Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die AfD auf Tiktok: Eine Plattform für Populisten?
> Die AfD ist auf TikTok besonders erfolgreich. Aber es gibt auch
> Contentcreator:innen, die dagegen kämpfen.
Bild: Tiktoks Rolle bei der Verbreitung von Falschinformationen und extremistis…
Echte Männer sind rechts, echte Männer sind Patrioten“, sagt Maximilian
Krah lässig in die Kamera. „Echte Männer wählen AfD.“ Nach knapp 20
Sekunden endet eines der wohl [1][meistdiskutierten Tiktok-Videos des
bisherigen Jahres]. Millionen von Views und Tausende Likes und Kommentare
bekam der EU-Spitzenkandidat der AfD für den Clip, in dem er seiner
Followerschaft Datingtipps spendierte.
Auch wenn Krah mittlerweile nur noch einige Zehntausend Views pro Video
bekommt, bleiben rechte und rechtsextreme Parteien, Politiker:innen
und Contentproducer:innen auf TikTok extrem reichweitenstark, während
viele demokratische Akteure nur mäßigen Erfolg haben. Ein Trend, der seit
den Wahlerfolgen der AfD in Ostdeutschland heiß diskutiert wird.
„Große Reichweite erlangt man auf TikTok auch durch Aufreger“, sagt Niko
Kappe. „Populistische Inhalte klicken da natürlich wahnsinnig gut.“ Der
39-Jährige ist Journalist und Lehrer und bezeichnet sich selbst als einen
der „dienstältesten TikToker in Deutschland“. In kurzen Clips entlarvt er
Falschinformationen. Und das mit großem Erfolg: Mehrere Millionen
Menschen schauen seine Videos.
„Der Kampf gegen Populisten ist auf TikTok ein unfairer“, sagt Kappe. Zum
einen, weil die AfD schon deutlich länger als andere Parteien auf TikTok
aktiv sei und verstanden habe, wie der Algorithmus der Plattform
funktioniere: Kurze Clips, eingängige Slogans und die schiere Masse an
Content ließen die Reichweite der AfD auf TikTok steigen. Außerdem habe
sich die AfD eine Gemeinschaft aufgebaut – zu der man sich auf TikTok
schnell zugehörig fühlen könne, wenn blaue Herzen und Schlachtrufe wie „Sei
schlau, wähl blau“ die Timeline der User:innen fluteten, so Kappe.
## Der Vorteil der AfD
Zudem habe sich die AfD jahrelang Netzwerke aufgebaut, die für TikTok
wichtig seien: „Wenn TikTok-Clips in Telegram-Kanälen herumgeschickt und
von Tausenden Nutzer:innen – teilweise auch von Bots – geteilt werden,
hat die AfD einen großen Vorteil gegenüber anderen Parteien“, so Kappe.
Gleichzeitig betont er, TikTok sei nicht die Ursache für Radikalisierung,
vielmehr lägen die Ursachen in fehlenden Investitionen in Infrastruktur,
politische Bildung und Demokratieschutz.
Weltweit hat TikTok mehr als eine Milliarde Nutzer:innen, heißt es auf
taz-Anfrage, allein in Deutschland sind es fast 21 Millionen. Eine
Aufschlüsselung nach Alter will die Plattform nicht preisgeben. Immer
wieder wird über die potenziellen Gefahren von TikTok diskutiert. So steht
der chinesische Mutterkonzern ByteDance im Verdacht, Nutzer:innendaten
an die chinesische Regierung weitergegeben zu haben. In Hongkong sollen
Aktivist:innen über die App verfolgt worden sein.
Der Konzern bestreitet das. „Diese Sicherheitsbedenken sind unangebracht:
TikTok ist nicht in China verfügbar und ByteDance ist ein globales
Unternehmen, das nicht von einer Regierung kontrolliert wird“, heißt es auf
taz-Anfrage.
Auch fehlender Jugendschutz wird von vielen bemängelt. Und TikToks Rolle
bei der Verbreitung von Falschinformationen und extremistischen Inhalten
wird immer wieder kritisiert. Das Argument: Durch die Funktionsweise des
Algorithmus geraten User schnell in einen Strudel aus Populismus und
Falschinformationen.
Dazu sagt das Unternehmen: „TikTok hat zudem Funktionen und Einstellungen
entwickelt, um Jugendliche zu schützen und unter 13-Jährige von der
Plattform fernzuhalten – Herausforderungen, mit denen sich die gesamte
Branche auseinandersetzt.“
## Herze und Hassrede
Konkrete Fragen zu Extremismus auf der Plattform lässt ByteDance
unbeantwortet, stattdessen weist man in einer langen Mail nur allgemein auf
die Richtlinien der Plattform hin und betont, dass Hassrede und
gewaltbereite extremistische Organisationen nicht geduldet würden. Im
ersten Quartal 2024 seien 94,4 Prozent der Inhalte, die gegen die
Richtlinie „Schutz und zivilisierter Umgang“ verstießen, entfernt worden,
bevor sie jemand gemeldet habe, heißt es.
Die US-Regierung stellte dem Unternehmen [2][inzwischen ein Ultimatum]:
Entweder solle ByteDance seine Anteile an TikTok an ein US-amerikanisches
Unternehmen verkaufen, oder aber die Plattform werde in den USA gesperrt.
Könnte ein ähnlicher Schritt in Europa folgen?
„Eine Sperrung ist das letzte Mittel und nur in Fällen schwerwiegender
Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit vorgesehen“, sagt Thomas Regnier,
Pressesprecher der EU-Kommission, der taz. Die Europäische Kommission hat
Anfang 2023 den Digital Services Act (DSA) beschlossen. Der DSA soll in
allen EU-Ländern strenge Regeln für digitale Plattformen gegen illegale
Inhalte, Desinformation und für den Schutz von Minderjährigen geben. Mit
welchem Erfolg, bleibt aber abzuwarten.
Es gibt aber [3][auch eine andere Seite von Tiktok], eine demokratische,
die auf der Plattform aufklären will. Dazu gehört Susanne Siegert. Die
Leipzigerin ist 32 Jahre alt, arbeitet im Marketingbereich und ist nebenbei
auf Tiktok aktiv. Auf ihrem Account keine.erinnerungskultur spricht Siegert
über Naziverbrechen, die Verfolgung griechischer Jüdinnen:Juden, den
Treblinka-Aufstand oder vergessene Widerstandskämpfer:innen.
Hunderttausende Views generiert sie damit.
Emotionen und Algorithmen
„Ich denke, dass Bezugspunkte extrem wichtig sind“, sagt Siegert. So
spricht sie häufig über Filme oder Figuren, die junge Nutzer:innen schon
kennen, und baut ihre Videos darauf auf. „Es gibt Hollywoodfilme über Oskar
Schindler oder Nicholas Winton – wo bleibt der große Film über Helene
Jacobs?“, leitet Siegert etwa ein Video über die Widerstandskämpferin ein.
Mehr als hunderttausend Mal wurde der Clip geklickt. Zudem sei eine
persönliche Färbung vorteilhaft, sagt sie. Denn über Emotionen funktioniere
der Algorithmus. „Jedes Thema lässt sich für eine junge Zielgruppe
aufbereiten – auch ohne zu tanzen.“
Großen Erfolg erzielte auch die Kampagne #ReclaimTikTok. Eine Gruppe von
Klimaaktivist:innen initiierte die Aktion im Rahmen der diesjährigen
Europawahl. Das Ziel: TikTok nicht den Rechten zu überlassen oder zumindest
einen Gegenpol zur scheinbaren AfD-Übermacht auf der Plattform
darzustellen. Mittlerweile wurden Videos unter diesem Hashtag über 190
Millionen Mal angeschaut, an einigen Tagen gelang es der Kampagne, mehr
Views zu generieren als die sonst so überpräsente AfD.
Entscheidend für den Erfolg sei, dass eine große Masse an Videos produziert
worden sei, sagt Magdalena Hess, eine der Initiator:innen der Kampagne.
„Wir haben Quantität teilweise über Qualität gestellt“, so Hess. „Ein
hochwertig produziertes Video von Robert Habeck wird wahrscheinlich nicht
so viele Views bekommen wie viele einfach produzierte und kurze Clips
vieler verschiedener Akteure.“ Und das liege an den Algorithmen, sagt Hess.
Bei aller Kritik an TikTok biete die Plattform auch große Chancen, sind
sich die Contentcreator:innen einig, mit denen die taz sprach. „Auf
TikTok kannst du ohne jegliches Standing Millionen von Views generieren“,
sagt Susanne Siegert aus Leipzig. Nutzer:innen bekämen so die Chance,
auf Themen aufmerksam zu werden, die in klassischen Medien kaum eine Rolle
spielten. „Das hat einen krass demokratisierenden Effekt.“
## Positive Vorbilder
Auch der Lehrer Niko Kappe ist überzeugt: Black-Lives-Matter-Bewegung,
LGBTQIA*-Aktivist:innen und andere soziale Bewegungen bekämen auf der
Plattform eine angemessene Sichtbarkeit, sagt er. „TikTok bietet jungen
Menschen die Möglichkeit, positive Vorbilder zu finden.“ Von einem
generellen TikTok-Verbot hält er nichts: Dadurch würden gesellschaftliche
Probleme nur verschoben, Radikalisierungsprozesse würden weiterhin
stattfinden.
Die Probleme auf TikTok sind dennoch real. „Ich habe in den letzten Monaten
einiges an Mord- und Vergewaltigungsdrohungen bekommen“, erzählt Magdalena
Hess. Auch Susanne Siegert berichtet von massiven Beleidigungen und
Holocaustleugnung. Dazu äußerte sich TikTok auf taz-Anfrage nicht.
Unterstützungsstrukturen seien häufig überlastet, staatliche Hilfe gebe es
kaum, kritisiert Siegert. „Die Bedrohung durch rechte Akteure macht es
schwieriger, auf der Plattform zu bleiben“, sagt sie. Viele
Contentcreator:innen wünschten sich offenbar einen Ausbau von
Unterstützungsstrukturen für demokratische Akteure.
Aber es gibt Lösungen. Um die Verbreitung von Falschinformationen zu
unterbinden, schlägt die Aktivist:in Magdalena Hess vor, dass die
TikTok-Algorithmen Qualitätsmedien als wertvoller denn Videos von
Privatpersonen einstuften, womit ihnen eine größere Reichweite verschafft
würde. Zudem wären bessere Factchecking-Mechanismen essenziell wichtig.
## Politische Bildung sei wichtig
Der Lehrer Niko Kappe wünscht sich auf TikTok vor allem mehr Jugendschutz:
„Ein kuratierter Bereich für Kinder und Jugendliche wäre definitiv
sinnvoll.“ Außerdem sei es wichtig, auf politische Bildung außerhalb von
TikTok zu setzen, Medienerziehung stärker in alle Lebensbereiche zu
integrieren und die Probleme, die außerhalb von TikTok bestünden,
anzupacken.
Wahrscheinlich wird nur eine Kombination verschiedener Maßnahmen helfen,
die Flut an blauen Herzen und Datingtipps von Maximilian Krah zu stoppen.
22 Sep 2024
## LINKS
[1] /AfD-auf-TikTok/!5979204
[2] /US-Plaene-fuer-Tiktok/!6003180
[3] /Aktivismus-auf-Tiktok/!6009302
## AUTOREN
Joscha Frahm
## TAGS
TikTok
Social Media
Schwerpunkt AfD
Jugendschutz
GNS
Desinformation
TikTok
Schwerpunkt AfD
Hurrikan
Schwerpunkt AfD
Erstwähler
Telegram
Schwerpunkt Meta
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verbreitung von Desinformation: Giftmittel der Populisten
Die Scharlatane von heute haben statt dubioser Elixiere simple Antworten
parat. Verunsicherte Menschen fallen dem in Krisenzeiten leichter zum
Opfer.
Studie zu Social Media im Wahlkampf: AfD doch Amateure
Der AfD-Erfolg bei jungen Menschen wurde oft mit TikTok erklärt. Doch ging
die AfD auf Social Media wirklich strategisch vor? Eine Studie stellt das
infrage.
Klage gegen Dennis Hohloch: AfD-Mann darf wohl weiter hetzen
Mit Foto und Namen: Der AfD-Politiker Dennis Hohloch stellt eine Frau an
den Online-Pranger. Unterlassen muss er das wohl nicht, deutet ein Gericht
an.
Unterstützung und Verschwörung: Sturm auf Tiktok
Hurrikan „Milton“ ist verdammt real – aber er prägt auch die Sozialen
Medien. Bei Katastrophen ist Tiktok dabei in den USA zum Treiber geworden.
AfD-Meldeportale an Schulen: Denunziation im Klassenzimmer
Die rechtsextreme AfD stiftet Schüler*innen an, kritische Lehrkräfte zu
denunzieren. Die Regierung unterschätze die Lage, kritisiert die Linke.
Junge Wähler*innen im Osten: „Auf jeden Fall Blau“
Viele junge Menschen wählen die AfD. Drei Gespräche entlang der
deutsch-polnischen Grenze mit jungen Brandenburger*innen vor der
Landtagswahl.
Neonazis im Internet: Rechtsextremer Problemfall Telegram
Der Verfassungsschutz warnt in einer Analyse, wie vielfältig Rechtsextreme
das Internet für sich nutzen. Vor allem Telegram bereitet ihnen Sorge.
Desinformation auf Social Media: Meta sperrt russische Staatsmedien
Der Digitalkonzern verbannt zum Beispiel den Propagandasender RT von seinen
Plattformen wie Instagram und Facebook. Der Rausschmiss gilt weltweit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.