tierschutzpartei und andere haben es schwer
Berlin taz | Mehr noch als für große ist die vorgezogene Bundestagswahl für
kleine Parteien ein Kraftakt. Sie müssen nicht nur den Wahlkampf stemmen,
sondern kämpfen auch mit formalen Hürden – und das nun auch noch gegen die
Zeit. Doch wer sind diese Parteien eigentlich? Und wie wichtig sind sie für
unsere Demokratie?
Rund jede:r Zwölfte wählte bei der letzten Bundestagswahl „Sonstige“. Das
sind jene 43 Parteien, die weder die Fünf-Prozent-Hürde schafften, noch
durch Direktmandate oder die Ausnahmeregelung für nationale
Minderheitenparteien in den Bundestag eingezogen sind.
Parteienforscher:innen unterscheiden zwischen Klein- und
Kleinstparteien.
Als Kleinparteien bezeichnen sie jene, die über die regionale Ebene hinaus
parlamentarisch vertreten sind – also zum Beispiel in Landesparlamenten
sitzen. Dazu gehören etwa die Freien Wähler in Bayern und Rheinland-Pfalz,
ebenso Die Partei, die Tierschutzpartei, die ÖDP oder Volt, [1][die im
Europaparlament sitzen]. Kleinstparteien sind nicht parlamentarisch
vertreten. Für sie ist der Stimmenanteil allerdings umso relevanter. Wenn
sie 0,5 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl oder ein Prozent bei
Landtagswahlen erreichen, profitieren sie nämlich von der staatlichen
Parteienfinanzierung.
Macht haben die Kleinsten im Parteiensystem keine oder nur sehr wenig. „Sie
sind ein Auffangbecken“, sagt der Politikwissenschaftler Hendrik Träger,
Parteienforscher an der Uni Leipzig. Ihre Rolle sei es, Wähler:innen
aufzufangen, die sich bei anderen nicht ausreichend vertreten fühlten. Das
würde wiederum etablierteren Parteien anzeigen, bei welchen Themen
Versäumnisse oder Potenziale lägen.
## Verlängerte Unterschriftenfrist
Wenn sie nicht bereits mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder
in einem Landtag sitzen, brauchen kleine Parteien [2][Unterschriften, um
mit ihren Landeslisten zur Wahl zugelassen zu werden]. Mindestens 0,1
Prozent der Wahlberechtigten eines Bundeslandes müssen unterschreiben. Das
können bis zu 2.000 Unterschriften pro Land sein, rund 27.000 sind es
bundesweit. Üblicherweise müssen diese bis 69 Tage vor der Wahl eingereicht
werden. Bei einer Wahl am 23. Februar wäre das der 16. Dezember.
Doch Mitglieder versammeln, Listen aufstellen, Orte für Wahlparteitage
anmieten und auch noch vor den Feiertagen Unterschriften sammeln? Für
Ehrenamtliche, die mit wenig Geld und ohne institutionalisierte
Parteistrukturen arbeiten, ist das kaum umsetzbar. Per Rechtsverordnung
verkürzte Innenministerin Nancy Faeser deshalb die Unterschriftenfrist auf
34 Tage. Der neue Stichtag ist nun der 20. Januar.
Die Herausforderungen bleiben groß. „Viele mussten ihren Zeitplan erheblich
anpassen“, so Politikwissenschaftler Träger. Auch die finanziellen Hürden
seien immens: „Für eine kleine Partei kann es ein K.O.-Kriterium sein, wenn
ein Veranstaltungsort in der Vorweihnachtszeit 12.000 statt 8.000 Euro
kosten würde.“
Wie geht es nun weiter für die Kleinen? Die taz hat sie gefragt.
Exemplarisch kommen fünf von ihnen mit ihren Problemen und Forderungen zu
Wort: die sich progressiv verstehenden Parteien Volt und Piraten, die
Tierschutzpartei, die ökologisch-konservative ÖDP und die Freien Wähler von
Spitzenkandidat Hubert Aiwanger.
Die Piraten haben etwa 5.000 Mitglieder. Im Mai 2012 waren es noch knapp
35.000, damit waren die Piraten lange Zeit die größte nicht im Bundestag
vertretene Partei. Weil sie heute auch in keinem Landesparlament mehr
sitzen, sind sie auf Unterschriften angewiesen. Ihr Bundesvorsitzender
Borys Sobieski sagt:
„Aktuell erfüllen wir die Voraussetzungen für die Kandidatur zur
Bundestagswahl nicht. Die Piratenpartei muss insgesamt fast 27.000
Unterschriften sammeln. In einem offenen Brief fordern wir gemeinsam mit
fünf anderen Kleinparteien wie den Humanisten dazu auf, die Quoten für
Unterschriften zu senken und digitale Signaturen zu ermöglichen. Vor allem
wollen wir der Bevölkerung damit klarmachen, dass wir sie brauchen. Als
Kleinpartei mit hohen Hürden bei der Teilnahme fühlen wir uns ins Abseits
gestellt.
Wir haben dieses Jahr schon bewiesen, dass wir den Rückhalt aus der
Bevölkerung haben. Bereits für die Europawahl haben wir Unterschriften
eingereicht. Das heißt, wir sammeln nun seit fast zwei Jahren
Unterschriften. Wir müssen da jetzt durch.
Wir wollen mindestens wieder so viele Stimmen wie bei der letzten
Bundestagswahl erreichen: 0,4 Prozent. Aber ab 0,5 Prozent gäbe es wieder
Parteifinanzierung, die wir momentan nicht haben. Das Geld fehlt, etwa beim
Plakatieren. Unser Wahlkampf, das sind dieses Mal die Unterschriften.“
Die 2018 gegründete paneuropäische Partei Volt erreichte bei der
vergangenen Bundestagswahl 0,4 Prozent. Dank 2,6 Prozent
Wähler:innenstimmen bei der diesjährigen EU-Wahl zog Volt mit drei
Sitzen ins EU-Parlament ein. Maral Koohestanian, Parteimitglied aus
Wiesbaden, sagt:
„Da Volt schnell viele Menschen mobilisieren kann, wird die
Unterschriftenlogistik keine große Hürde darstellen. Das geht aber nicht
allen Parteien so, viele werden daran scheitern. Genauso werden auch viele
intendierte Stimmen an Kleinparteien verloren gehen, weil diese nicht
antreten können. Gerade durch das Wahlergebnis bei der Europawahl, bei der
Volt neun Prozent der jungen Wähler*innen unter 30 überzeugt hat, sehen
wir eine große Verantwortung, auch bei der Bundestagswahl die Stimme der
jungen Generation zu vertreten.“
Die ÖDP hat beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag eingereicht, in
dem sie eine Lockerung der Unterschriftenpflichten für Kleinparteien
fordert. Das könnte die Chancen aller Kleinparteien für die vorgezogene
Bundestagswahl verbessern. Björn Benken, Stellvertretender
Landesvorsitzender der Berliner ÖDP, sagt:
„Im Mai 2023 wurde das Bundeswahlgesetz verabschiedet, um zum Beispiel
Überhangmandate zu vermeiden. Unsere eingereichte Klage gegen die hohen
Hürden für Kleinparteien ist die einzige von allen Klagen gegen das
Bundeswahlgesetz, die bis heute noch nicht entschieden worden ist. Wir
wollen, dass die Quoren für die Unterschriften abgesenkt werden. Sie müssen
proportionaler sein: Zum Beispiel reichen bei der Europawahl 4.000
Unterschriften, um bundesweit anzutreten, aber für die Bundestagswahl
braucht man in der Summe fast 27.000 Unterschriften.
Der Gesetzgeber muss das jetzt rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht
beabsichtigt, zeitnah eine Entscheidung zu treffen. Sie seien sich der
Dringlichkeit des Verfahrens bewusst.
Wir hoffen, dass es in den nächsten ein bis zwei Wochen zu einem Urteil
kommt und dass die Unterschriftenquoren dann vielleicht sogar auf ein
Viertel der 27.000 reduziert werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass
die Klage vollständig abgewiesen wird. Dann hätte das Gericht bereits
anders reagiert.“
Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz hat nach eigenen Angaben bundesweit
rund 2.400 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte sie nach den
Freien Wählern mit 1,5 Prozent die zweitmeisten Stimmen aller
Kleinparteien, bei der EU-Wahl kam sie auf 1,4 Prozent und holte einen
Parlamentssitz. Ihr Bundespressesprecher Marcel Krohn sagt:
„Der Wahlkampf wird dünn ausfallen. Es gibt viele Menschen aus der
Tierrechtsszene, die uns wählen, aber nicht selbst kandidieren wollen.
Viele von uns müssen sich nun von ihrem Job freinehmen, um Stimmen zu
sammeln. Derzeit haben wir über fünfzig Prozent der benötigten
Unterschriften beisammen.
Es gibt aber eine ganze Reihe von Landesverbänden, die auf der Kippe
stehen. Da würde uns die Senkung der Unterschriftenzahl sehr helfen. Manche
Kleinparteien engagieren professionelle Firmen für die Sammlung der
Signaturen. Das ist bei uns leider nicht so. Wir sind eine ziemlich arme
Partei.
Weil wir bei der letzten Bundestagswahl genug Stimmen bekommen haben,
werden wir theoretisch staatlich gefördert. Aber wir können das Geld nicht
voll ausschöpfen. Die Parteiförderung darf nicht höher sein als das, was
die Parteien selbst einnehmen.“
Die Freien Wähler holten bei der Bundestagswahl 2021 mit 2,4 Prozent das
stärkste Ergebnis aller Kleinparteien, bei der EU-Wahl waren es 2,7
Prozent. In Bayern stellen sie vier Minister:innen in der
Landesregierung. Ihr Generalsekretär Gregor Voht sagt:
„Da wir in Bayern und Rheinland-Pfalz in Landesparlamenten vertreten sind,
fällt das Unterschriftensammeln für uns weg. Wir können also direkt in den
Bundestagswahlkampf starten.
Wir werden in allen 16 Bundesländern eine Landesliste aufstellen. Wir haben
Kandidaten platziert, die das Zeug haben, die Direktmandate zu gewinnen,
darunter etwa Hubert Aiwanger. Die Klage der ÖDP vor dem
Bundesverfassungsgericht für die Herabsenkung der Unterschriftenzahlen wird
durchgehen, denn sie ist berechtigt. Damit werden die Unterschriftenquoten
für die Kleinparteien voraussichtlich abgesenkt. Das ist im Sinne der
demokratischen Beteiligung.
Wir scheuen den Wettbewerb nicht. Man kann Friedrich Merz nicht
alleinlassen. Wir wollen in Berlin Regierungsverantwortung übernehmen, so
wie wir es in Bayern schon tun.“
30 Nov 2024
## LINKS
[1] /Kleinparteien-bei-der-Europawahl/!6013343
[2] /Neuwahl-in-Deutschland/!6045536
## AUTOREN
Stella Lueneberg
Amelie Sittenauer
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