| # taz.de -- Alltag nach dem Fall des Assad-Regimes: Mit Taschenlampen durchs ne… | |
| > In Damaskus herrschen vier Monate nach dem Ende des Regimes weiter etwas | |
| > Angst sowie viel Freude – trotz der schwierigen Versorgungslage und | |
| > Armut. | |
| Bild: Im neuen, befreiten Syrien: Kinder spielen auf den Straßen der Altstadt … | |
| Damaskus taz | In der Altstadt des neuen Damaskus, Hauptstadt des neuen | |
| Syriens, sitzen an diesem Abend nur vereinzelte Gäste im Zwielicht einer | |
| Tanzbar. Grelle Neonlichter erhellen den nackten Stein an den Wänden, der | |
| DJ bewegt konzentriert die Knöpfe am Mischpult, schwankt im Rhythmus des | |
| Elektrobeats. Plötzlich geht das Licht aus, der Sound ist weg – Dunkelheit, | |
| Stille. Kompletter Stromausfall in der gesamten Hauptstadt, dunkle Straßen. | |
| Einige private Stromgeneratoren, oft durch in Wasserflaschen umgefüllten | |
| Treibstoff am Leben gehalten, kämpfen gegen die Dunkelheit an. Auch in der | |
| Bar nehmen sie nach einigen Momenten den Betrieb auf. Es wird wieder hell | |
| und die Musik hallt erneut durch das Gewölbe. | |
| Seit etwa vier Monaten ist das Regime von [1][Ex-Diktator Baschar al-Assad] | |
| Geschichte. Es hatte das Leben Hunderttausender seiner Bürger*innen | |
| durch Folter, außergerichtliche Tötungen, Repression und Kampfhandlungen in | |
| eine Hölle verwandelt. In den vergangenen vier Monate haben Hoffnung wie | |
| Sorge die Syrer*innen erfüllt. Wie lebt es sich nun in diesem „befreiten | |
| Land“, im neuen Syrien? | |
| Die Gesichter vieler Menschen in Damaskus strahlen, wenn sie durch die | |
| Gassen der Altstadt schlendern. Oder wenn sie ihren Kindern Eis oder Pizza | |
| kaufen, mit ihren Freund*innen in Grüppchen vor den antiken Gebäuden des | |
| Viertels laut plaudern. Manchmal sind sie aber auch von Furcht | |
| überschattet: „Wir haben Angst“, sagen einige – Jüngere wie Ältere. Zum | |
| Beispiel eine junge, liberale Frau in einer Bar, der die langen, glatten, | |
| rot gefärbten Haare über die Schultern fallen. Von ihrer Angst flüstern | |
| auch Menschen in den Dörfern rund um Homs, Tartus, Latakia. Was dort | |
| vergangenen Monat passiert ist – [2][die Hunderten zivilen Toten unter | |
| Alawit*innen, aber auch Christ*innen und Sunnit*innen bei den Kämpfen | |
| zwischen Assad-Loyalist*innen und neuer Regierung] –, hängt noch immer in | |
| der Luft. Ebenso die immer wieder vorkommenden Entführungen und Morde im | |
| ganzen Land – durch Unbekannte, Extremisten und Rachsüchtige. Vor allem bei | |
| Angehörigen von Minderheiten und liberalen Menschen mischt sich weiter | |
| große Furcht unter Freude. | |
| Nach dem Sturz von al-Assad hatte am 8. Dezember die ehemalige | |
| islamistische Rebellengruppe, und De-facto-Regierung der nördlichen Provinz | |
| Idlib, [3][Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS)] die Macht übernommen. Inzwischen | |
| soll sich diese formal aufgelöst haben, es gibt eine Übergangsregierung. | |
| Sie besteht aus Mitgliedern der Zivilgesellschaft, Technokraten und | |
| Politikern, die der HTS nahestanden. | |
| In Damaskus sind Checkpoints weiter allgegenwärtig. Auch zu Assad-Zeiten | |
| gab es sie – doch nun stehen sie auch an Orten, an denen vor wenigen | |
| Monaten noch niemand kontrollierte. An den Checkpoints stehen Polizisten | |
| und Militärs, Männern in schwarzem Overall oder Camouflage, mit | |
| Kalaschnikows und Handlampen, um nachts das Innere der Autos auszuleuchten, | |
| die sie durchsuchen. Meist sind sie freundlich. | |
| ## „Zwei Stunden Strom, vier Stunden nichts“ | |
| Das Leben der Menschen dominiert meist sowieso etwas anderes: Die | |
| Infrastruktur in Syrien ist völlig zerrüttet. Vor dem Sturz des Regimes | |
| floss der Strom nur wenige Stunden am Tag – wenn überhaupt. Die neue | |
| Regierung hat versprochen, die maroden Netze schnell wieder aufzubauen. | |
| Doch Strom gibt es derzeit weiterhin nur wenige Stunden am Tag: „Zwei | |
| Stunden Strom, vier Stunden nichts“, sagt ein Barbetreiber in Damaskus. Und | |
| das nicht einmal überall. | |
| In seinem Wohnzimmer inmitten eines christlichen Viertels von Damaskus | |
| sitzt Wissam Joumaa auf dem Sofa, vor ihm eine graue Batterie mit | |
| Elektroden. Joumaa freut sich, denn gerade fließt der Strom in seiner | |
| Wohnung: Der Fernseher ist an, das Zimmer hell beleuchtet. Man kann sich | |
| unterhalten, einander ansehen, ohne die Taschenlampen auf den Handys | |
| einschalten zu müssen. Und die Powerbank, mit der Joumaa sein Handy | |
| auflädt, wenn wieder einmal der Strom ausfällt, bleibt gerade außer | |
| Betrieb. | |
| Nur etwa fünf Stunden Strom am Tag habe er, sagt er. Wann, zu welchen | |
| Uhrzeiten, ist ein Ratespiel und im Vorfeld nicht bekannt. Das sorgt auch | |
| für Überraschungseffekte: wenn man etwa im Aufzug steht oder wenn der | |
| gerade hochgefahrene Computer gleich wieder dunkel wird. Oder wenn man | |
| frisch eingeseift unter der plötzlichen kalten Dusche steht. Denn auch | |
| Wasser wird mit Strom erwärmt und in die Leitungen gepumpt. | |
| Und für unregelmäßigen Zugang zum Internet: Joumaa beugt sich nach hinten | |
| und greift zum Router, der auf dem Kaffeetisch liegt, schaltet ihn ein. | |
| Wenn die Elektrizität mal da ist, muss man sie nutzen: „Heute ist um 19 Uhr | |
| der Strom gekommen. Wir wissen nicht, wann er wieder weg sein wird. | |
| Manchmal schaltet er sich plötzlich um 4 Uhr morgens an“, sagt er etwas | |
| entmutigt. | |
| ## Eine Flasche Gas kostet fast ein Monatsgehalt | |
| Joumaa ist 47 Jahre alt, trägt den Kopf rasiert und eine blau gerahmte | |
| Brille. Er steht auf, geht in die Küche, schaltet die Espressomaschine an. | |
| „Nutzen wir den Strom“, sagt er, „für einen richtigen Espresso.“ Ist k… | |
| Strom da, kocht er mit Gas. Doch auch damit muss man in Syrien derzeit | |
| sparsam umgehen. Eine Flasche alle vier Monate bekomme Joumaa zu ermäßigten | |
| Preisen von staatlicher Stelle. Ist das Gas schneller alle, muss er sich an | |
| Privatanbieter wenden. Um die 18 Euro kostet eine Flasche Gas dann – etwa | |
| zwei Drittel des Monatsgehalts eines normalen Beamten. So arm sind die | |
| Syrer*innen in den vergangenen Jahren geworden. | |
| Leitungswasser werde in seinem Gebäude in einem großen Tank auf dem Dach | |
| gesammelt, sagt er, während die Kaffeemaschine brummt. Er zeigt auf die | |
| Decke der Küche, wo der Putz an mehreren Stellen abblättert. Eine Folge des | |
| Erdbebens im Jahr 2023. Mit der Renovierung wolle er abwarten, bis die Lage | |
| sicherer wird. Früher, als noch Krieg herrschte, hätte eine Bombe das neu | |
| reparierte Dach zerstören können. Und heute? So genau wisse man ja auch | |
| nicht, was komme, sagt er. | |
| Immer wieder gibt es Luftangriffe im neuen Syrien: In einem luxuriösen | |
| Restaurant in der Altstadt, nicht weit von Joumaas Wohnung, servieren | |
| Kellner die Speisen auf Silbertabletts. Einer von ihnen, ein junger Mann, | |
| hält inne, dreht sich um zur Glasfassade: Sie vibriert. Dann klingt die | |
| Vibration ab, er dreht sich wieder um zu seinen Gästen. Eine mögliche | |
| Ursache: Wenige Kilometer entfernt wirft an diesem Abend ein israelisches | |
| Kampfflugzeug eine Bombe ab. Der Angriff gilt einer Forschungseinrichtung | |
| nahe Damaskus. | |
| Solche Angriffe sind beinahe Alltag geworden. Sie richten sich gegen | |
| Infrastruktur der alten – und damit auch der neuen – Armee. Etwa vor | |
| einiger Zeit auf den Militärflughafen in der nördlicher gelegenen Stadt | |
| Hama, dessen Landebahn vollkommen vernichtet wurde. [4][Im Süden rückt | |
| Israels Armee auch über die syrischen Golanhöhen hinaus weiter ins Land | |
| vor.] In der Nähe der Stadt Dara’a starben jüngst etwa bei einem | |
| israelischen Angriff neun Menschen. Das israelische Militär erklärte, es | |
| habe terroristische Infrastruktur zerstören wollen und sei unter Beschuss | |
| geraten. | |
| Mit den Bomben sendet Israel auch eine Botschaft an die Türkei. Denn diese | |
| würde Berichten zufolge gerne einige Militärbasen in Syrien nutzen. Und die | |
| Türkei ist ein Verbündeter der neuen syrischen Regierung – doch seit Beginn | |
| des Kriegs im Gazastreifen im Oktober 2023 ein immer schärferer Kritiker | |
| Israels. | |
| ## Gut 90 Prozent der Menschen leben in Syrien in Armut | |
| Müsste man – etwa nach einem Angriff – ins Krankenhaus, offenbart sich eine | |
| weitere Problemstelle Syriens: das Gesundheitssystem. Um das zu erleben, | |
| muss man nicht in einem Angriff verletzt werden: Fängt man sich etwa durch | |
| unsauberes Leitungswasser oder kontaminiertes Gemüse einen Parasiten ein, | |
| ist der Weg zur Genesung lang, teils unerreichbar. Medizinische Tests und | |
| Medikamente sind nicht überall vorhanden. Und in den privaten Kliniken sind | |
| sie zwar verfügbar – doch teuer. Für Ausländer*innen kostet die | |
| Behandlung nicht viel, um die 30 Euro. Doch für viele Syrer*innen ist | |
| das eine immense Summe. | |
| Die neue Regierung hatte im Januar angekündigt, die Beamtengehälter – | |
| umgerechnet etwa 30 Euro – vervierfachen zu wollen. Doch das ist noch nicht | |
| passiert. Viele Menschen haben zwei, drei Jobs, um sich über Wasser zu | |
| halten. Da ist etwa die Tourismusstudentin, die tagsüber in Hotels und | |
| nachts in Lokalen arbeitet. Oder der Agrarwissenschaftler, der in seiner | |
| Freizeit als Taxifahrer Menschen in seinem alten Auto durch die Stadt | |
| kutschiert. | |
| Der jahrelange Bürgerkrieg hat die Wirtschaft des Landes in die Knie | |
| gezwungen: Um 85 Prozent ist sie laut Weltbank geschrumpft. Gut 90 Prozent | |
| der Syrer*innen leben laut Vereinten Nationen in Armut, ein Viertel hat | |
| keine Arbeit. | |
| Einen Lichtblick gibt es doch: Die Preise von Lebensmitteln sind nach dem | |
| Fall Assads gesunken. „Früher kostete ein großer Karton Eier 50.000 | |
| syrische Pfund. Heute etwa 24.000“, sagt Joumaa. Umgerechnet sind das unter | |
| zwei Euro. Am Straßenrand sind außerdem improvisierte Verkaufsstände | |
| entstanden, oft mit importierten Waren und Nahrungsmitteln, etwa aus dem | |
| Libanon. Dass diese nun wieder ihren Weg nach Syrien finden, hängt auch mit | |
| dem Wegfall von Checkpoints der früheren syrischen Armee zusammen. An | |
| diesen hatte man stets Wegzoll entrichten müssen – in die Taschen der | |
| Uniformierten am Checkpoint. | |
| ## Ein Problem bleiben die US-Sanktionen | |
| Noch immer verhindern internationale Sanktionen, die | |
| Menschenrechtsverletzungen des Ex-Regimes bestrafen sollten, Investitionen. | |
| Die Europäische Union [5][hat sie erst kürzlich in den Bereichen Energie, | |
| Verkehr und Bankwesen ausgesetzt]. Die USA verhandeln noch. | |
| Kein Wunder, dass weiter viele Syrer*innen vom Auswandern reden. Doch | |
| Joumaa, der eigentlich Grafikdesigner ist, wegen der schlechten | |
| Wirtschaftslage aber kaum Aufträge bekommt, hofft trotz allem: dass er in | |
| dem neuen Syrien doch eine glänzende Zukunft hat – in Freiheit und | |
| Sicherheit und Wohlstand. | |
| 18 Apr 2025 | |
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