# taz.de -- Nach dem Sturz von Assad: Fragiler Frieden | |
> Zwar will die syrische Übergangsregierung Christ*innen im Land | |
> schützen, doch es kommt zu gewalttätigen Zwischenfällen. Zu Besuch in der | |
> Stadt Maalula. | |
Bild: Von einer Kleinstadt zum Dorf: In Maalula lebten vor dem Krieg zwischen 2… | |
Maalula taz | Es ist ein kühler Morgen am Neujahrstag auf einem nahezu | |
leeren Hauptplatz in dem kleinen Dorf Maalula. Die Rollläden zugezogen, die | |
Geschäfte geschlossen, die Straßen leer. Lediglich fünf Männer in roten | |
Kufijas und Winterjacken plaudern in Grüppchen vor dem einzig geöffneten | |
Minimarkt „Maria“. Hoch auf den umliegenden Bergen ragt eine | |
überdimensionale Statue, eine Madonna im hellblauen Mantel, in den Himmel | |
empor. | |
Im 350-Seelen-Dorf ist die Stimmung genau so kühl wie dieser Januarmorgen. | |
Dafür gibt es Gründe. Erst vor wenigen Tagen hat eine Schießerei zwischen | |
einer christlichen und einer muslimischen Familie die Spannungen | |
offengelegt, die seit der Machtübernahme durch die islamistischen Rebellen | |
von [1][Hai’at Tahrir asch-Scham] (HTS) in Syrien das christliche Dorf | |
durchziehen. | |
Eingebettet zwischen steilen, kahlen Bergen in 1.500 Metern Höhe ist | |
Maalula in mehreren Hinsichten ein besonderer Ort. Mehrheitlich christlich | |
in einem muslimischen Land, gibt es dem Besucher das Gefühl, hier gebe es | |
mehr Kirchen und Klöster als Schulen. Fünf sind es in einem Umkreis von | |
weniger als einem Kilometer. Mit ihren weißen Kreuzen, den runden Kuppeln | |
und den Mauern aus hellem Standstein nisten sie sich fast unauffällig ein, | |
in dieser Kulisse aus zerfurchtem Gestein. Dazwischen sind weiße und | |
hellblaue Wohnhäuser zu sehen, wirr aneinandergereiht. Manche ihrer | |
Einwohner*innen sprechen heute noch West-Aramäisch, die „Sprache | |
Jesu“. | |
Auf dem Platz vor dem Minimarkt ragt ein etwas trister Weihnachtsbaum aus | |
grünem Polyester empor, daneben liegen leere Patronen. In Syrien schießt | |
man in die Luft, um Neujahr zu feiern. Doch am zweiten Weihnachtstag fielen | |
aus ganz anderen Gründen Schüsse in Maalula. Laut den Schilderungen einer | |
christlich-religiösen Quelle, die anonym bleiben möchte, da sie Konflikte | |
mit den anderen Bewohnern befürchtet, hatte es nach dem Machtwechsel | |
Probleme mit einigen Muslimen gegeben, die in und ums Dorf lebten. Sie | |
hätten angefangen, Christen zu bedrohen und deren Häuser zu bestehlen. | |
Am zweiten Weihnachtstag eskaliert die Lage, ein muslimischer Mann eröffnet | |
das Feuer auf die Farm eines Christen, dieser erwidert und erschießt den | |
Mann in Notwehr. Dann bricht Chaos aus. Mitglieder der muslimischen | |
Gemeinschaft schießen in die Luft und brechen in mehrere Häuser der | |
christlichen Großfamilie des Täters ein. Das bestätigen mehrere | |
Einwohner*innen. | |
Daraufhin hätten HTS-Sicherheitskräfte den christlichen Familien die Waffen | |
abgenommen und sie einen Tag lang unter Hausarrest gestellt. Die | |
Christ*innen fühlen sich zu Unrecht bestraft, Furcht breitet sich aus. | |
Erst nach einigen Gesprächen und der Aufklärung der Tat dürfen die Familien | |
ihre Häuser wieder verlassen. | |
Wie immer bei Konflikten sieht die andere Seite die Dinge teilweise anders. | |
Zu den Fakten am zweiten Weihnachtstag sagt ein Mitglied der muslimischen | |
Gemeinschaft, der mit der Familie des Toten verwandt ist: Die muslimischen | |
Männer hätten die Besitzer der Farm irrtümlich für Einbrecher gehalten und | |
darauf reagiert. Ein muslimischer Religiöser, Scheich Mahmud Diab, verneint | |
am Telefon, es hätte Diebstähle oder Einbrüche gegeben. | |
Eine Anfrage über den Ablauf der Ereignisse an die syrische | |
Übergangsregierung blieb unbeantwortet. Offiziell haben sich die neuen | |
Machthaber den Schutz von Minderheiten wie der Christ*innen [2][auf die | |
Fahne geschrieben]. Am Silvestertag traf sich Syriens De-facto-Herrscher | |
Ahmed al-Scharaa mit Vertretern der christlichen Kirchen im Lande. | |
Al-Scharaa selbst hatte oft in seinen Reden vom Aufbau eines inklusiven | |
Syriens gesprochen. | |
Doch die Sorgen bleiben. Nicht nur wegen der islamistischen Vergangenheit | |
der heutigen Machthaber, sondern auch wegen der Existenz von radikalen | |
Ansichten teilweise in der Gesellschaft und in den vielen Milizen, die in | |
Syrien immer noch präsent sind. So gab es kleinere Zwischenfälle kurz vor | |
Weihnachten, etwa mit einem durch ausländische, islamistische Kämpfer in | |
Flammen gesetzten Weihnachtsbaum im Dorf Suqaylabiya. Oder mit Männern, die | |
vor Bars im christlichen Viertel der Altstadt Damaskus „Allahu Akbar“ | |
gerufen haben. Oder mit einem HTS-Milizionär, der nach Angaben einer | |
vertrauten Quelle den Betreiber eines Tanzlokals in der Hauptstadt mit | |
einem Maschinengewehr bedroht haben soll. | |
Im Takt der Musik schwingende Männer und Frauen mit Cocktails in der Hand | |
sind für Islamist*innen im besten Fall ein befremdlicher Blick. In der | |
Stadt Hama sollen Meldungen zufolge Unbekannte im Dezember eine orthodoxe | |
Kirche beschossen haben. Für Kritik sorgte außerdem eine vorgeschlagene | |
Änderung an den Schulbüchern durch das neue Bildungsministerium. Demnach | |
soll der Satzteil „diejenigen, die vom richtigen Weg abgekommen sind“ mit | |
„Christen und Juden“ erklärend ergänzt werden. Größere Zwischenfälle s… | |
indes bislang ausgeblieben. | |
Jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt in Maalula. Doch es ist eine zerbrechliche | |
Ruhe. Das wissen alle. Religiöse Vertreter beider Gemeinschaften wollen nun | |
eine Art Versöhnungsdokument unterschreiben, eine Awareness-Kampagne unter | |
den Familien starten, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein | |
neues Kapitel aufzuschlagen. Frieden, zuletzt. | |
Doch unter Christ*innen herrscht weiterhin Angst. „Ich fühle mich nicht | |
sicher, ich möchte Syrien verlassen“, sagt etwa eine Frau mittleren Alters | |
wenige Tage später in einem Geschäft. „Es gibt keinen Staat, keine | |
Sicherheit, wir hören die ganze Zeit Schüsse. Maalula wurde bereits 2013 | |
angegriffen, und jetzt kommen wieder dieselben Menschen mit denselben | |
Slogans hierher und schießen in die Luft. Wer wird uns beschützen? Ich habe | |
einen jungen Sohn“, sagt sie verzweifelt und deutet auf den Heranwachsenden | |
neben ihr. | |
## Vor dem Krieg war es friedlich | |
Um die delikate Lage Maalulas zu verstehen, muss man einen Blick in seine | |
Geschichte werfen. In dieser Kleinstadt, eigentlich eher ein Dorf, etwa 60 | |
Kilometer nördlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, lebten bis vor | |
Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 etwa 2.000 bis 3.000 Menschen, die [3][große | |
Mehrheit Christ*innen], die restlichen Sunnit*innen. Relativ | |
abgeschottet vom Rest des Landes, doch in Frieden. In den Sommern quoll | |
Maalula vor Tourist*innen nahezu über. Ausländische Gläubige kamen, die | |
den Ort sehen wollten, an dem Christi Sprache noch lebt. Vor allem aber | |
Syrer*innen aus der südlichen Hauptstadt, die vor der Hitze in die Berge | |
flüchten. | |
Doch alles änderte sich schlagartig im Jahr 2013. Dieses durch Felsen | |
beschützte Nest wurde zum Schauplatz eines blutigen Konflikts. Milizen der | |
islamistischen Terrororganisation al-Nusra, Vorfahrin der heutigen Hai’at | |
Tahrir al-Scham, hatten sich um das Hotel Safir an der Hügelspitze | |
einquartiert. Der Konflikt zwischen Assads Truppen und den Rebellen | |
eskalierte dann am 4. September. | |
Zuerst fuhr ein Himmelfahrtskommando der Dschihadisten auf einem | |
Geländewagen zu einem Militärposten und sprengte sich in die Luft, acht | |
Soldaten starben, dann überfielen Rebellen die Stadt aus den umliegenden | |
Hügeln mit einer Welle von Maschinengewehrsalven. Menschen flohen in | |
Klöster, um Schutz zu suchen, Kinder wurden in Höhlen in Sicherheit | |
gebracht. Dreimal bombardierte die syrische Luftwaffe die Rebellen, doch | |
diese konnten die Stellung halten. Am Ende des Tages hatten sie die Stadt | |
größtenteils erobert. | |
In den Tagen danach lieferten sich die Truppen der syrischen Armee und die | |
Rebellen heftige Gefechte. Mehrere Zivilist*innen starben, Berichte | |
über die Drangsalierung von Christ*innen erschienen, die meisten der etwa | |
3.000 Einwohner*innen flohen. Im November wurden zwölf Nonnen aus einem | |
Kloster entführt. Sie kamen bei einem Gefangenenaustausch später frei. Erst | |
2014 gewannen Regierungskräfte erneut die Kontrolle über die Kleinstadt. | |
Heute bleibt vom einstigen Vier-Sterne-Hotel Safir nur eine ausgehöhlte, | |
durchsiebte Ruine übrig. Im Sankt-Sergius-und-Bacchus-Kloster nebenan läuft | |
in endloser Schleife ein Video auf einem Bildschirm im viereckigen Hof. Es | |
zeigt die Zerstörung 2014 und den heutigen Wiederaufbau. In der 1.700 Jahre | |
alten Kirche nebenan sorgen die Wände aus nacktem Stein für kühle Luft. | |
Vater Fadi, ein robuster Mann in Winterjacke, zeigt den Besucher*innen | |
den runden Altar aus weißem Marmor, der nach den Kämpfen zerbrochen war. | |
Verbrannte Mauern, Trümmer im Hauptschiff, gestohlene Artefakte und 4 | |
Millionen US-Dollar Schaden sind Erinnerungen aus einer nicht zu weiten | |
Vergangenheit. Heute hängen wieder goldene Mosaike an den Steinwänden, | |
Holzbänke reihen sich im Schiff auf. Doch die alten Wunden im Dorf sind | |
noch nicht verheilt. | |
[4][Wer damals im Bürgerkrieg auf wessen Seite stand] – das scheint noch | |
nicht vollständig aufgearbeitet. Sicher ist, dass sich manche christliche | |
Milizen mit den Truppen von Syriens Ex-Präsident Baschar al-Assad | |
zusammentaten. Laut christlichen und muslimischen Vertretern stellten sich | |
manche sunnitische Muslim*innen in Maalula hingegen auf die Seite der | |
Rebellen. | |
In seinem Büro im Zentrum der syrischen Hauptstadt Damaskus sitzt Riad | |
Qutaifin hinter seinem Schreibtisch und nippt an einer Tasse bitteren | |
Kardamomkaffee. „Wir lebten zusammen, hatten sehr gute Beziehungen, unsere | |
Kinder spielten zusammen“, sagt der Mann mit grauem Schnurrbart und tiefem | |
Blick, in Hemd und gelbem Pullover. „Als der Krieg begann, teilte sich | |
Maalula in zwei Lager. Manche ließen es so aussehen, als ging es um | |
Religion. Doch es war Politik.“ Qutaifin ist Muslim und genießt Ansehen in | |
seiner Gemeinschaft. | |
Er spricht von einigen wenigen, radikalen Christen, die Muslim*innen an | |
der Rückkehr nach Maalula gehindert hätten, nachdem diese während der | |
Gefechte 2013 geflohen waren. Sie hätten 43 muslimische Häuser eingeebnet | |
und andere verbrannt. Er nimmt das Smartphone vom Schreibtisch und zeigt | |
das Video von einem Gebäude in Trümmern, das sei sein Haus. Er selbst lebe | |
deshalb jetzt in Damaskus. Als Assad fiel, am 8. Dezember, seien die | |
Muslim*innen dann in einem Konvoi in die Stadt zurückgefahren, hätten | |
feierlich in die Luft geschossen. Doch viele Christ*innen hätten Angst | |
gehabt. „Wir versuchten, die Menschen zu beruhigen. Sie waren aber so | |
erschrocken, dass sie kaum aus ihren Häusern kamen.“ | |
## Ist eine Versöhnung möglich? | |
Dass sich die Versionen der Christ*innen und Muslim*innen in einigen | |
Punkten unterscheiden, ist nicht verwunderlich. Laut mehreren Quellen sind | |
viele Muslim*innen nach 2014 an der Rückkehr nach Maalula gehindert | |
worden, weil sie sich damals Dschabhat al-Nusra angeschlossen hatten. Manch | |
einer behauptet, es lebten derzeit gar keine Muslim*innen in Maalula – | |
außer einigen Soldaten. Doch verschiedene Christ*innen beteuern das | |
Gegenteil: Mindestens fünf Familien wohnten im Dorf. Eine findet man | |
tatsächlich nicht weit entfernt vom Hauptplatz. | |
In einem skelettartigen Gebäude aus nackten Mauerziegeln, hinter einem | |
einst blauen Eisentor, leben wieder Majid und seine Mutter. Sie sind vor | |
vier Monaten nach Maalula zurückgekehrt. Im dunklen Haus voller Schotter, | |
zerlegter Möbel und Staub öffnet sich in der oberen Etage ein Raum mit | |
gelben Fliesen. Der Putz ist abgeplatzt, die einst weiße Holztüre gräulich, | |
doch mit etwas Vorstellungskraft kann man noch die Konturen eines | |
bürgerlichen Landhauses erkennen. | |
„Ich habe es mit viel Mühe geschafft, einen Raum wieder in Ordnung zu | |
bringen.“ Majid, graumelierte Haare, Jeans und Lederjacke, tappt im | |
Halbdunkel durch den Raum, öffnet eine Tür nach der anderen: Meistens sind | |
die Räume dahinter leer mit wenigen, alten Holzschränken und | |
Habseligkeiten, die Fensterscheiben abgesprungen. Brotscheiben liegen | |
aufgestapelt auf einem Regal. Hier die Küche, da das Schlafzimmer. Aus | |
einem Raum kommt eine schwarz verschleierte, ältere Frau lächelnd heraus. | |
„Dies ist meine Mutter“, sagt Majid. Sie leben hier, während ein Bruder | |
nach Deutschland ausgewandert ist und sein Sohn in den Oman. „Die Menschen | |
sind arm, weil sie ihre Ersparnisse unter dem Regime aufbrauchten. Viele | |
leben vom Geld der Verwandten im Ausland. Es gibt kein Geld, um die Häuser | |
wieder aufzubauen.“ Vor dem Haus steht noch ein alter hellblauer Bus, der | |
während des Kriegs von einer Rakete getroffen wurde. | |
Durch den Bürgerkrieg sind viele Wohnhäuser in Maalula beschädigt: | |
ausgeweidet wie leere Bienenkästen, zu einem Haufen Trümmer zerbombt, von | |
Granatenbeschuss durchlöchert. Majid und weitere Männer führen durch die | |
Ruine eines ehemaligen Hauses, ein dunkler Haufen Steine, weiter durch die | |
staubige Gasse, und zeigt dann auf eine verrostete Tür nebenan: „Das war | |
das Haus der christlichen Nachbarn.“ In diesen Trümmern lebt heute niemand. | |
„Man sollte die Häuser wieder aufbauen. Wir brauchen mehr Hilfe von den | |
Institutionen“, fügt er hinzu. Für die Männer liegen die Wurzeln der | |
heutigen Probleme in der Assad-Zeit: Weil die muslimischen Familien damals | |
an der Rückkehr gehindert wurden, hegten manche einen Groll gegenüber den | |
christlichen, die 2014 zurückkehrten. | |
An diesem ersten Freitag im Januar wirkt Maalula etwas lebendiger als noch | |
vor zwei Tagen. Menschen sind unterwegs, schlendern durch die Straßen oder | |
plaudern in Grüppchen auf dem Hauptplatz. Drei Frauen gehen eine steile | |
Straße zu einer Kirche hinauf. Eine von ihnen, eine Frau mit gebundenen | |
Haaren und Sonnenbrille, die sich Mirna nennt, sagt auf Nachfrage, dass sie | |
sich in der jetzigen Lage nicht wohlfühle, dass etwas in der Luft schwebe. | |
Sollte es wieder Probleme geben, will sie Syrien verlassen. Schon einmal | |
musste sie von vorn anfangen, als sie 2013 aus ihrem Haus fliehen musste | |
und es 2015 wieder aufbaute. Ein zweites Mal könne sie es nicht vertragen, | |
sagt sie selbstbewusst. | |
Ist eine Versöhnung zwischen den verschiedenen Gruppen möglich? „Um | |
Hoffnung in Maalula, um eine Zukunft zu haben, müssen wir vergessen und | |
eine neue Seite aufschlagen. Die Tötungen müssen vor Gericht geahndet | |
werden. Vor 2013 lebten Christ*innen und Muslim*innen in Frieden, | |
feierten gemeinsam Ehen und Beerdigungen. Es war perfekt“, sagt sie. Jetzt | |
werfen Muslim*innen Christ*innen vor, pro Assad zu sein und | |
Christ*innen Muslim*innen, ihre Kinder getötet zu haben. Sie werfe jedoch | |
niemanden etwas vor. Eine weitere Frau antwortet auf dieselbe Frage: „Wir | |
hatten Angst, als wir uns mit unseren Kindern im Kloster verstecken | |
mussten, vor elf Jahren. Aber Christ*innen können leicht verzeihen.“ | |
Majid und die anderen muslimischen Männer sind an diesem Freitag in der | |
Moschee von Maalula, um zu beten. Elf Männer stehen vor ihren Toren. Das | |
Minarett sieht so aus, als hätte jemand an einer Seite ein Stück Mauer | |
abgebissen. In der Luft kratzen aus dem Lautsprecher die Aufrufe von | |
Scheich Diab, der heute als Imam das Gebet leitet. Viele sind dafür aus | |
Damaskus angereist, unter ihnen auch Qutaifin. Auf dem Platz stehen sich | |
für einen flüchtigen Augenblick zwei Gruppen gegenüber. Christinnen mit | |
langen, schwarzen Haaren in schicken, dunklen Klamotten schlendern an den | |
Häusern vorüber, während die Gruppe Muslime, fast alle Männer, teils mit um | |
den Kopf gewickelten Kopftüchern vor der blauen Kuppel der Moschee warten. | |
Das Gebet beginnt, die Gläubigen verschwinden in der Moschee. Aus dem | |
Lautsprecher hallt nun die Predigt. Es ist eine besondere Predigt, die | |
erste nach dem Vorfall. Und nicht nur deswegen. Zum ersten Mal, sagen | |
Einheimische, äußert sich der Imam unmissverständlich zur Zukunft der | |
Gemeinschaft. Eine Aufforderung zum Zusammenleben: „Diese Stadt hat ein | |
gemischtes Erbe. Wir alle sind Kinder Maalulas. Niemand wird zu Schaden | |
kommen. Lasst uns eine Gemeinschaft aufbauen von Menschen, die kein Blut an | |
ihren Händen kleben haben, um jedes beschädigte Haus wieder aufzubauen, um | |
jede Uneinigkeit zu lösen. Wir werden die Menschen wieder aufbauen noch vor | |
den Gebäuden“, krächzt die Stimme aus dem Lautsprecher durch die Luft. Es | |
ist eine Predigt für die Muslim*innen in Maalula, doch ebenso für die | |
Christ*innen. Diese hören außerhalb der Moschee zu. | |
Nach dem Gebet strömen die Menschen wieder aus der Moschee. Der Scheich, | |
mit der blauem Takke auf dem Kopf, steht im Halbkreis neben Qutaifin und | |
anderen Männern. Ein großer Mann mit schwarzer Jacke und Armbanduhr nähert | |
sich mit entschlossenem Schritt der Gruppe. Er ist Christ, Sarkis Sadeq | |
heißt er. Streckt den Männern die Hand entgegen, witzelt mit Qutaifin. „Ich | |
bin gekommen, um meinen Respekt zu erweisen, weil ein Mensch gestorben | |
ist“, sagt er und bezieht sich auf den Vorfall des zweiten Weihnachtstags. | |
Es gehört sich unter alten Nachbar*innen, persönlich bei der Gemeinschaft | |
des Toten zu kondolieren. Die Menschen plaudern weiter, die einen neben den | |
anderen, Jugendliche klettern auf den Weihnachtsbaum. Die Atmosphäre ist | |
herzlich. Nur mit der Zeit wird sich zeigen, ob das auch so bleibt. | |
24 Jan 2025 | |
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