# taz.de -- Rechte Raumnahme: „Dann kannst du das Dorf eigentlich zumachen… | |
> Im sächsischen Niesky steht das Jugendzentrum vor dem Aus. Der | |
> Trägerverein ist pleite. Füllen die rechtsextremen „Schlesischen Jungs“ | |
> die Lücke? | |
Bild: Eingeschränkter Betrieb: Das bedrohte Jugendzentrum in Niesky | |
Niesky taz | Es ist Freitagabend in Niesky, einer sächsischen Kleinstadt | |
mit restaurierten Fachwerkhäusern unweit der polnischen Grenze. Während die | |
Straßen still und verlassen daliegen, erwacht das Jugendzentrum H.O.L.Z. | |
langsam zum Leben. Bunte Lichter flackern über die blauen Wände, es werden | |
Erdnüsse und Flips auf den Tischen verteilt – der wöchentliche Barabend | |
beginnt. „Heute bin wohl ich DJ“, ruft jemand lachend, und schon schallt | |
ein 2000er-Remix aus den Boxen. | |
Was aussieht wie ein ganz normaler Abend in einem Jugendzentrum, ist der | |
verzweifelte Versuch, die Insolvenz des bisher verantwortlichen Jugendrings | |
Oberlausitz aufzufangen. Über drei Jahrzehnte war dieser eine der | |
Anlaufstellen für Jugendarbeit im Landkreis Görlitz, in dem auch Niesky | |
liegt. Im Dezember 2024 kam dann das Aus: Der Jugendring musste Insolvenz | |
anmelden. | |
Mit ihm verschwanden zentrale Strukturen der Jugendarbeit: So beriet und | |
vernetzte der Jugendring 49 freie Träger in der Region, übernahm die | |
politische Vertretung im Jugendhilfeausschuss des Kreistags und schulte | |
neue Jugendleiter*innen. Mit seinem flexiblen Jugendmanagement war der | |
Jugendring im gesamten Landkreis unterwegs und betrieb zudem die beiden | |
offenen Jugendtreffs in den Orten Reichenbach und Niesky. | |
All das fällt nun auf einen Schlag weg. „Wir haben immer an der Kante | |
gearbeitet“, erzählt Jana Lübeck. Die 39-jährige Linken-Politikerin ist die | |
erste Vorständin des als Verein organisierten Jugendrings. Über die Jahre | |
sei dieser in ein finanzielles Defizit gekommen. „Wir haben immer schon im | |
Dezember die Kündigungen ausgesprochen, falls das Geld nicht kommt.“ | |
Dafür macht Jana Lübeck auch politisches Versagen verantwortlich: Immer | |
wieder seien Fördermittel des Landkreises zu spät geflossen, der Verein | |
habe mit finanziellen Rücklagen in Vorkasse gehen müssen. Fehlende | |
Förderzusagen [1][durch die prekäre Haushaltssituation auf Landes- und | |
Kreisebene] hätten dann das Aus des Jugendrings besiegelt. | |
## Wer füllt die leeren Räume? | |
Weil Zeit und Geld beim Jugendring schon lange knapp waren, übernahmen der | |
36-jährige Michael Scheibe und seine Freunde den wöchentlichen Barabend. | |
Die Ehrenamtlichen kommen nicht aus der professionellen Jugendarbeit – sie | |
arbeiten als Hausmeister, Pflegefachkräfte und Laborassistenten. Neben | |
einem wöchentlichen Reparaturcafé ist der Barabend das einzige Angebot, das | |
dem einst täglich geöffneten Jugendzentrum noch Leben einhaucht. Hinter | |
ihrem Engagement steckt aber noch eine weitere Motivation. „Für mich ist | |
das H.O.L.Z. die letzte alternative Anlaufstelle. Wenn die in rechte Hände | |
fällt, kannst du das Dorf hier eigentlich zu machen“, sagt Scheibe. | |
Sorge vor rechter Raumeinnahme hat auch Nieskys Bürgermeisterin Kathrin | |
Uhlemann (parteilos). „Ich liebe meinen Job“, sagt sie. Für ihr Amt ist sie | |
extra nach Niesky gezogen. Während das Rathaus am Freitagabend im Dunkeln | |
liegt, brennt nur in ihrem Büro im ersten Stock noch das Licht. Die Zukunft | |
des Jugendzentrums beschäftigt Uhlemann. Das Gebäude gehört der Stadt, die | |
es bisher dem Jugendring vermietet hat. | |
Von wem und in welcher Form es in Zukunft weiter genutzt wird, ist offen. | |
Uhlemann hat jedoch einen Verdacht, der sie beunruhigt: Die rechtsextreme | |
Kameradschaft „Schlesische Jungs Niesky“ könnte am Gebäude interessiert | |
sein. Laut Verfassungsschutz gehört die Gruppe zur „subkulturell geprägten | |
rechtsextremistischen Szene“. | |
Uhlemann zufolge müssen die „Schlesischen Jungs“ ihr bisheriges Quartier �… | |
ein Nebengebäude des Bahnhofs – bald räumen. Wegen anstehender | |
Sanierungsarbeiten sei ihnen gekündigt worden. Die „Schlesischen Jungs“ | |
haben sich im Sommer regelmäßig auf dem Jugendringgelände zum | |
Volleyballspielen getroffen, berichtet Uhlemann. Das bestätigt auch | |
Jugendring-Vorständin Jana Lübeck. | |
## Kameradschaft im Stadtrat | |
Für die Bürgermeisterin ist klar: Sie möchte das Gebäude weiterhin für die | |
Jugendarbeit vermieten. Was schlussendlich passiert, entscheidet jedoch der | |
Stadtrat – und Uhlemann vermutet nicht bei allen Stadträten Zustimmung für | |
ihre Pläne. Besonders pikant: In dem Gremium [2][sitzt mit Thomas Christgen | |
auch ein Politiker], der laut der Bürgermeisterin selbst zu den | |
„Schlesischen Jungs“ gehört. Bei den Kommunalwahlen 2024 ist Christgen auf | |
der AfD-Liste angetreten. Wie die Sächsische Zeitung berichtet, war er bei | |
der NPD und ist bis heute im rechtsextremen Spektrum aktiv. Zudem bildet | |
die AfD im Nieskyer Stadtrat seit der Kommunalwahl 2024 mit sieben Sitzen | |
die größte Fraktion. | |
Rechtsextreme Gruppierungen wie die „Schlesischen Jungs“ schaffen laut | |
Rechtsextremismus-Forscher Gert Pickel von der Universität Leipzig gerade | |
in strukturschwachen Regionen wie der Oberlausitz einen Ort zum Austausch | |
und der Kameradschaft. Dabei gäben sie sich häufig bürgerlich und nahbar | |
und böten Jugendlichen Halt in einer Region, in der es sonst kaum | |
Alternativen gibt. „Wir reden immer so positiv von Zivilgesellschaft, aber | |
Zivilgesellschaft aufbauen und Fördermittel beantragen, das haben auch die | |
Rechtsextremen gelernt. Das wird in nächster Zeit wahrscheinlich verstärkt | |
passieren“, prognostiziert Gert Pickel. | |
Diese Entwicklung beobachtet auch Bürgermeisterin Uhlemann in Niesky: „Die | |
rechtsextreme Szene ist nach den Baseballschlägerjahren in den Neunzigern | |
erwachsener geworden.“ Das Volleyballspiel der „Schlesischen Jungs“ sei e… | |
Familiennachmittag. Auch bei ihren Rechtsrock-Konzerten seien Kinder und | |
Familienmitglieder dabei. „Das Ganze wird positiv besetzt. Man hat | |
Gleichgesinnte und Gemeinschaft“, sagt Uhlemann. Es sei wieder „in“, rech… | |
zu sein. | |
Wo Strukturen wegbrechen, holt rechts auf | |
Gerade in Ostsachsen [3][erleben Rechtsextreme einen Boom – auch bei | |
Jugendlichen]. Bei der U18-Bundestagswahl 2025 wählten in der Stadt Görlitz | |
43 Prozent die AfD mit ihrer Zweitstimme. Die Aktivistin Dorothea Schneider | |
engagiert sich seit über 20 Jahren beim Verein Augen auf e. V. für die | |
Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Sie beobachtet eine „krasse | |
Radikalisierung“ von Jugendlichen in der Region. „Und trotzdem nehmen wir | |
weiter Angebote weg, die wenigstens noch ein bisschen Prävention | |
ermöglichen könnten“, sagt sie. Angebote wie der Jugendring hätten | |
ausgebaut werden müssen. Stattdessen wurden solche Angebote immer wieder | |
durch Kürzungen und verzögerte Fördermittelvergabe weiter gefährdet. | |
Die Strukturen, die jetzt in der Jugendarbeit wegbrechen, sind nur ein | |
Problem von vielen im Landkreis Görlitz. Laut dem Zukunftsatlas aus dem | |
Jahr 2016 gehört der Landkreis zu den zehn strukturschwächsten | |
Deutschlands. Die Strukturschwäche der Region betont auch Nadine Jukschat, | |
Professorin für Angewandte Soziologie an der Hochschule Zittau/Görlitz. Die | |
Region habe einen der bundesweit niedrigsten Löhne und eine überalterte | |
Bevölkerung durch Abwanderung nach der Wende, so Juschkat. | |
Außerdem gebe es weniger stabile Vereinsstrukturen in der Zivilgesellschaft | |
im Vergleich zu Westdeutschland. Gerade in solchen Gegenden spielten | |
Jugendeinrichtungen eine Schlüsselrolle für politische Bildung und ein | |
demokratisches Grundverständnis, da sie Teilhabe ermöglichen. Doch genau | |
das fehle oft, kritisiert Jukschat. „Partizipationsversprechen, die nicht | |
eingelöst werden, sind der Killer für weiteres Engagement“, sagt sie. | |
Eine Chance für die Jugendarbeit | |
Im H.O.L.Z. füllt sich der Raum langsam. Der nächste Song aus der | |
Marshall-Box ist „Push It“. Die Jugendlichen scharen sich um den | |
Billardtisch, die Erwachsenen um die Theke. Rund ein Dutzend Leute sind da. | |
„Für die Jugend gibt es so gut wie gar nichts hier“, sagt Zamira, 19. Sie | |
ist heute zum ersten Mal hier. | |
Die Ehrenamtlichen wollen kämpfen. Dafür sind einige von ihnen Mitglied im | |
neu gegründeten Verein „Logo-Lausitz e. V. 2.0“. Eine Hürde hat der Verein | |
schon geschafft und sich am 19. März beim Stadtrat vorgestellt. Der Verein | |
möchte Teile des Gebäudes mieten und somit das H.O.L.Z. retten. Die | |
Entscheidung darüber steht für diesen Montag auf der Tagesordnung des | |
Stadtrats. | |
An den Holzsäulen des Jugendzentrums kleben verschiedene Sticker, einer von | |
ihnen trägt die Aufschrift: Keep Calm and Fight Fascism. In einer Region, | |
in der rechte Akteure an Einfluss gewinnen, klingt der Satz trotzig. | |
30 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Julia Kunert | |
Maximilian Renzikowski | |
Naomi Asal | |
Lynn Tausendfreund | |
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